Nach sieben Wochen Sommerpause ist Anne Will zurück auf dem Bildschirm. In den vergangenen Tagen hat die ukrainische Armee im Osten des Landes nach eigenen Angaben ein Gebiet dreimal so groß wie das Saarland zurückerobert. Zur Unterstützung hat die Bundesregierung jetzt neue Lieferungen schwerer Waffen angekündigt. Die von der ukrainischen Regierung geforderten Kampf- und Schützenpanzer westlicher Bauart sind bisher nicht darunter. Will verhandelt die Frage "Kampfpanzer für die Ukraine – warum zögert die Bundesregierung?" mit folgenden Gästen:
Gleich zu Beginn ist Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) für eine Viertelstunde Solo-Talk zugeschaltet. Und Anne Will fragt sie "Was ist das Problem mit den Kampfpanzern moderner westlicher Bauart?" Ihre Antwort ist nicht einfach und nicht eindeutig.
Das Magazin "Der Spiegel" berichtet in seiner aktuellen Ausgabe, dass die Außenministerin und der Kanzler Olaf Scholz (SPD) bei dieser Frage weit auseinander liegen. Baerbock dränge auf Panzerlieferungen, während Scholz sich weiter in Zurückhaltung übt.
Ein möglicher Grund sei laut Spiegel, dass Russlands Präsident Wladimir Putin in einem Telefonat Olaf Scholz mit einer atomaren Eskalation gedroht habe, falls Deutschland Panzer liefere.
Doch bei Anne Will stellt sich die Außenministerin vorbehaltlos hinter die Politik des Bundeskanzlers. Panzerlieferungen würde es nur "gemeinsam mit den internationalen Partnern" geben. Und bisher gelte: "Keiner geht den Schritt und wir können diesen Schritt auch nicht allein gehen."
Ein wenig hilflos wirkt die Begründung, dass die modernen Waffen in der Bedienung generell viel komplizierter seien. "Wir sehen, dass dieses Material, wenn es falsch bedient wird, schnell kaputtgeht." Zwar werde gerade ein Reparatur-Hub an der polnisch-ukrainischen Grenze aufgebaut, aber bei Kampfpanzern und den modernen Panzerhaubitzen sei das aber nochmal eine ganz andere Sache.
"Das ist ja nicht wie, wenn man ein Auto zum TÜV fährt. Es geht hier um hochmodernes Zeugs, wo ich die Details auch als Außenministerin nicht im Detail verstehe."
Baerbock wirkt jedoch zwischen Rationalität und Emotionalität zerrieben. Auf der einen Seite sagt sie:
Und dann ruft sie wieder dazu auf, einen "kühlen Kopf" zu bewahren: "Was wäre, wenn wir selbst Kriegspartei wären?"
Sie sei mit Olaf Scholz dauerhaft im Gespräch. "Wir treffen uns ständig. Wir sind ständig in der Absprache über die Frage: Wie können wir mehr unterstützen?"
Der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), ist nun Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Er merkt an, dass ja die Amerikaner keine modernen Panzer geliefert haben. "Einen Alleingang in dieser Situation finde ich eher unverantwortlich." Er lobt Olaf Scholz. "Diese Besonnenheit gehört zwingend zu einer Macht dazu." Trotzdem gelte: "Es gibt kein Einknicken vor der Rhetorik Putins." Er plädiert dafür, alle Vermittlungsmöglichkeiten und Plattformen zu nutzen.
Es müsse aber klar sein, dass Deutschland die Ukraine weiter unterstütze.
Oberst a. D. Roderich Kiesewetter (CDU) findet Bundeskanzler Scholz' Zurückhaltung "zumindest schwer nachvollziehbar". Der Kanzler habe ihm persönlich gesagt, dass es keine Bedrohung gegen Deutschland oder ihn selbst gebe. Die Schützenpanzer Marder, die sich die Ukraine unter anderem wünscht, seien knapp 50 Jahre alt. "Das sind ganz einfache Geräte." Da ginge es nicht um High-Tech, sondern darum, die ukrainischen Soldaten geschützt an die Front zu bringen, bisher würden sie zu Fuß gehen oder in Lastwagen fahren.
Spanien wollte sogar moderne Leopard 2-Panzer liefern, aber Deutschland hat sein Veto eingelegt. Kiesewetters Vermutung: "Putin bedient die deutsche Angst." Die Folge sei fatal: "Deutschland hat einen ziemlichen Vertrauensverslust in mittel und osteuropäischen Ländern erlitten."
Auch Ex-General Egon Ramms findet: "Da ist Deutschland schon der Stopper." Und er denkt, den Krieg, von dem viele vermuten, dass er noch lange dauern wird, in der Versorgungslage mit Waffen weiter. Denn eines Tages sind alle alten Waffen verbraucht:
Gemessen nach Bruttoinlandprodukt würde Deutschland bei Waffenlieferungen an die Ukraine nur auf Platz 17 liegen und werde seiner Position in Europa nicht gerecht.
"Die Wahrnehmung einer Führungsrolle aus der zweiten Reihe ist ein wenig schwierig. Man muss schon nach vorne treten, wenn man führen will. Wenn Deutschland eine Position der Stärke zeigt, hat das mehr Wirkung auf Putin."
Die amerikanische Historikerin und Journalistin Anne Applebaum ist mit dem ehemaligen polnischen Außenminister Radosław Sikorski verheiratet und lebt seit 2006 in Polen. Die Russen seien mittlerweile eine "demoralisierte Armee" –dass sie in Zivilkleidung weggerannt seien und die Waffen einfach liegengelassen hätten, zeige das. Die Gebietsgewinne seien ein wichtiger psychologischer Wendepunkt.
Deutschland habe ja auch mit seiner langjährigen Verbundenheit Russland gegenüber zur derzeitigen Lage beigetragen. "Die Lieferung von Panzern wäre die perfekte Art, die Führungsrolle zu zeigen."
(Ark)