Gehen Markus Lanz die Gäste aus? Kurz vor seiner Sommerpause knausert er mit Besuchern in seiner Talkshow. In der vergangenen Woche hatte er schon nur Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen im Studio, diesmal sitzt dem Moderator lediglich ein Gast gegenüber. Und dann noch ein guter Bekannter: der Philosoph Richard David Precht, mit dem Lanz seit September 2021 einen wöchentlichen Podcast hat. "Ich freue mich auf 75 Minuten mit Richard David Precht", frohlockt Lanz, der ungewohnt leger ohne Krawatte und Jackett moderiert.
Die Weltlage ist keine gute. Und das setzt vielen Leuten zu. "Das ganz große Gefühl, was viele Leute haben, ist das der großen Überforderung", glaubt Richard David Precht. "Das, was uns so selbstverständlich erschien, war eine große historische Ausnahme" – nämlich der Zuwachs an Wohlstand. "Diese ungebremste Wohlstandsmehrung wird es nicht mehr geben können. Die Zeit, wo wir auf der Insel der Seligen gelebt haben, ist vorbei." Doch diese Wahrheit sei bei den Menschen noch nicht wirklich angekommen. Das brauche eine Weile, genau wie beim Klimawandel.
Lanz hat aus einem Gespräch mit Grünen-Politiker Anton Hofreiter die Info mitgenommen, dass eine Meeresspiegelerhöhung von 10-15 Meter unausweichlich ist, selbst wenn man jetzt mit aller Kraft in der Klimapolitik gegensteuert. "Wir müssen uns jetzt schon auf ein ziemlich großes Katastrophenszenario einrichten." Natürlich trifft die von den Industrieländern verursachte Klimakatastrophe die Länder des globalen Südens am stärksten. Precht fasst es drastisch zusammen: "Unsere Lebensweise ist ein Genozid an der Bevölkerung Afrikas."
Lanz hingegen erzählt, wie er es gern tut, von einer Reise nach Afrika, wo er ein Kamel hat vor Dürre umfallen sehen und eine Ziege sich auf die drei Tropfen Wasser stürzte, die er aus einer Flasche in den Wüstensand geschüttelt habe. Er schwärmt von der Gastfreundschaft der Afrikaner, die ihn in ihrem einzigen Bett haben schlafen lassen und ihr karges Ziegenmilchfrühstück mit ihm geteilt haben, während er darauf gewartet hat, dass noch etwas Richtiges zu beißen kommt. "Wir haben Afrika auf sträfliche Weise vernachlässigt", urteilt Precht über Europa und dessen Entwicklungshilfe. "Wir kommen immer mit Moral", sagt Lanz. Die tatkräftige Hilfe bliebe oft zurück. Da würde man in Afrika mal einen Brunnen bohren und eine Schule bauen.
Die Chinesen würden mit günstigen Krediten und einem verlässlichen Stromnetz viel besser helfen. Precht hat da einen ungewöhnlichen Vorschlag: Jedes EU-Land solle sich ein afrikanisches Land aussuchen und bei diesem "als Ermöglicher mit am Tisch sitzen" und helfen. "Nicht mit der Moralkeule und nicht nur rein technisch wie die Chinesen." In diesem Zusammenhang spricht er sich nochmal für zwei soziale Pflichtjahre aus: eines, das nach der Schule absolviert werden muss und eines vor der Rente. Ingenieure könnten in Afrika sehr viel Gutes bewirken.
Dass keines der afrikanischen Länder die Sanktionen gegen Russland mitträgt, ist für Precht ganz logisch. Dies geschehe eher "aus Trotz" und "nicht aus tiefer Liebe zu Putin", glaubt er. Sie hätten eigene und viel größere Sorgen: 25.000 Menschen verhungern pro Tag in Afrika. In der Ukraine seien bisher 60.000 Menschen gestorben. Afrika hätte ganz andere Probleme und in ganz anderer Größenordnung.
Precht und Lanz reden sich warm. Die Themen sind fast gleich mit ihrem letzten Podcast vom 8. Juli. Lanz ist der Stichwortgeber, der vor allem mit persönlichen Erlebnissen oder Erinnerungen an Gesprächen teilhat. Precht antwortet, doziert manchmal. Die Stimmung ist trotz düsterer Themen locker. Die beiden duzen sich, es herrscht Bro-Style. Und bei dem, was beide anhaben, kann man auf die Idee kommen, dass sie zusammen shoppen waren. Unterscheiden kann man sie auf den ersten Blick nur an der Frisur und den Schuhen.
Precht, der sich mit anderen Prominenten in einem offenen Appell unter dem Titel "Waffenstillstand jetzt!" gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen hat, beklagt, dass in den Medien vor allem jene zu Wort kämen, die für Waffenlieferungen sind. Dabei seien die Waffengegner nicht in der Minderheit. "Es darf nicht passieren in einer pluralen Demokratie, dass die veröffentlichte Meinung so weit von der öffentlichen Meinung abweicht."
Der Westen müsse alles tun, "um einen Waffenstillstand zu erreichen", findet er. Seine Argumentation: Irgendwann werde es einen Waffenstillstand geben, je früher, desto mehr Leben würden gerettet. Er bezweifelt, dass die Waffenlieferungen die Ukraine an einen "Punkt der Stärke" bringen könnten, sie würden vielmehr nur den Krieg verlängern.
Darüber geraten Markus Lanz und Precht ein bisschen in eine Meinungsverschiedenheit: Precht spricht dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj jeden Verhandlungswillen generell ab, Lanz sagt, dass Selenskyj diesen gehabt habe bis zur Entdeckung des Massakers von Butscha. Angesichts der Gräueltaten könne er keine Zugeständnisse an Russland mehr vor seinem Volk rechtfertigen. "Dann gehen dir die Leute an die Gurgel." Für Lanz steht fest:
Aber bisher habe Putin mit all seinen Kriegen Gewinne erzielt. Precht entgegnet, dass er die Argumentation komplett nachvollziehen könne. Er glaube aber nicht, dass es gelingen kann, der Ukraine zum Sieg zu verhelfen. Precht ergänzt: "Wir verlängern das Unheil des Krieges. Wie viel Munition, wie viele Haubitzen müsste man in die Ukraine liefern, damit sie überhaupt eine Perspektive haben?" Lanz entgegnet angefasst: "Ich möchte in einer Wertegemeinschaft leben, wo Menschen sagen: 'Wir haben es wenigstens versucht.'"
Aber Precht lässt sich nicht beeindrucken: Durch die weitreichenden Folgen, zum Beispiel eine drohende Hungerkatastrophe in Afrika, habe der Westen Hunderttausende, wenn nicht Millionen, Tote mitzuverantworten, behauptet der Philosoph. Aber Lanz entgegnet, dass das vor allem Putins Schuld sei.
Lanz findet, das Ende des Krieges müsse allein von Ukrainern entschieden werden. Doch da hat Precht riesige Zweifel, dass das so sein werde. "Zu viele Leute haben zu viele Interessen in der Ukraine. Wer entscheidet am Ende darüber – ich weiß es nicht." Zwar würde auch er sich einen Sieg der Ukraine wünschen, aber: "Es deutet gerade im letzten Monat nichts darauf hin, dass diese Träume in Erfüllung gehen."
Precht hat eine ernüchternde Prognose: "Am Ende werden die westlichen Staatschefs, Deutschland vorweg, vor dem großen Problem stehen, dass Putin uns das Gas abdreht." Darum müssten Verhandlungen her. Und er geht sogar noch weiter: "Meine Vermutung ist, dass das längst hinter den Kulissen vorbereitet wird."
Würde man die "moralgeleitete Außenpolitik", die Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) proklamiert hat, wirklich betreiben, "dann würde unser ganzer Außenhandel zusammenbrechen", behauptet Precht. Und nach Katar zum Gaskaufen, wie es Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gemacht hat, dürfe man dann auch nicht fliegen. Aber in der politischen Welt-Realität habe es immer Handel mit schwarzen Schafen gegeben wie mit einem "Scheich, der ein Arschloch deluxe" sei. Beim Energie-Handel mit Russland sei das nun anders. "Die Frage ist: Warum wollen wir uns gerade in dieser Frage moralisch sauber machen?" Prechts Sorge:
Nach 75 Minuten beendet Markus Lanz die Sendung so förmlich, wie er es sonst auch bei normalen Sendungen mit mehreren Gästen macht. "Das war in vielerlei Hinsicht sehr inspirierend." Morgen kommt er dann wieder mit nur einem Gast: Alt-Bundespräsident Joachim Gauck. Es ist die letzte Sendung vor der vierwöchigen Sommerpause.