Anfangs haben alle gedacht, dass die Ukraine den Angriff Russlands maximal zwei Tage übersteht. Dann hat sich die ukrainische Armee auch dank ausländischer Waffenimporte erstaunlich erfolgreich gegen die russischen Aggressoren gewährt. Was bisher aber immer klar blieb: Die westlichen Staaten liefern zwar Waffen, aber nur Defensiv-Waffen. Doch je länger der Krieg dauert, desto mehr ändern sich Sichtweisen. Frank Plasberg diskutiert das Thema "Grausamer Krieg, offener Ausgang: Was muss geschehen, damit die Ukraine siegen kann?" mit folgenden Gästen:
Jeder Krieg ende irgendwann, sagt Plasberg zu Anfang und Alexander Graf Lambsdorf führt den Gedanken fort. "Man muss sehen, dass man eine Lösung findet – ob mit oder ohne Putin – die Wahrscheinlichkeit ist leider wohl mit Putin", glaubt der stellvertretende FPD-Fraktionsvorsitzende.
Dass der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bei Putin zum Gespräch war, findet er in diesem Zusammenhang "nicht besonders schlau". Weil es von der russischen Propaganda bereits ausgeschlachtet werde als Zeichen dafür, dass Russland ja gar nicht isoliert sei. Und nicht nur wegen der laufenden Desinformation steht für ihn fest, dass der Krieg noch nicht so bald aus freien Stücken zu Ende sein wird.
Der Kampf Panzer gegen Panzerfaust ist das eine, das andere ist sind Wirtschaftsverhältnisse zwischen Russland und der Welt. "Die Ukraine kämpft für die Werte und Freiheit des Westens", findet Lambsdorff.
Aber Deutschlands Abhängigkeit vom Gas ist zur Genüge bekannt. Jüngst mahnte Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko nochmal an, dass an jedem Cent, der nach Moskau geht, Blut von ukrainische Zivilisten klebe, weil das Geld die Kriegsmaschine antreibe. "Man will keine wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland haben, das will eigentlich niemand mehr", sagt Lambsdorf im Brustton der Überzeugung. Und natürlich stichelt Plasberg und will wissen, was denn bitteschön "Gas kaufen" für eine Beziehung sei? "Wir wollen sie nicht haben – diese müssen sie noch eine Weile haben." Ein abrupter Verzicht aufs russische Gas würde zu schwersten Turbulenzen im deutschen Wirtschafssystem führen, das habe der Wirtschaftsminister ja jüngst erklärt. "Ich muss mich da auf Robert Habeck verlassen."
Ralf Fücks, Leiter der Denkfabrik "Zentrum Liberale Moderne", findet, dass sich nach deutschen Verhältnissen enorm bewegt habe "aber immer zu wenig und zu langsam" man habe das "Gefühl, dass die Dringlichkeit noch nicht angekommen ist in Berlin". Der Blitzkrieg sei gescheitert ist, nun gebe es eine Materialschlacht – deshalb müsse man nun Artillerie, Raketenabwehrsysteme, Kampf- und Schützenpanzer sowie Antischiffsraketen an die Ukraine liefern.
Er wirft den Vorschlag in die Runde, zwei Prozent der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für die Ertüchtigung der Bundeswehr in Aussicht gestellten 100 Milliarden Euro als militärische Soforthilfe in die Ukraine zu investieren. "Die Ukrainer sind im Grunde die Fußsoldaten Europas – sie kämpfen für unsere Freiheit." Und was das Gas angeht? Da ist er dagegen, sich "in Katastrophenszenarien einzumauern", Deutschland solle lieber aktiv werden. Er findet, man könne "im Gebäudebereich" mehr einsparen als bei der Industrie. Außerdem sieht er es fatalistisch: "Die Zeit der billigen Energie ist vorbei."
"Spiegel"-Reporter Christoph Reuter ist aus Kiew zugeschaltet und die Leitung bleibt immer mal wieder hängen. Er ist noch immer schockiert vom russischen Agieren, wie er es "nur vom IS für möglich gehalten hätte".
Beobachter hatten sich gewundert, warum die Bahnstrecke westwärts im ostukrainischen Kramatorsk bombardiert worden war. Einige Tage später wurde dann der Bahnhof voller Flüchtlinge mit einer Rakete beschossen. "Es war um die Menge der Wartenden zu erhöhen." 52 Tote gab es bei dem Raketenangriff der Russen. Der Wirbel ums Gas sei zweitrangig. "Den Ukrainerin ist die Gasfrage nicht annähernd so wichtig wie die Frage: 'Steht Kramatorsk nächste Woche noch?'"
So schnell eine Stadt verwüstet ist, so lang kann sich ein Krieg ziehen. Und das befürchtet Russland-Expertin Margarete Klein.
"Es kann sein, dass das alles noch sehr lange dauert." Der Krieg könne immer wieder "verschiedene Aggregatzustände annehmen", also von akut bis schwelend. Ihr völlig ernst gemeinter Rat: Schonmal ukrainische Soldaten an modernem Kriegsgerät schulen, dass man zur Verfügung stellen wird.
Früher ging sie auf Friedensdemonstrationen, heute befürwortet "Zeit-"Journalistin Petra Pinzler, schwere Waffen zu liefern. "Wenn man an einem bestimmten Punkt nicht 'Stop' sagt, legt Putin nach." Eine Eskalation auf Nato-Gebiet findet sie durchaus denkbar, "weil sich eine Rakete verirrt“, die etwa eine Waffenlieferung über Polen an die Ukraine stoppen will. "Es ist wie ein trauriges Aufwachen. Ich war immer stolz in einem Land zu sein, das anders auf Kriege blickt."