Prinz Andrew missbrauchte sie: Virginia Giuffres todtrauriges Buch
Vor wenigen Tagen erschien im "Guardian" ein Vorabdruck aus dem aktuell wohl traurigsten Buch der Welt. Es heißt "Nobody’s Girl: A Memoir of Surviving Abuse and Fighting for Justice", verfasst hat es Virginia Giuffre, das mutmaßliche Missbrauchs-Opfer von Jeffrey Epstein, Prinz Andrew, Ghislaine Maxwell und vielen anderen aus dem Epstein-Kreis.
Virginia Giuffre hat sich nach jahrelangen, zermürbenden juristischen Kämpfen am 25. April 2025 dazu entschieden, ihr Leben zu verlassen. "Nobody's Girl" (entstanden mithilfe der renommierten amerikanischen Journalistin Amy Wallace) ist ihr Vermächtnis.
Das Erscheinen von Giuffres Memoiren am 21. Oktober 2025 hat dazu geführt, dass Prinz Andrew, der seit 2019 kein "Working Royal" mehr sein darf, nun auch alle seine Titel nicht mehr benutzen darf. Sie sind ihm nicht entzogen, sie befinden sich quasi in einem lebenslänglichen Dornröschenschlaf, sie sind "dormant", wie die Briten sagen. Endlich. Es hätte schon viel, viel, viel früher geschehen sollen.
In dem langen Auszug im "Guardian" beschreibt Giuffre den Beginn ihrer Tragödie, es ist ein Lehrbeispiel in Sachen Grooming. Ihr Vater ist Haustechniker und Tennisplatzbetreuer in Mar-a-Lago, sie lernt als 16-Jährige Trump persönlich kennen, der ihr Babysitter-Jobs bei seinen reichen Freunden vermittelt, bevor sie am Empfang seines Wellnesscenters arbeiten darf.
Dort wird sie von Ghislaine Maxwell entdeckt, die sie mit einer Mischung aus patenter Mütterlichkeit – sie erinnerte Giuffre an Mary Poppins – und Verführung in den kriminellen Sex-Zirkus von Epstein einweiht.
Epstein-Imperium: Memoiren zeigen Verstrickungen mit Prinz Andrew
Der Luxus, das leicht zu verdienende Geld, die manipulative Überzeugungskraft von Maxwell und Epstein, das Versprechen einer grandiosen Zukunft, die ständige Benebelung der Minderjährigen durch Alkohol und großzügig verabreichte Beruhigungsmittel (bis zu acht Xanax pro Tag), aber auch ganz banale Drohungen ("Wir wissen, wo deine Brüder zur Schule gehen") führen dazu, dass Giuffre alles mit sich machen lässt. Und bald auch an Epsteins Freunde weitergereicht wird.
Es handelt sich dabei immer um Männer aus der Elite, Männer mit sehr viel Status und Einfluss, Politiker, Professoren, Milliardäre. Männer, denen viele Menschen blind vertrauen. Vermeintliche Vorbilder.
Und schließlich ist da der Prinz. Andrew. Auch bekannt als "Randy Andy", als geiler Andy. Der Lieblingssohn der Queen.
Wieso eigentlich der Lieblingssohn? Weil er im Gegensatz zu den pflichtbewussten Teetassen namens Charles und Edward und im Gegensatz zum bienenfleissigen Pferdemädchen Anne ein bisschen Leben in die Palastmauern brachte? Weil er die Queen an ihre eigene Schwester, die Lebedame Margaret, erinnerte? Weil in Filmen die Bösen immer auch die Faszinierendsten sind?
Die Britin Maxwell ist eine alte Freundin von Andrew, gelegentlich hält die Presse die beiden für ein Paar, etwa, wenn sie mit den Trumps Heidi Klums "Nutten und Zuhälter"-Halloweenparty besuchen. Alle hängen mit allen zusammen.
Dreimal hat Giuffre Sex mit Andrew, so schreibt sie. Nach dem ersten Mal, 2001 (sie ist 17), gibt ihr Epstein 15.000 Dollar als Belohnung, weil ihr Kunde so zufrieden gewesen sei.
Giuffre ist minimal älter als Andrews Töchter Eugenie und Beatrix – zu deren Geburtstagen Epstein eingeladen ist. Andrew, Maxwell und Epstein finden die Altersnähe überaus amüsant, Maxwell witzelt, dann müsse man ja bald Virginia gegen eine von Andrews Töchtern eintauschen.
Virginia Giuffre machte Missbrauch durch Epstein öffentlich
Sie entkommt Epstein mit 19 Jahren, während einer Massage-Weiterbildung in Thailand. Ihr Auftrag wäre, mit einem thailändischen Mädchen im Gepäck zurückzukehren, doch sie lernt den Kampfsporttrainer Robert Giuffre kennen, heiratet ihn nach zehn Tagen, flieht mit ihm nach Australien und bricht den Kontakt zu Epstein ab.
Später wird sie zur Hauptanklägerin im Fall Epstein, dem vorgeworfen wird, mit hunderten von (oft minderjährigen) Mädchen einen Sexhandels-Ring betrieben zu haben. 2019 begeht Epstein – so die offizielle Version – Suizid in seiner Zelle.
Giuffre schont Prinz Andrew nicht. Er streitet immer alles ab, so auch im November 2019, als er sich in einem fatalen Interview mit der BBC-Reporterin Emily Maitlis in die peinlichsten Widersprüche verstrickt. Lügen wird zu seiner Lieblingsstrategie. Die einfach nie richtig aufgehen will.
Lange behauptet er, den Kontakt zu Epstein 2010 aufgegeben zu haben. Doch nachdem im Februar 2011 zum ersten Mal das Foto von ihm und Virginia Giuffre mit Maxwell im Hintergrund publiziert worden war, schrieb er – wie jetzt bekannt wurde – an Epstein: "Es sieht so aus, als würden wir gemeinsam in dieser Sache stecken und müssten sie gemeinsam bewältigen. Ansonsten bleiben wir in engem Kontakt und spielen bald wieder zusammen!!!!"
2022, im Jahr, da die Queen ungestört ihr Platinum Jubilee feiern will, einigen sich Andrew und Giuffre auf einen Vergleich und ein Schmerzensgeld von 12 Millionen Pfund. Jetzt fragen sich britische Parlamentarier, ob es sich dabei um Steuergelder gehandelt haben könnte. Sie hätten dies auch schon vor drei Jahren fragen können, die Antwort lautet mit einer Wahrscheinlichkeit, die an die Tatsache grenzt, dass Menschen sterblich sind, Ja.
Prinz Andrew zunehmend unter Druck
24 Stunden nachdem nun König Charles (offenbar nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Drängen von Kronprinz William) seinen Bruder zur Selbst-Degradation bewegt hat, publizierte die "Mail on Sunday" eine weitere, verhängnisvolle Recherche. Geleakte E-Mails zeigen, wie Andrew 2011 von seinen mit Steuergeldern finanzierten, polizeilichen Bodyguards verlangt hat, schmutzige Details über Virginia Giuffre auszugraben.
Er händigte ihnen dazu ihr Geburtsdatum und ihre Sozialversicherungsnummer aus, er war sich sicher, dass sie in Amerika Strafregistereinträge hätte. Sie, nicht etwa sein Freund Epstein. Er wollte sie in einer Schmierenkampagne vernichten. Royales Verhalten geht anders. Er bedauert, "schlecht beraten gewesen" zu sein, als er sich zu Epsteins Freund machen ließ.
Virginia Giuffre ist tot. Ihr Kampf hat ihr am Ende nichts geholfen. Andrew dagegen residiert noch immer in der Royal Lodge in Windsor, seine Mutter hat ihrem Lieblingssohn einst ein lebenslanges Wohnrecht vermacht, was auch William nicht einfach außer Kraft setzen kann. Er habe sich seit Monaten in der Lodge verschanzt, heißt es.
Möglicherweise bleiben ihm in dieser Zeit, da ihn seine eigene Familie (oder Teile davon) wie einen Aussätzigen behandelt, seine Freunde in Kasachstan, Aserbaidschan und Luxemburg, denen er in der Vergangenheit mit seinem Namen zu vorteilhaften Deals verholfen hat. Oder ein paar chinesische Spione, auf die er so gerne hereinfällt. Oder ...
Der Mann ist, was er immer schon war, ein empathisches Brachland. Eine zwischenmenschliche Wüste. Ohne Verantwortungsgefühl. Minderjährige wie Virginia Giuffre? Sexpuppen. Die britische Bevölkerung? Ein sprudelnder Geldquell. Loyalität? Nicht vorhanden. Sein "Job"? Privilegien, nichts als Privilegien. Er habe es als sein "Geburtsrecht" betrachtet, mit ihr zu schlafen, schreibt Giuffre.
An der Richtigkeit ihrer Memoiren zweifelt zum aktuellen Zeitpunkt niemand. Nur Andrew.
"Nobody’s Girl: A Memoir of Surviving Abuse and Fighting for Justice" von Virginia Giuffre und Amy Wallace erschien am 21. Oktober bei Doubleday und umfasst 400 Seiten. Die deutsche Übersetzung erscheint am 18. November und kostet ca. 26 Euro.