Mit bis zu 200 Milliarden Euro will die Ampel-Regierung den gestiegenen Energiepreisen entgegensetzen, um so Firmenpleiten und Privatinsolvenzen zu verhindern. Kern der Regelung sind Strom- und Gaspreisbremse, wie genau das Hilfepaket der Ampelkoalition aussieht, weiß noch niemand. "Deutschland hat diese Woche ein neues Wort gelernt, das nicht zum Ernst der Lage passt und das dem Erfinder vielleicht noch auf die Füße fällt", orakelt Anne Will. Mit ihren Gästen bespricht Anne Will: "Milliardenschwerer 'Doppel-Wumms' gegen die Krise – Muss sich jetzt niemand mehr sorgen?"
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gilt nicht gerade als spritziger Redner. Aber wenn es um die Verkündung von Hilfepaketen geht, packt ihn regelmäßig die Formulierungslust. Bei Corona-Hilfen, damals noch als Finanzminister, sprach er von der "Bazooka", bei den 100 Milliarden für die Bundeswehr von der "Zeitenwende" und nun, bei den 200 Milliarden Euro gegen die hohen Energiepreise, ist es der "Doppel-Wumms".
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert gibt zu, dass das "erst einmal nur Worte" seien. Aber die Politik habe nun "ein Spielfeld von 200 Milliarden Euro abgesteckt", um die nächsten zwei Heizperioden zu überstehen. Damit könne man den Grundbedarf an Strom und Gas preislich deckeln, dazu Gasimporteure wie Uniper absichern und auch Liquiditätshilfen für Unternehmen zur Verfügung stellen. Aber er macht auch deutlich: "Wir müssen natürlich auch einsparen als Gesellschaft. Die Verbrauche sind im Moment noch zu hoch."
Der Gaspreisdeckel habe den Zweck, dass sich niemand Sorgen machen müsse, wenn er an den Herbst oder den Winter denkt, so Kühnert. "Das Subventionieren am Preis hat den großen Vorteil, die Kosten entstehen für den Haushalt erst gar nicht."
Dem Vorwurf der Gießkannensubvention beantwortet er mit einer gewissen Ironie: Um genau zielgerecht subventionieren zu können, müsse man eine Bundesbehörde schaffen, die Arbeitsverträge und Gasverbrauch zusammenbringt. "Dann ist es supergerecht, aber dann ist es auch 2027 und die Menschen in der Privatinsolvenz." Bisher sei die Bundesregierung auch nicht untätig gewesen und habe drei Entlastungspakete mit 100 Milliarden Euro aufgelegt. Besonders erinnert Kühnert er an die Möglichkeit, dass Unternehmen jedem Arbeitnehmer bis zu 3000 Euro steuerfreie Inflationsprämie als Unterstützung zahlen können. "Nicht alle Unternahmen sind kurz vor der Insolvenz, manche haben auch Rekordgewinne gemacht."
Wann denn mit Ergebnissen der Kommission zu rechnen sei, fragt Anne Will. Und Kühnert rechnet in den nächsten ein bis zwei Wochen damit. Die Ergebnisse würden dann "sehr kurzfristig spürbar" für die Bürger und sie könnten auch rückwirkend gelten.
Als Vertreter der Opposition gibt sich Andreas Jung, stellvertretender Bundesvorsitzender und energiepolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, natürlich skeptisch, was die Regierungspolitik angeht. "Mal abwarten, was da jetzt wirklich rauskommt", schließlich befänden wir und schon im achten Monat des Krieges.
Mit dem Hin und Her um die Gasumlage habe sie ein "Maximum an Chaos geschaffen".
Völlig kontraproduktiv findet Antje Höning, Leiterin der Wirtschaftsredaktion "Rheinische Post", den Gaspreisdeckel. Denn es gehe ja nicht nur um die hohen Preise, sondern um die Verfügbarkeit überhaupt. "Damit nehmen wir einen wichtigen Sparanreiz – weil die Leute schon jetzt nicht sparen, trotz hoher Preise." Hintergrund: Die Bundesnetzagentur hat jüngst gemeldet, dass der Gasverbrauch über dem des Vorjahres liegt.
Außerdem dürfe die Regierung nicht einfach mit der Gießkanne durch Deutschland laufen und Hilfen verteilen. "Ein Bayer-Chef braucht keinen Tank-Rabatt."
Ein wichtiger Punkt sei auch, dass die Politik sich ehrlich machen müsse. Und obwohl es einen rein technischen Unterschied zwischen der Finanzierung aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds und der Aushebelung der Schuldenbremse gebe, verstünden die Leute, "da ein bisschen veräppelt werden" mit den Begrifflichkeiten. "Denn Schulden werden gemacht."
Für dieses Hin und Her, vor allem bei der nun gekippten Gasumlage, werden vor allem Unstimmigkeiten zwischen Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verantwortlich gemacht. Doch FDP-Fraktionsvorsitzender Christian Dürr findet:
Aber nun würde die Ampel mit dem Doppel-Wumms direkt "bei der Wurzel des Problems" ansetzten, nämlich bei den hohen Preisen. "Das ist nicht ganz einfach, aber richtig."
Es gebe jetzt drei Aufgaben: Man müsse die Gasmenge verringern, außerdem auch Kohlekraftwerke und AKW weiterbetreiben. "Es muss jetzt wirklich alles ans Netz". Außerdem müsse man die Preise senken und drittens, "wo Bedürftigkeit ist", zusätzliche Unterstützung leisten. Aber die Kostensteigerungen "betrifft die breite Mitte der Gesellschaft – auch den Mittelstand".
Ganz besonders hart treffen die Preissteigerungen allerdings jene Menschen, die ohnehin schon sehr wenig Geld haben. Sie kommen seit langem regelmäßig zu Sabine Werth, Gründerin und Vorsitzende der Berliner Tafel. 1993 hat sie die erste Tafel in Berlin gegründet, inzwischen gibt es 960 Vereine in Deutschland, wo Menschen mit wenig Geld gespendete Lebensmittel bekommen. Inzwischen würden viele neue Menschen mit dem Satz "Ich hätte nie gedacht, dass ich mal zur Tafel gehe" bei ihr vorstellig werden. Zum Teil hätte die Pandemie die Ersparnisse der Bürger aufgebraucht, es würden sich aber auch mehr Solo-Selbstständige und Menschen, deren Firmen Insolvenz angemeldet hätten, bei der Tafel versorgt. Und das sei vermutlich noch nicht die Spitze.
Zwar sei die Hilfe von der Regierung in Aussicht gestellt, aber gleichzeitig wüssten die Menschen noch nicht, wie genau sie umgesetzt werde. Allgemein beobachte sie parallel zur wirtschaftlichen Verschlechterung und auch dem Absinken der Essensspenden eine beunruhigende Entwicklung: "Am Anfang gab es eine unheimliche Solidarität mit Ukraine-Flüchtlingen. Jetzt nimmt das langsam ab."
(ark)