Nach vier Wochen Weihnachtspause meldet sich Frank Plasberg zurück. Und er ist bester Laune. "Die Pandemie hat Geburtstag", eröffnet er die Sendung süffisant und er behält diesen Ton die Sendung über bei. Auch wenn es gerade unangebracht ist. Passend zur Rückkehr von Plasberg und der Ausbreitung einer neuen Virusvariante heißt das Thema der Sendung: "Es geht wieder los: Wie hart werden die Wochen mit Omikron?" Der Moderator diskutiert mit folgenden Gästen:
Am 8. Dezember wurde Karl Lauterbach als Bundesgesundheitsminister vereidigt, vier Tage später hatte er seinen ersten Talkshowauftritt im neuen Amt bei Anne Will. Einen Monat später ist er nun bei Frank Plasberg zu Gast. Spürbar weniger forsch sind seine Aussagen als Minister. "Wir sind im Großen und Ganzen auf dem richtigen Weg unterwegs", sagt er dann auch auf Frank Plasbergs Frage nach seiner Einschätzung der beschlossenen Corona-Maßnahmen.
Der Virologe Christian Drosten hatte in der vergangenen Woche in seinem Podcast davon gesprochen, dass man aufgrund der Gesamtsituation "die Tür für das Virus an einigen Stellen öffnen" müsse, aber da ist Lauterbach ganz der Alte. "Dem Virus müssen wir die Tür nicht öffnen, es kommt von alleine rein." Es gehe vor allem darum, "Zeit zu gewinnen", um die Krankenhäuser nicht zu überlasten. Die Pandemie so wie in England einfach "durchlaufen zu lassen" (Plasberg) mit der dem bisherigen Anschein nach weniger gefährlichen Omikron-Variante sei eine "unethische Wette", findet Lauterbach.
Es gebe hierzulande 4-5 mal mehr ungeimpfte Menschen über 65 Jahre als in England. "So ein Experiment ist bei uns überhaupt nicht tragbar. Man sieht, dass Omikron keine Kleinigkeit ist für Ältere, die ungeimpft sind." Impfstoff gebe es genug, versichert Lauterbach. "Wir können jeden, aber auch wirklich jeden impfen."
Dafür gibt es ein anderes Problem, von dem die wenigsten bisher gehört haben dürften: Frank Plasberg macht auf Berichte von Labor-Insidern aufmerksam, wonach die Kapazitäten nicht ausreichen, um die Tests auszuwerten, sollte die Inzidenz in Deutschland flächendeckend über 1000 steigen. Bei höheren Inzidenzen droht also ein Blindflug. Lauterbach widerspricht nicht, betont aber, wir hätten "Kapazitäten, um die uns andere Länder beneiden", und es sei ja "noch Raum". Erstaunlich lässig nimmt er auch die bekanntermaßen falschen offiziellen Corona-Zahlen seit Weihnachten hin. Das liege eben am Urlaub, wo sich weniger Bürger testen lassen und Mitarbeiter der Gesundheitsämter eben auch im Urlaub seien. Man könne das ja zwischendurch hochrechnen aufgrund der Erfahrungen.
Mahnen und machen sind eben leider unterschiedliche Aufgaben. Doch an idealistischem Einsatz fehlt es Lauterbach noch immer nicht. Demonstranten und Menschen mit Bedenken höre er grundsätzlich zu. "Man muss sich alles anhören, man darf nicht die Position vertreten: Man weiß alles." Er bekomme da durchaus manchmal Ideen, was man noch besser kommunizieren müsse. Zum Beispiel die Wirkungsweise der Impfung. Plasberg fragt unangemessen spöttisch:
Aber der Bundesgesundheitsminister lässt sich nicht provozieren. Unberirt erzählt er, dass Corona-Demonstrationen seine politischen Entscheidungen nicht ändern.
In einer Umfrage Ende Dezember landete Lauterbach knapp hinter Angela Merkel in einer Rangliste der beliebtesten Politiker. Aber es gibt auch einige, die ihn zum Sündenbock für die ihrer Meinung nach falsche Corona-Politik machen wollen. In der Silvesternacht wurde die Scheibe seines Abgeordnetenbüros eingeworfen, Morddrohungen im Internet gibt es auch zahlreiche. Als Minister erfährt er Personenschutz und fühlt sich "sehr gut geschützt durch das BKA", auch wenn er nichts mehr spontan machen könne. "Ich brauche lange Vorlaufzeiten, weil sonst der Schutz nicht organisiert werden kann." Übrigens werden die Urheber der Internetdrohungen ermittelt und strafrechtlich verfolgt. "Ich bin immer wieder überrascht, wie viele sich auch mit Nennung des Klarnamens artikulieren."
Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, ist ein bisschen zu bedauern. Frisch in der Opposition wird er auch noch von Plasberg aufs Glatteis geführt: Der Moderator fragt den CDU-Politiker, ab wann die am vergangenen Freitag in der Bund-Länderrunde beschlossenen Corona-Regeln gelten. Frei lacht erstmal verschämt und ringt sich dann zu einer Antwort durch. "Die neuen Regeln gelten ab jetzt, sie werden umgesetzt in den Verordnungen der Länder." Aber Plasberg weist ihn darauf hin, dass die verkürzten Quarantäne-Regelungen noch nicht gelten und dieser Irrtum für viele Diskussionen zwischen Ärzten und Patienten sorgt.
Frei findet, dass Deutschland mit der Politik bisher vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen ist. Da ist Claudia Kade, Ressortleiterin Politik bei "Die Welt", anderer Meinung: Es gebe mehr Suizide bei Jugendlichen, die Bildung habe gelitten und Essstörungen zugenommen. Doch Bundesgesundheitsminister Lauterbach meldet leise Zweifel an dieser Sicht an. "Ich glaube, dass ein Großteil dieser Probleme an der furchtbaren Pandemie liegt, nicht am Lockdown, das geben meiner Ansicht nach die Studien nicht her." In anderen Ländern mit milderen Maßnahmen gebe es ganz ähnliche Beobachtungen, weil die Pandemie eine "psychisch enorm belastende Zeit" gerade für Kinder sei.
Und nicht nur für die. Hausärztin Anke Richter-Scheer berichtet, dass sie "dünnhäutiger" geworden sei. Gerade ist ein jüngerer Arzt-Kollege an Corona gestorben, obwohl er doppelt geimpft war. Man merkt, dass ihr sein Tod nahe geht. Plasberg aber ist nicht dünnhäutiger geworden im Weihnachtsurlaub. Ganz im Gegenteil: Er fragt die Ärztin, was sie einem Impfgegner antwortet, der nun vor dem Fernseher sitze und sich denke:
Die Antwort der Ärztin: "Umso wichtiger ist, dass wir uns boostern lassen." Und das möglichst schnell.
Aber schneller sei nicht unbedingt besser, widerspricht ihr Lauterbach. Die Wirkung der schnell aufeinander verabreichten dritten und vierten Impfung sei "nicht so überzeugend wie man gehofft hatte", hätten Studien aus Israel ergeben. Es würde nach derzeitiger Datenlage einiges darauf hindeuten, dass der optimale zeitliche Abstand zwischen den beiden Boostern sechs Monate betrage.
Die Journalistin Antonie Rietzschel ist zum Einzelgespräch geladen. Sie berichtet für die "Süddeutsche Zeitung" aus Leipzig. Plasberg spricht mit ihr über die Lage in den östlichen Bundesländern. Den Grund für die besonders hohe Zahl von Impfunwilligen in Sachsen und Thüringen sieht sie in der "Diktaturerfahrung" der ehemaligen DDR-Bürger. Viele ihrer Nachbarn würden denken: "Wir kennen die Zeit, wo man versucht hat, uns vorzuschreiben, was wir machen sollen." Und nun sei ihre Haltung: "Der Staat soll sich um mich kümmern und wenn der Staat nicht das macht, was ich von ihm erwarte, gehe ich auf die Straße und fordere was. Und wenn er dann immer noch nichts macht, wechsele ich in den Widerstandsmodus."
So interessant die Erklärungsansätze sind, so schade allerdings ist es auch, dass es in diesem Gespräch nicht einmal die Spur eines Lösungsansatzes gibt.