Dem goldenen Herbst wohnt ja naturgemäß eine gewisse Nostalgie inne. Die Blätter fallen, die Sommerbräune schwindet und einfache Dinge wie eine Tasse Kaffee oder ein gutes Buch wirken plötzlich wieder wie das, worauf wir doch das ganze Jahr gewartet haben.
Anders verhält es sich mit Männern in ihren vermeintlich "goldenen Jahren". Auch sie nutzen den Herbst zuweilen, um sich zurück in das Bewusstsein der breiten Gesellschaft zu kämpfen – vor allem jene mit einer gewissen medialen Vergangenheit. Man of the year in dieser Kategorie: "TV-Titan" Stefan Raab.
Während dieser aktuell noch versucht, sich eine eigene Nische zu basteln, die vermeintlich clever eine "woke" Gesellschaft auf die Schippe nimmt, hat Thomas Gottschalk das bekanntlich bereits vor einem Jahr aufgegeben – nicht ohne die obligatorische Wehklage alter weißer Männer, versteht sich.
Der "Spiegel" hat dem 74-Jährigen nun nochmal die Gelegenheit gegeben, das eigene Image vor dem vollständigen gesellschaftlichen Tod zu retten.
Was dabei herauskam, ist das genaue Gegenteil. Immer wieder versucht Gottschalk in dem Interview trotzig, Annahmen der beiden Redakteur:innen abzuschütteln, er sei "verbittert", "kein cooler Alter" oder gar "onkelig". "Was cool ist, bestimmt nicht ihr", blafft der Fernseh-Opa gleich als erste Antwort auf einen gelungen bissigen Einstieg im "Spiegel".
Wäre es das erste Gespräch solcher Natur, könnte man beinahe Mitleid mit jenem Mann haben, der doch für mehrere Generationen Deutscher den samstäglichen Familienstreit um die Fernbedienung geklärt hatte. Damals, in einer Zeit, in der Frauen im TV lieber als halbnackte Dekoration anstatt als ebenbürtige Gesprächspartnerin eingeladen wurden.
"Ich betrete heute auch keinen Aufzug mehr, in dem nur eine Frau steht", gibt Gottschalk (natürlich nicht klagend) zu. "Was mache ich, wenn sie im zweiten Stock rausrennt und ruft '#MeToo, der hat mich angefasst'?".
Und weg ist das Mitleid. Dass mit einer solchen Aussage das Leid Tausender Frauen heruntergespielt und ins Lächerliche gezogen wird, ordnen die verantwortlichen Redakteur:innen noch im Gespräch kurz ein. Aber die Aussage zeigt eben auch, dass Thomas Gottschalk in diesem Leben nicht mehr belehrbar ist.
Ein knappes Jahr ist es nun her, dass der – mein vergangenes Ich möchte sagen Kult- – Moderator sich von seiner medialen Alma Mater trennte. Als Grund gab er damals doch tatsächlich völlig unironisch die abgedroschene Phrase an, man dürfe ja heute gar nichts mehr sagen.
Zum Glück hat dafür aber nun der deutsche Buchmarkt noch einen Platz für den alten weißen Mann gefunden – und das nicht zum ersten Mal. Nach "Herbstblond" und "Herbstbunt" (wie gesagt, alte Männer und der Herbst) nun also "Ungefiltert".
In wenigen Tagen erscheint ein eigenes Buch von Thomas Gottschalk, mit dem er – Achtung! – zu mehr Verständnis zwischen den Generationen beitragen möchte. Das jedenfalls steht im Klappentext.
Bei Gottschalk selbst klingt das im "Spiegel" etwas anders: "Ich habe es nicht geschrieben, damit die Gesellschaft eine bessere wird." Im Mittelpunkt, das gibt er dann zumindest offen zu, stehe er selbst, und das empfehle er auch jedem anderen.
In dem "Spiegel"-Interview geht es beinahe um alle Themen, die Konservative im Jahr 2024 erregen: Feminismus, Rassismus, die verdammte Arbeitsmoral der GenZ und das "in eine Ecke gestellt werden" mit der AfD. Viele Antworten von Gottschalk erzürnen, aber überraschen sollten sie uns eigentlich nicht mehr.
Wer völlig ernsthaft einen Witz mit dem Begriff "Salzsteuer:in" vom Leder zieht und Künstlerinnen wie Shirin David ihre Leidenschaft für Opern abspricht, hat schon lange aufgehört, sich mit etwas anderem als sich selbst zu beschäftigen.
Und daher sorgt das Gespräch in einem der größten überregionalen Medien Deutschlands zwar bundesweit einmal mehr für Schlagzeilen. Aber wirklich gehaltvoll ist es eben nicht.
Jede:r hat eine zweite Chance verdient, ab einem gewissen Alter vielleicht sogar eine dritte oder vierte. Aber noch ein Interview mit Thomas Gottschalk braucht diese Welt in Zukunft bitte nicht. Vor allem nicht in einem Land, in dem endlich auch weibliche Personen angemessene Teilhabe an privaten wie öffentlichen Sender erhalten.
Interviews mit Personen wie Salwa Houmsi, Eva Schulz oder auch Sophie Passmann bräuchte es mehr. Wobei letztere sich ja bekanntermaßen vor etwa zwei Jahren insgesamt von politischen Aussagen in der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, nachdem eine einzige (!) Aussage von ihr derart in den Dreck gezogen wurde, dass sie sich heute nur noch als Komikerin und zumeist an der Seite ihrer männlichen Kollegen Tommi Schmitt und Joachim Winterscheidt Gehör verschafft.
Thomas Gottschalk jedenfalls, das hat er selbst schon richtig festgestellt, wird an dieser Welt nichts mehr ändern. Und auch die Welt wird wiederum Thomas Gottschalk nicht mehr ändern. Der nostalgische Herbst eignet sich ja oft auch, um auszumisten und Altlasten hinter sich zu lassen. Farewell, Thomas Gottschalk!