Ihren 50. Geburtstag wird Heidi Klum am 1. Juni sicherlich groß feiern, mit der Planung hat sie diesmal Ehemann Tom beauftragt. Zugleich aber wirkt es so, als sei ihr Alter für sie wirklich nur eine beliebige Zahl – gemessen an ihren (meist sehr freizügigen) Social-Media-Auftritten, ihrer TV-Präsenz national wie international, ihrer durchaus noch sehr frischen Ausstrahlung.
Heute bietet sie mehr Angriffsfläche denn je und doch wäre es unfair, ihr gewisse Errungenschaften nicht zuzugestehen. Heidi Klum ist bei näherer Betrachtung die vielleicht komplexeste deutsche Star-Persönlichkeit – was sie von Kritik keineswegs freispricht.
Die Kontroversen um Klums Model-Show "GNTM" sind allseits bekannt und wiederholen sich in beinahe regelmäßigen Abständen. Manipulationsvorwürfe, Mobbing-Vorwürfe, das kalkulierte Spiel mit den Träumen junger Frauen – alle Jahre wieder dreht sich das Karussell der Anschuldigungen, das so manch anderem Promi wohl unabhängig vom Wahrheitsgehalt schon lange um die Ohren geflogen wäre.
Heidi Klum jedoch sah sich erst in der laufenden "GNTM"-Staffel dazu gezwungen, überhaupt einmal Stellung zu beziehen. Persönliche Konsequenzen für sie am Ende des Tages: keine. Einen Punkt nach dem anderen wischte sie in ihrem Statement geduldig vom Tisch. Das Schlagwort Cancel Culture weht an ihr vorbei wie ein sanfter Windhauch im Hochsommer.
Sie ist noch resistenter als ihr diabolischer Zwilling Dieter Bohlen, den RTL im Zuge einer familienfreundlichen Offensive immerhin eine Staffel lang bei "DSDS" verbannte und durch Florian Silbereisen austauschte, bis die schlechten Quoten für sich sprachen.
So gut wie jedes Casting-Format im Fernsehen ist letztlich moralisch problematisch, nur wenige aber halten sich so lange wie "GNTM". Und wo zu Recht bemerkt wird, dass Frauen im TV zur Primetime noch immer viel zu wenig stattfinden, ist Heidi Klum das ultimative, schillernde Gegenbeispiel. Ja, insoweit kann sie tatsächlich als Vorbild dienen. Braucht es aus feministischer Perspektive also nicht vielleicht mehr statt weniger Heidi Klum? So einfach ist es dann doch nicht.
Die Mittel, die zu Heidi Klums Erfolg führen beziehungsweise ihn aufrechterhalten, sind nämlich streitbar. Das beginnt damit, dass es bei "GNTM" wie in keiner anderen Castingshow schon der Natur nach nur um Oberflächen geht. Genauer gesagt: um weibliche Oberflächen, die auf den männlichen Blick ausgerichtet sind.
Diese Kritik richtet sich freilich gegen die Branche insgesamt, umfasst nun einmal unweigerlich aber auch die Models von morgen aus "GNTM". Es ist nichts falsch daran, den eigenen Körper zu betonen und zu präsentieren, aber eine Frau mehr oder weniger darauf zu reduzieren, erscheint fragwürdig. Da kann noch so oft betont werden, dass in der Sendung "Personality" zählt, eine klare Kontur hat der Begriff bislang nicht wirklich erhalten.
Ironischerweise wird seit 2017 unabhängig vom Hauptpreis sogar ein "Best Personality"-Award bei "GNTM" verliehen, aber über dessen Verleihung bestimmt gerade nicht Heidi Klum, sondern das Publikum. Kaufen kann sich die Gewinnerin davon ... nichts.
Immerhin: Das Supermodel und ProSieben sind klug genug, mit der Zeit zu gehen. Zumindest ein wenig. So liegt ein besonderer Fokus nunmehr auf Diversity. Transgender-Models sind ebenso willkommen wie Best-Ager-Models und Curvy-Models, um diese Gruppen wirbt die Show jetzt ganz gezielt. Heidi Klum wird nicht müde, zu betonen, wie ernst sie es mit der Vielfalt meint, und doch behaupten böse Zungen, hinter der neuen, bunten Ausrichtung stehe in erster Linie ihr Geschäftssinn.
Vermutlich braucht Heidi Klum "GNTM" aber auch gar nicht mehr, um im Gespräch zu bleiben. Darauf deuten zumindest ihre Red-Carpet-Auftritte hin, die regelmäßig ein breites Medienecho nach sich ziehen. Es einzig und allein durch ein spektakulär geschnittenes Kleid in die Schlagzeilen zu schaffen, während woanders Krieg herrscht, ist schließlich auch eine Leistung.
Nicht zu vergessen sind daneben Klums Storys und Posts bei Social Media. Auf Instagram und Co. gibt es beinahe täglich Nackt-Content, womit das Model die Jobs tausender Unterhaltungs-Journalist:innen sichert. Danke dafür! Doch auch hier wird es irgendwann zwiespältig und die Betonung anderer Qualitäten, nun ja, wünschenswert. Wirklich kreativ wird Heidi Klum besonders bei der Namensgebung ihrer Brüste.
Sie hat der Öffentlichkeit alles gegeben, was sie hat, neu erfinden wird sie sich wahrscheinlich nicht mehr. Abzutreten, wäre daher keine schlechte Idee. Die Dynastie ist schon in Stellung gebracht, und mit Tochter Leni kann "GNTM" theoretisch auch noch 40 Jahre weiter gehen. Wie wünschenswert das ist, muss jede:r für sich selbst entscheiden. Trotz allem: Happy Birthday, Heidi!