Lange bevor Badmómzjay, Katja Krasavice oder auch Shirin David in den Deutschrap-Himmel aufstiegen, gab es ein Rap-Duo, das die Tür für deutschsprachigen Female Rap eingetreten hat: SXTN. Ohne Hemmungen und Tabus drückten Juju und Nura Deutschrap ihren Stempel auf.
Nicht nur ebneten die beiden den heute angesagten Rap-Künstlerinnen den Weg. Sie schafften es auch, Frauen, die eigentlich nichts mit Rap zu tun hatten, für das Genre zu begeistern. Auch fünf Jahre nach ihrer Trennung sind SXTN erfolgreich: Sie gehören dieses Jahr zu der Top 10 der meist gestreamten Rapperinnen in Deutschland. Aber was macht SXTN so erfolgreich? Und steht womöglich schon bald ein Comeback des Rap-Duos an?
Bei SXTN begann alles in Berlin: Im Alter von 18 Jahren lernten sich Juju und Nura in der Landeshauptstadt kennen, 2014 wurde das Rap-Duo gegründet. Juju ist gebürtige Berlinerin und rappte bis zur Gründung von SXTN in ihrem Freundeskreis. Nura kam im Alter von drei Jahren nach Deutschland und wuchs zunächst in Wuppertal auf.
Sie sammelte bereits erste Bühnenerfahrungen bei der Berliner Band The toten Crackhuren im Kofferraum und darüber hinaus beim Berliner Kneipenchor. Die beiden Rapperinnen haben weder ein Abitur noch eine Ausbildung, wie sie dem "Spiegel" in einem Interview verrieten:
Vor der musikalischen Karriere verdiente Juju ihr Geld unter anderem als Tätowiererin und Nura als Barkeeperin. Nach der Gründung von SXTN releaste das Duo einige Songs und konnte sich durch diverse Auftritte, unter anderem auch mit Haftbefehl, einen Namen machen. Knapp zwei Jahre später war es dann so weit: Die erste SXTN-EP wurde veröffentlicht.
Der Name “Asozialisierungsprogramm” passt zur EP wie die Faust aufs Auge. Wer nicht bei SXTN fehlen darf: Stamm-Produzent Krutsch. Zeit für ihr Debütalbum "Leben am Limit" wurde es dann im Juni 2017. Das Album erreichte den achten Platz der deutschen Charts.
Zu den Anfangszeiten von SXTN füllte das Rap-Duo eine Lücke in der Deutschrap-Landschaft: die von weiblichen MCs, mit denen sich viele junge Frauen identifizieren können. Für eine gewisse Portion Provokation sorgen die für SXTN typischen, unmissverständlichen Ansagen und die vulgären, hemmungslosen Lyrics.
Das Erfolgsrezept von SXTN besteht aus frauenfeindlichen Klischees, an denen sich Juju und Nura großzügig bedienen und aus einem eher aggressiven Grundton sowie ein bisschen Gras und Pöbelei. Dabei gehören Rap-Skills und partytaugliche Hooks absolut zum SXTN-Sound dazu.
Für große Aufregung sorgte damals der Track "Hass Frau". Die Hook des umstrittenen Tracks bildet ein Talkshow-Ausschnitt von Alice Schwarzer, in welchem sie einen frauenverachtenden Text des Rappers King Orgasmus One vorliest.
Das Video von Alice Schwarzer habe Juju "immer schon geil" gefunden, außerdem habe es "halt perfekt gepasst, dass Alice Schwarzer einen frauenfeindlichen Text rappt aus der Perspektive von einem Typen. So wie wir auch". Wer allerdings denkt, dass Jujus und Nuras Gesellschaftskritik bei Sexismus und Frauenfeindlichkeit aufhört, der hat sich getäuscht.
Immer wieder werden in typischer SXTN-Manier zudem Rassismus und Mobbing thematisiert. So droppten die beiden auch ihren Song "Ich bin schwarz" – eine Art Trap-Version von "Ich will Spaß". In besagtem Track räumt Nura mit Vorurteilen gegenüber schwarzen Personen auf:
Weniger überraschend waren die negativen Reaktionen auf den Rap von SXTN. In der Deutschrap-Szene war nicht jede:r mit zwei Frauen, die im gleichen Ton wie die männlichen Kollegen rappen, einverstanden. Angesichts der oftmals misogynen Grundstimmung im Deutschrap aber kaum verwunderlich. Von den Hatern lässt sich das Rap-Duo aber nichts sagen. Ihre Devise lautet: "Jeder Hater ist ein Klick mehr."
Viele taten sich besonders mit der Tonalität von SXTN schwer. Ganz ohne Scham bezeichnen sich die beiden ihre Clique als "Fotzen". Was dahinter steckt? Absolute Selbstermächtigung. Denn SXTN holen sich stigmatisierte und degradierende Begriffe, die meist von Männern ausgesprochen werden, zurück und konnotieren sie positiv. Es lässt sich darüber streiten, ob es sich bei allen Tracks um Selbstermächtigung handelt oder ob doch nur männliche Sexfantasien reproduziert werden. Ein angebrachtes Beispiel wäre hier das Video zu "Deine Mutter".
Ob "Hass Frau" oder "Er will Sex": SXTN steht in den Augen der meisten für Women Empowerment und Feminismus. Das Rap-Duo sah sich selbst hingegen nicht in der Rolle der feministischen Rapperinnen, wie Juju im "Spiegel"-Interview erklärte:
Außerdem sagt Nura, dass SXTN "in diese scheiß Schublade gedrängt" wurde. Sie hätten "nie Musik gemacht, um irgendein politisches Statement loszuwerden. Wir rappen einfach so, wie wir halt sind". Noch konkreter formuliert Juju ihre Haltung zu Feminismus auf dem Intro zu ihrem vergangenen Solo-Album "Bling Bling": "Ihr nennt es Feminismus, ich nenn' es einfach Menschlichkeit."
Ein dunkler Tag für alle SXTN-Fans war wohl der 31. Oktober 2018: Der Tag, an dem sich SXTN offiziell trennten. Schon zuvor waren Juju und Nura eher weniger als SXTN in den Medien und auf Veranstaltungen präsent. Grund dafür sei wohl gewesen, dass die beiden seit längerer Zeit ihre eigenen Ziele verfolgten. In einem Instagram-Statement verkündete Juju überraschend das Ende von SXTN:
Mehr Licht ins Dunkel brachte Juju in einem Interview mit "Hiphop.de". Sie sagt, dass es sich bei der Trennung definitiv nicht um einen plötzlichen Einschnitt gehandelt habe. Die beiden sollen sich schlichtweg auseinander gelebt haben. Darüber hinaus soll es auch keinen Beef zwischen ihr und Nura geben.
Auch Nura meldete sich wenig später mit ihrer Sichtweise auf die Trennung. Ihr zufolge habe Juju häufig mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen gehabt und sich infolgedessen zurückgezogen. In Nuras Buch "Weißt du, was ich meine" schildert sie: "Also gaben wir ihr den Freiraum, den sie anscheinend brauchte."
Darüber hinaus hätte es auch kleinere Reibereien gegeben: "Wenn ich mich zu bestimmten Sachen äußerte, egal ob in Interviews oder auf Instagram, stellte Juju mich hinterher oft zur Rede". Zudem hätte Nura ihre Kollegin bei eigenen Releases immer wieder durch Postings unterstützt – Juju habe im Gegensatz dazu keinen Support mehr gezeigt.
Dennoch hofft Nura darauf, zukünftig wieder mit Juju Kontakt haben zu können. "Ich hoffe, wenn wir uns eines Tages wiedersehen, können wir normal miteinander umgehen, denn wir haben so viele Jahre unseres Lebens miteinander verbracht und eine krasse Zeit zusammen gehabt", schreibt Nura. Nach der Trennung machten die beiden jeweils ihr eigenes Ding. Seit dem Beginn ihrer Solokarrieren hat sich der Sound von Nura und Juju stark verändert:
Eines steht fest: Die SXTN-Fans sehnen sich nach einem Comeback von Juju und Nura. Sogar so sehr, dass sie vier Jahre nach der Trennung eine "Change.org"-Petition für ein letztes gemeinsames Konzert des Rap-Duos ins Leben riefen. Keinen Monat später haben bereits 21.000 Menschen die Petition unterschrieben.
Über ein angebliches SXTN-Comeback wurde schon im letzten Jahr gerätselt. Denn damals kündigte der Rapper Stitch einen Song an, auf dem angeblich Juju und Nura gefeatured waren. Wenig später stellte sich heraus, dass hinter der Ankündigung eine ausgeklügelte und dreiste Promotechnik steckte, denn auf dem Track "180 km/h" war von SXTN nichts zu hören.
In den letzten Wochen stieg der Puls bei SXTN-Fans dann wieder gewaltig an. Auch dieses Mal steht eine Reunion der Rapperinnen im Raum: Auf Tiktok kursierte kürzlich eine angebliche Tracklist von Nuras kommendem Album "Periodt". Dabei handelt es sich um das mittlerweile dritte Studioalbum von Nura, das am 6. Oktober erscheint. Auf der besagten Tracklist dazu sind nicht nur abgewandelte SXTN-Titel wie "Hass Mann" oder "Fotze im Club" zu finden, sondern auch ein Feature mit Juju.
Die angebliche Kollabo trägt dabei auch noch den Namen "Comeback?". Sehr verständlich also, dass die Fans auf eine Reunion der beiden hoffen. In den Kommentaren wird zudem des Öfteren behauptet, dass Nura die angebliche Tracklist selbst geteilt hätte – für die Fans ein klares Zeichen für die Reunion.
Mit dem Release von "Periodt" ist nun allerdings klar: Die Fans haben sich zu früh gefreut. Auf dem Album befindet sich weder ein Song mit dem Titel "Comeback?" noch überhaupt ein Feature mit Juju.