1100,50 Euro. So viel haben mich die zwei Metallica-Shows am 24. und 26. Mai im Münchener Olympiastadion gekostet. Anfahrt, Hotel, Verpflegung nicht mit eingerechnet. Dafür hätte ich auch ans Meer fahren und mir die Sonne auf den Bauch scheinen lassen können. Doch seit Jahren entscheide ich mich für ein Urlaubsprogramm, das gegenteiliger kaum sein könnte.
Konzerte von Metallica tun immer auch ein bisschen weh, und das nicht nur aus finanzieller Sicht. Dennoch würde und werde ich es immer wieder tun. Darin haben mich auch die München-Shows wieder bestärkt.
Mein Freitag beginnt um 6 Uhr. Aufstehen, unter die Dusche, das Nötigste in eine Edeka-Tüte packen. Was man verstehen muss, wenn man es als Fan ernst meint: Für Konzertbesuche braucht es in gewisser Weise auch Survival-Skills. Stundenlang heißt es erst einmal nur, vor dem Eingang zu sitzen, und niemand kann einen darauf vorbereiten, wie anstrengend das schon ist.
Bereits am Vortag bin ich mit der U-Bahn ans Olympiastadion gefahren, um abzuchecken, wo eigentlich der VIP-Eingang ist, zu dem ich muss. Am Folgetag würde ich nämlich keine Minute verlieren dürfen. Ich habe das bestmögliche aller Tickets für den Stehplatzbereich, der im Inneren der Donut-förmigen Bühne liegt (das sogenannte Snake Pit).
Ich komme nicht einfach nur da rein. Ich komme als eine der ersten da rein. Hier trennt keine Absperrung mehr die Fans von den Stars. Man könnte die Bühne und die Musiker anfassen, darf das natürlich aber nicht.
Doch obwohl die Karte eigentlich schon einen Luxus-Platz garantiert, reicht das noch immer nicht. Es gilt, mit den anderen (vergleichsweise wenigen), die das gleiche Ticket haben, um die wirklich besten unter den besten Plätzen zu kämpfen. Als ich ankomme, ist nur eine weitere Person schon da: eine Frau in meinem Alter, die ich schon von den Hamburg-Auftritten vom letzten Jahr kenne.
Später schaue ich in noch sehr viel mehr vertraute Gesichter, gefühlt 60 Prozent der anwesenden Fans habe ich irgendwo schon einmal auf der Welt gesehen. Der Sänger James Hetfield spricht auf der Bühne gerne mal von der "Metallica-Family", was für "Außenstehende" wahrscheinlich kitschig klingt. Doch es entspricht der Wahrheit.
Ein Beispiel: Am Vormittag stößt etwas später ein Familienvater mittleren Alters zur Gruppe der Wartenden, den ich vorher noch nicht kannte und der mir später während des Konzerts plötzlich einen Wrap unter die Nase hält. Ich hätte ja den ganzen Tag noch nichts gegessen. Ich bin sprachlos, unendlich dankbar und inhaliere das Ding in circa 30 Sekunden, während eine der zwei Vorbands spielt.
Natürlich achte ich darauf, tagsüber genug zu mir zu nehmen, aber das Haushalten mit Energie ist ein großes Thema. Es kommt zwischen 15 und 17 Uhr der Punkt, an dem ich abwägen muss: Noch eine Cola trinken und, damit verbunden, einen Toilettenbesuch in Kauf nehmen oder durchziehen und sichergehen, dass ich den Platz vor der Bühne, den ich habe, auch behalte? Meistens findet sich jemand, der für mich die Position hält, aber sicher ist sicher. Nach den insgesamt vier Tagen in München habe ich übrigens etwa drei Kilo an Gewicht verloren.
Und noch aus anderen Gründen ist es eine harte Erfahrung. Erst gegen 13 Uhr kommt ein Paar an, das sich aber dreist direkt vorne einreiht. Andere warten hier schon seit fünf Stunden. Die Frau steht schließlich neben der regulären Schlange und droht tatsächlich, mit der Nummer durchzukommen, weil das Sicherheitspersonal sie nicht zurückhält.
Ich ziehe die Notbremse und fahre erfolgreich den Ellenbogen aus, um nicht überholt zu werden. Jetzt will die Security mich zurechtweisen, aber ich erkläre die Situation und andere Fans hinter mir bestätigen meine Geschichte. Gerechtigkeit hat in diesem Fall gesiegt, aber das ist nicht immer so. Vor allem wegen solcher Menschen, die es leider immer gibt, steht man schon vor der Show stundenlang unter Strom und macht sich selbst verrückt.
Am Abend kommt meistens ein Punkt, an dem mein Körper eigentlich nicht mehr kann und mich nur noch Adrenalin und Glückshormone auf den Beinen halten. Insoweit sind Metallica-Konzerte auch ein bisschen wie ein Drogentrip. Eine halbe Stunde vor dem Ende der Show am Freitag bricht plötzlich ein Gewitter los, das sich gewaschen hat und die ganze Erfahrung nochmals intensiviert. Während des Intros zu "Master of Puppets" blitzt es, ein Fan hat den Moment festgehalten. Surreal.
(Viele andere Bands, gerade dieser Größenordnung, brechen bei solchen Unwettern übrigens aus "Sicherheitsgründen" ab, aber nicht Metallica. James Hetfield meint tatsächlich: "Nur ein bisschen Wasser.")
Nun mögen sich viele beim Lesen fragen: Ich könnte die Band mit meinem Presseausweis doch auch umsonst sehen, warum tue ich das nicht? Darüber kann ich nur lachen, denn die Presse-Loge ist auf den Rängen, und Metallica im Sitzen (und aus zig Metern Entfernung) zu sehen, ist in etwa so, wie Sex in Klamotten zu haben.
Zur "Familie" gehört nämlich auch: Die Fans kennen sich nicht nur untereinander, die Band kennt auch ihre Fans.
Letztes Jahr kaufte ich mir aus einer Laune heraus einen schwarzen Cowboy-Hut, den ich seitdem bei mehreren Shows getragen habe. Als James Hetfield mich am Sonntag aus dem Innenraum sieht, bevor er auf die Bühne kommt, schaut er zu mir rüber und simuliert, dass er seinen Hut zieht. Ein niederländischer Fan neben mir sagt: "Er hat wohl dich gemeint!", als ich noch mitten im Auffassungsprozess bin. Wenige Sekunden später spricht der Fan mich noch einmal an und fragt, ob es mir gut geht, weil ich wie in Trance auf den Boden starre.
Mit dem gleichen Fan kämpfe ich zwei Stunden später heftig um einen Drumstick von Lars Ulrich, den der Schlagzeuger über uns hat fallen lassen. Es kommt fast zur Prügelei, bevor ich loslasse, weil der Klügere bekanntlich nachgibt. Diesmal ist der Security-Mann neben mir auf meiner Seite und macht dem anderen Fan eine klare Ansage: "Hey, das ist eine Frau!" Auch das gehört manchmal dazu, und ich weiß: In zwei Wochen habe ich die nächste Chance auf einen Drumstick, wenn ich die Band in Kopenhagen sehe. Bis dann, Jungs!