Pia ist traurig. Die 2-Jährige möchte nicht alleine in ihrem Bett schlafen, sondern sich lieber neben ihrer Mama in den Schlaf kuscheln. Also schreit sie. Stundenlang. Ruhe gibt sie erst wieder, wenn sie im ersehnten Familienbett liegen darf. Und darum rufen ihre Eltern eine Hundetrainerin.
So beginnt die neue RTL-Show "Train your Baby like a Dog – die Hund-Kind-Methode", die Sonntagabend anlief. Und genauso absurd, wie es klingt, wird es dann auch. Ausgestattet mit Leckerli und einem Klicker schreitet Hundetrainerin Aurea Verebes zur Tat. Lockt Pia zuerst auf eine neue Decke, später mitsamt der Decke ins Bett. Das sei ganz "vergleichbar" mit der Angst von Hunden vor ihrer Hundebox, so Verebes. Später findet sie ein anderes "Anwendungsbeispiel": stressfreies Zähneputzen.
Die Sendung, die ein UK-Import ist, hatte schon im Vorfeld für Entsetzen gesorgt. So sprachen sich bereits renommierte Kinderpsychiater, über 26.000 besorgte Eltern mittels Petition und sogar Ex-Super-Nanny Katia Saalfrank gegen die Ausstrahlung aus.
Insbesondere der schreiende Imperativ im Titel sorgte für Aufruhr. Es sei zu befürchten, dass alleine dieser "Eltern auf die Idee bringen kann, Konditionierung sei der richtige Weg zur Erziehung eines Kindes", so die Organisatoren der Petition. Es dürfte RTL ziemlich freuen, dass über eine Show schon wochenlang gesprochen wird, bevor sie überhaupt ausgestrahlt wurde.
Um die Aufregung weiter zu schüren, wird in der Sendung ein Klicker genutzt, ein akustisches Signal, mit dem Hunde auf gutes Verhalten konditioniert werden sollen. Willst du ein Leckerli? Klick. Hier ist es. Willst du gestreichelt werden? Klick. Guter Junge... Nach einer Weile lernt der Hund so: Wenn es klickt, erwartet mich etwas Schönes. Und so kann man ihn in Zukunft in jede Situation locken, auch wenn sie ihm eigentlich unangenehm ist. Pawlow lässt grüßen.
Der Klicker klappt auch bei Kindern, stellen die Beteiligten der Show erfreut fest. Stellt sich nur die Frage: Ist das jetzt gut?!
Ich kenne Pia, gleich zwei Pias leben bei mir zu Hause. Meine Zwillinge sind genau wie sie, zwei Jahre alt. Und auch sie weigern sich, in ihrem eigenen Bett zu nächtigen. Kann ich es ihnen übel nehmen? Viel zu gemütlich ist es zwischen Mama und Papa. Da ist der Trost unmittelbar und das Schnarchkonzert schön vertraut. Klar, das bedeutet Kinderfüße im Gesicht, heimliches Netflixen mit einem Laptop auf den Knien und nächtliches Gebrabbel, das einen aus dem Schlaf reißt. Auf die Idee, deshalb über RTL einen Hundetrainer einzuschalten, bin ich trotzdem nicht gekommen. Und nach Betrachtung der Pilotfolge werde ich das wohl auch in Zukunft nicht.
Um es vorweg zu nehmen: Der Titel der Show schockt mehr als die Sendung an sich. Zum Großteil setzt die Hundetrainerin auf positive Assoziationen, wie eine entspannende Massage vor dem Einschlafen. Ich wage zu behaupten, dass solche Techniken auch ohne Klicker ans Ziel führen können und die meisten Mütter sie intuitiv befolgen, wenn sie den Lieblingsteddy im Kinderbett platzieren: "Guck mal, dein Teddy schläft auch schon fest und wartet nur noch auf dich. Gemütlich, oder?"
Dass das trotzdem nicht immer ausreicht, um störrische Zweijährige zu überzeugen, hat einen schlichten Grund: Sie sind Menschen. Und Menschen sind intelligent (wie viele Hunde übrigens auch). Schon Zweijährige lassen sich nicht einfach verarschen, sondern angeln sich den Teddy aus dem Gitter und krabbeln dann triumphierend grinsend mitsamt dem Liebesgut zurück in Mamas Laken.
Das kann total nerven, natürlich. Aber Kindern diese angeborene Kreativität und Suche nach Sicherheit mithilfe eines Klickers wegzukonditionieren, ist sicher nicht das Patentrezept. Mal abgesehen davon, dass es unethisch ist, einen Menschen abzurichten oder Liebkosungen an ein Klick-Geräusch zu knüpfen, wird ein nicht ganz unwichtiger Faktor dabei ignoriert: Ein Hund muss nicht erwachsen werden.
Ein Hund geht nicht irgendwann alleine zur Grundschule oder muss einen Bus betreten, um zum Blockflötenunterricht zu fahren. Ein Hund zieht auch nicht aus und muss sich selbst für das nächste Semester rückmelden. Ein Hund bleibt bei seinem Besitzer, solange er lebt, und darf darauf vertrauen, dass dieser ihn liebevoll durch den Alltag führt.
Doch Kinder müssen selbstständig werden. Sie starten als Menschen ohne jegliche Lebenserfahrung und mit klitzekleinen Gliedmaßen, weswegen sie die Hilfe ihrer Eltern brauchen, aber dazu gehört auch, ihnen Luft zu lassen für eigene Ansätze zur Problemlösung. Das ist zeitraubend und ermüdend (hast du schon mal einem Zweijährigen dabei zugesehen, wie er einen Schuh anzieht?), aber nötig. Ich will nicht, dass meine Kinder ihr Leben lang auf einen Klick warten, bevor sie ins Bett gehen. "Train your Baby like a Dog" schafft jedoch Abhängigkeit, wo Selbstständigkeit gewollt ist. Und macht Eltern zu Herrchen, die über ihre Kinder verfügen.
Auch ich komme oft an meine Grenzen, ohne eine Ahnung, was ich da eigentlich in der Erziehung treibe. Natürlich wünscht man sich da im Alltag eine schnelle Lösung für den täglichen Streit ums Zähneputzen, zu Bett gehen oder Geschwisterkonflikten. Aber diese schnelle Lösung gibt es nicht, denn Menschen sind nun mal komplex.
Kinder müssen nicht zu folgsamen Geschöpfen gemacht werden, sie folgen dem Vorbild ihrer Eltern von ganz alleine, wenn es sich für sie richtig anfühlt, weil sie wissen möchten, wie diese Welt funktioniert. Manchmal dauert das zermürbend lange, aber es gibt leider keine Zauber-Technik, diesen Prozess zu beschleunigen. Wer das glaubt, kauft wohl auch Diätpillen, statt seine Ernährung umzustellen.
Was Kleinkindern wirklich hilft, sind Geduld und (weil auch Eltern diese nicht unbegrenzt haben) ein unterstützendes Umfeld. Was noch helfen kann? Sonntagabend auf RTL zu verzichten und die Zeit fürs Einschlafritual zu nutzen.