Im gewohnten Talkshow-Umfeld gibt sich der frisch gebackene Gesundheitsminister Karl Lauterbach ministrabel diplomatisch und will lieber von neuen Studien berichten und für die Impfung werben als um über Vergangenes zu streiten. Oppositionspolitiker Norbert Röttgen (CDU) lässt aber nicht ganz locker und unterstellt der Ampel-Regierung in den ersten Tagen schwerwiegende Fehler in der Pandemie-Bekämpfung. Journalistin Dagmar Rosenfeld findet vor allem für die Auftritte des neuen Bundeskanzlers Olaf Scholz kritische Worte: "Er geht überall hin, aber er sagt nichts."
Diese Gäste sind am Sonntagabend bei Anne Will:
"Was die Inszenierung angeht, hat die Ampel einen hervorragenden Start hingelegt", findet Journalistin Dagmar Rosenfeld. Die Ampel habe via Selfies und Presseauftritten eine Geschichte erzählt, die "eine ernsthafte Zuversicht versprüht". Doch die Taten in den ersten Ampel-Tagen seien keinesfalls so glänzend gewesen, lautet das Urteil der Chefredakteurin der "Welt". Warum? Rosenfelds Argumentation ist nachvollziehbar: Das Infektionsschutzgesetz wurde nun bereits zum dritten Mal nachgebessert, an der Impfpflicht, die immer kategorisch ausgeschlossen wurde, wird nun gearbeitet.
Demokratieforscher Wolfgang Merkel sieht den Ampel-Start ähnlich kritisch und greift zu Beginn der Sendung den allseits beliebten Talkshow-Gast und neuen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach an, der ihm gegenüber im Studio sitzt. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz sich für ihn als Gesundheitsminister entschieden habe, sei auch durch "Druck aus Talkshows" geschehen. "Keine Kritik an Talkshows in der Talkshow!", lacht Will. Lauterbach verzieht keine Miene und kontert dann: Scholz und er kennen sich seit 19 Jahren, der Kanzler wisse von seiner Expertise und habe deswegen seine Eignung nicht aus Talkshows abgeleitet.
Politikjournalistin Rosenfeld leitet auf das "Talkshow"-Diskussionsthema der letzten Wochen schlechthin über: die Impfpflicht. "Haben Sie wirklich alles getan, um die Menschen zum Impfen zu animieren?", will sie von Lauterbach wissen, der erst seit fünf Tagen im Amt ist. Nicht vollständig, gibt er zu, bevor er in seinen üblichen Erklärmodus verfällt. Eine Impfpflicht sei besonders wegen der Omikron-Variate nötig, betont er, würde aber Infektionen nicht verhindern.
Doch man hätte kaum noch Sterbefälle, lenkt Lauterbach den Blick zurück auf den Nutzen der Impfung. Deswegen sei Boostern, Impfpflicht und ein spezieller Impfstoff gegen Omikron seine Strategie.
Dass nun an einer allgemeinen Impfpflicht gearbeitet wird, bedeutet nicht, dass die Politik "etwas verdaddelt" hätte, rechtfertigt sich Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt. Die Situation sei schließlich so, weil es "aggressivere Varianten" gibt und die ursprüngliche Grenze einer Herdenimmunität dadurch nicht mehr zu halten sei.
Will lässt das wie gewohnt nicht einfach so stehen: "Haben Sie einen Fehler gemacht?", bohrt sie nach und bringt ein Pressestatement ins Spiel, bei dem Göring-Eckardt suggeriert habe, die Pandemie würde bald enden. "Also ich habe nicht gesagt, dass die Pandemie am 20. März vorbei sein wird", weist die Bundestagsvizepräsidentin die Schuld von sich und schiebt den schwarzen Peter dem Kollegen Marco Buschmann von der FDP zu.
Dann schaltet sich die Opposition in die Ampel-Kritik mit ein: "Das war ein schwerer Fehler", analysiert Norbert Röttgen, Kandidat für den CDU-Parteivorsitz, das Beenden der epidemischen Notlage. Seine Erklärung: SPD und Grüne hätten sich darauf eingelassen, damit die freiheitsliebende FDP die Koalition eingeht.
Es bringe nun überhaupt nichts, sich gegenseitig den schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben, kritisiert der neue Gesundheitsminister. Er will über Omikron und den Nutzen der Booster-Impfung informieren. Lauterbach gibt sich ministerial – Streitpunkte aus der vergangenen Pandemie-Bekämpfung weist er ab, obgleich sie erst Tage zurück liegen. Stattdessen nutzt er sein Wissen über die neusten Studien, um für die Impfung zu werben. "In keinem anderen Land in Europa wird derzeit so schnell geboostert wie in Deutschland", lobt er und dankt seinem Vorgänger Spahn. "Das ist mir so viel mehr wert, als zu schauen, wer hat was wann gesagt," so der Gesundheitsminister.
Wird die Union für eine Impfpflicht stimmen und gemeinsam mit den Regierungsparteien an einem Strang ziehen, will Politikwissenschaftler Merkel dann wissen. "Ja, das wäre unser Ansatz", sagt Röttgen, schließlich sei ein gemeinsames Verständnis und eine transparente Vermittlung in dieser Debatte wichtig. Er erwarte aber, dass auch die Regierung eine konkrete Meinung vertreten würde – das vermisse er derzeit.
"Ich halte es für eine Macht-Taktik, dass die Imfpflicht als Gewissensfrage eingereicht wird", kritisiert er nach Lauterbachs Ansage, wonach die Impfpflicht als Gruppenantrag – nicht als Regierungsantrag – in den Bundestag eingereicht werden würde. Auch hierbei würde die FDP nicht so spielen, wie SPD und Grüne das gerne hätten, vermutet Röttgen. Das lässt Göring-Eckardt so nicht stehen: Die Union habe "ein bisschen Opposition" machen wollen und bisher nicht bei der Impfpflicht-Debatte geholfen.
Ein Lob gibt es von Journalistin Rosenfeld dann aber doch noch: Das 19-köpfige Krisengremium von Olaf Scholz sei breiter und diverser besetzt. Altkanzlerin Merkel dagegen hatte sich immer nur von Wissenschaftlern Beratung eingeholt, die ihren Kurs unterstützt hätten, unterstellt Rosenfeld.
"Wir werden diese Beratungen verbindlicher in die Politik einfließen lassen, als manche es vielleicht erwarten", verspricht Lauterbach. Merkels Beraterkreis war kleiner und einseitiger, gibt er dann zu, geht dann aber überraschenderweise in die Verteidigung der alten Regierung: "Kein europäisches Land unserer Größe hat eine so geringe Sterblichkeitsrate gehabt."
Nach ihrem Lob an seinem Corona-Gremium findet Rosenfeld dann doch noch deutliche Kritik für den frisch gebackenen Kanzler Scholz. Er hätte bereits bei diversen Pressekonferenzen, unter anderem mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und auf seiner ersten Bundespressekonferenz, nicht auf Fragen geantwortet, unter anderem zum Umgang mit China. "Er geht überall hin, aber er sagt nichts", analysiert Rosenfeld Scholz knallhart. Bleibt nicht viel hinzuzufügen: Er müsse besser werden, resümiert auch Merkel.