Wie ist es wohl im 14. Jahrhundert mitten in London aufzuwachen? In einer Zeit, in der die Pest ganz Europa heimgesucht hat. Dank KI-generierter Videos, die gerade auf Tiktok viral gehen, kann man das hautnah erleben – insofern man das wirklich möchte.
Die Admins von "POV Lab" und "Time Traveller POV" nehmen Zuschauer:innen mit auf eine Mini-Zeitreise. In der Ich-Perspektive sieht man sich den unterschiedlichsten Szenarien und Epochen ausgesetzt. Doch inwiefern die kurzen Videos die Geschichte wirklich akkurat abbilden, sehen Historiker:innen kritisch.
Hinter den Accounts stecken Dan und Hogne. Dan erstellt die Videos, weil ihm die "Idee, die Vergangenheit aus der Ich-Perspektive zu sehen, wie eine einzigartige Möglichkeit erschien, Geschichte zum Leben zu erwecken", erzählt er der BBC.
Aber kann KI ein realistisches Bild der Vergangenheit zeichnen oder handelt es sich eher um modernisierte Versionen der Geschichte, die bloß der Unterhaltung dienen?
Hognes erfolgreichstes Tiktok-Video zeigt neblige Gassen, hustende Menschen und einen Pestarzt mit Schnabelmaske. Mittlerweile (Stand: 24. Februar 2025) wurde es 56 Millionen Mal angesehen.
Viele User:innen sind davon begeistert, doch die Historikerin Amy Boyington hält es vielmehr für "amateurhaft" und für "suggestiv und Sensationshascherei". Sie urteilt:
Boyington sieht in dem Mittelalter-Video mehrere historische Ungenauigkeiten. Zum Beispiel große Glasfenster in den Häusern und eine durch die Stadt verlaufende Bahnstrecke, die es im 14. Jahrhundert noch nicht gegeben hat.
Das scheint kein Einzelfall zu sein. Auch in anderen Videos wird die Geschichte nicht ganz detailgetreu wiedergegeben. Die Historikerin und Archäologin Hannah Platts sagt in Bezug auf ein Video, das den Ausbruch des Vesuvs in Pompeji zeigt:
Außerdem erkennt sie kleinere Fehler wie Weingläser mit Stiel und Pfeffermühlen, die damals noch nicht existiert hatten. Und: damals aßen Menschen im Liegen, statt am Tisch auf Stühlen zu sitzen.
Dan, der das Pompeji-Video kreierte, erkennt an, dass seine Arbeit in Details historisch ungenau sei. Laut Dan sind die Tiktoks jedoch eher eine künstlerische Interpretation der Geschichte als eine strikte Dokumentation.
Boyington sieht allerdings in den freien Interpretationen die Gefahr, dass die Geschichte dadurch umgeschrieben wird. Während den meisten Menschen bewusst ist, dass die Inhalte der Videos nicht echt sind, warnt die Historikerin vor dem Einfluss auf junge Menschen, die auf diese Weise möglicherweise zum ersten Mal etwas über eine Epoche erfahren.
Trotz der Fehler in den Tiktoks sehen die Historiker:innen ebenfalls einen Wert in den KI-Darstellungen. Sie haben die Hoffnung, dass sie Zuschauende dazu animieren, weiter zu der Geschichte zu recherchieren.