Die Welt zeigt sich immer noch schockiert von den Geschehnissen in den USA - so beginnt auch am Donnerstagabend "Markus Lanz" mit Live-Schalten zu Experten. Nach dem Sturm von Demonstranten auf das Kapitol in Washington, bleiben viele Fragen zurück. Während Moderator Markus Lanz mit seinen Gästen darüber diskutiert, ob US-Präsident Donald Trump mit Konsequenzen rechnen müsse, geht es im zweiten Teil der Sendung um die erneuten Maßnahmen gegen das Corona-Virus in Deutschland. Dabei zeigt sich insbesondere Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) demütig.
Zugeschaltet an diesem Abend ist der ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen, der über die Ausschreitungen in Washington berichtet. Besonders schockiert zeigt sich der Journalist davon, wie wenig Polizisten an diesem Tag die parlamentarische Institution schützen und zieht dabei einen deutlichen Vergleich:
Und er geht noch einen Schritt weiter: "Wenn die BLM-Demonstranten Waffen gezogen hätten, dann wäre das ganz anders ausgegangen als gestern." Nachdem das Kapitol schließlich doch geräumt werden konnte, kamen die Demonstranten "völlig aufgeheizt" wieder auf die anderen Seite des Gebäudes, wo auch die ganzen Journalisten ihren Platz hatten. Sie sollen Zäune umgeschmissen, Equipment wie Kameras kaputt gemacht und auch das Team vom ZDF angegriffen haben. Wenn sie nicht verschwinden, würde sie so enden wie ihr Equipment, soll gesagt worden sagt, erzählt Theveßen nach.
Der USA-Kenner ist der Meinung, dass dieses Spiel Folgen haben wird für den noch Präsidenten Trump. Dieser soll in seiner Rede vorher auch gesagt haben: "Wir werden zum Kapitol hinuntergehen." Auch der ehemalige US-Botschafter John C. Kornblum zeigt sich in der Sendung erschrocken darüber, wie "skandlös schlecht" die Sicherheitsvorkehrungen vor Ort waren. Die Ereignisse seien kein Putsch, aber dennoch auch keine Überraschung für ihn, erklärt der Ex-Diplomat: "Trump hat seit sechs Jahren schon gegen die bestehende Ordnung gekämpft". Im letzten Moment habe der Präsident noch einmal entlarvt, was er von der Demokratie halte. Der Experte sieht den Präsidenten dennoch nicht ins Gefängnis wandern und spricht eher von "symbolischen Handschellen" - dabei würde es eher um seine Steuer-Skandale gehen als um dieses Vermächtnis.
Susan Neiman ist Amerikanerin, Direktorin des Einstein Forums in Potsdam, und spricht an diesem Abend über ein Ereignis, das ebenfalls in den USA stattfand, aber das weniger Beachtung bekam, als der Sturm auf das Kapitol. Sie spricht vom Wahlsieg der Demokraten in Georgia und beschreibt diese als "welthistorische Wahl". Denn sie bedeutet, dass Mitch McConnell keine Rolle mehr im Senat spiele wird. Der US-Senator, der zu den Republikanern gehört, hat bereits bei Ex-Präsident Barack Obama dafür gesorgt, dass jegliche Initiative Obamas im Senat blockiert wurde und er somit vieles nicht erreichen konnte. Dasselbe hätte dem gewählten US-Präsidenten Joe Biden auch passieren können. Auch Neimann ist schockiert von den Bildern aus Washington, erinnert jedoch daran, dass Trump gesagt habe, er würde eine Niederlage nicht anerkennen.
Nach den USA geht die Diskussion in Deutschland weiter - wie verhältnismäßig sind die neuen Corona-Maßnahmen will Markus Lanz von seinen Gästen wissen. Dabei zeigt sich gleich einer von Beginn an reumütig. In Thüringen wütet das Virus besonders stark. Ministerpräsident Bodo Ramelow erzählt vom 28.10.20 - dem schärfsten Einschnitt in seinem Leben. Bei der Ministerpräsidentenrunde, bei der auch Kanzlerin Angela Merkel dabei war, setzte er sich noch für nicht ganz so strenge Maßnahmen ein. Er wollte sich nicht vorstellen, erneut alles "zumachen zu müssen". Doch an diesem Tag bekam er Zahlen zu Neuinfektionen und Todesfällen in seinem Bundesland gezeigt, die ihn "demütig machten", wie er selbst in der Sendung beschreibt.
Merkel, die stets für strengere Regeln plädiert hatte, sollte Recht behalten und auch das gibt der Linken-Politiker offen zu: "Sie hatte Recht, ich hatte Unrecht." Er erklärt - und will dabei nichts schönreden - er habe alle Zahlen und Fakten vorliegen gehabt, aber er habe "menschlich versucht, den leichteren Weg zu gehen". Er sei stets von "Hoffnung getrieben gewesen". "Hinter jeder Zahl steckt ein Mensch", sagt der Politiker und er gibt zu, er habe Angst, dass das Krankenhauspersonal es nicht schaffe. "Vor diesem Prozess hat die Kanzlerin klar gewarnt", fügt er hinzu. Er wolle keine Verantwortung abgeben, aber sagt klar, es sei die Hoffnung gewesen, die ihn getrieben habe.
"Warum waren Sie so überrascht von der Entwicklung?", hakt Lanz nach. "Ich war überrascht von der Dynamik", sagt Ramelow. Im Nachhinein könne man immer klug reden, trotzdem sagt er, hätte man im Dezember bereits alles komplett runterfahren und einen sehr harten Lockdown einführen sollen. Auch jetzt wäre er dafür, vier Wochen "alles anzuhalten und das Impfen hochzufahren". "Haben Sie also sieben Monate das Falsche gemacht?", will Lanz von ihm wissen. Doch darauf lässt sich der Ministerpräsident nicht ein und sagt, er habe einfach die Hoffnung gehabt, dass es so einfach weiterlaufen würde, wie es vorher in Thüringen war. Denn das Bundesland hatte den ganzen Sommer über kaum Fälle. Doch der Moderator will nicht lockerlassen und hakt darauf rum, Ramelow habe in der Vergangenheit auch die Maskenpflicht infrage gestellt. Da wird er etwas lauter und sagt, dass er immer für die Ernsthaftigkeit der Lage geworden habe. Er habe nur gesagt, man müsse aufhören, mit Notfallverordnungen zu regieren und das Parlament auch beteiligen.
Die Medizinethikerin Prof. Alena Buyx zeigt sich beeindruckt von der Einsicht Ramelows:
Ihr fehle in der deutschen Debatte sowieso die Fehlerkultur, deshalb halte sie solche Aussagen für "wichtig und erfrischend". Werden die neuen Regelungen denn nun etwas bringen, diskutiert die Runde. Und dabei geht es vor allem auch um die Regel, dass man sich ab einem bestimmten Inzidenz-Wert nur noch in einem 15km-Radius bewegen dürfe. Dabei beschreibt der Zeit-Journalist Martin Machowecz Szenen aus Leipzig, wo in den vergangenen Tagen sehr viele Menschen sich am Kanal zum Spazieren versammelt hätten. Er verstehe deshalb nicht, wieso es kein Problem ist, wenn Menschen sich in der Stadt tummeln, aber nicht 20 Kilometer rausfahren dürfen, beispielsweise in den Wald oder auf einen Berg. Denn am vergangenen Wochenende gingen viele Deutsche beim Schneefall in die Berge zum Rodeln. Dies sei auch kein Problem, erklären sowohl Ramelow als auch Buyx, aber die Buden, wo man sich eine Wurst oder einen Glühwein hole, seien das Problem.
Der Digital-Epidemiologe vom RKI, Prof. Dirk Brockmann, hat an diesem Abend gleich zwei interessante Zahlen dabei. Zum einen beschreibt er das Problem der Versammlung so: Wenn sich 10 Menschen träfen, gäbe es rund 90 Ansteckungswege. Wenn die Gruppe halbiert würde, sich also nur fünf Menschen träfen, sinke das Risiko auf nur noch 20 Wege. Dieser Unterschied sei eklatant. Und er weist auf ein weiteres Problem des vergangenen Wochenende hin: Eine seiner neuen Studie zeige Zahlen, die deutlich machen, dass deutlich mehr Menschen sich in diesem Jahr in die Berge bewegt hätten - zumindest an manchen Orten - als das zum selben Zeitpunkt 2019 war, als Corona noch kein Thema war. Die Leute waren somit nun mobiler als damals.
Am Ende der Sendung wird erneut über die zur Verfügung stehenden Impfstoffe gesprochen. Buyx versichert, dass Deutschland genug Impfstoff geordert habe, um 2021 für Herdenimmunität zu sorgen. Da jedoch auf viele Mittel vom Hersteller Astrazeneca gekauft wurde und dieser noch keine Zulassung der europäischen Arzneimittelbehörde bekommen habe, sei es schwierig einzuschätzen, wann alle geimpft werden könnten. Zudem sei bei den Herstellern Biontech und Moderna auch unklar, wie hoch die Produktionskapazität ist. Lanz möchte von der Medizinethikerin wissen, ob es richtig von der EU und Deutschland war, nicht mehr Stoff bei Biontech zu bestellen - schließlich habe sich auch der Hersteller selbst darüber gewundert. Sie sagt, sie könne darauf keine Antwort geben, weil man damals einfach nicht wissen konnte, wer zuerst liefern kann und wie viel geliefert werden kann.
"Hinterher kann man immer klug reden", sagt auch Ramelow dazu und verteidigt die europäische und deutsche Strategie. Im Sommer wurde noch an 15 Stoffen gearbeitet und man habe sich breit aufgestellt. Er vergleicht das Vorgehen mit dem vor einigen Jahren, als die EU zu viel Grippeimpfstoffe bestellt hatte, die danach weggeschmissen werden mussten, weil er Bedarf nicht da war. Auch damals sei die Kritik groß gewesen. Als Machowecz versucht dagegen zu halten, der Lockdown und die Hilfspakete seien teurer gewesen, als wenn sämtliches Geld in die Sicherung des Impfstoffes geflossen wäre, gerät die Diskussion am Ende etwas aus den Fugen. Ramelow hält dabei an seinem Beispiel fest und bleibt auch dabei, dass die EU mit ihrem Vorgehen richtig gehandelt habe.