Die Ampelregierung möchte an das Gesetz § 219a StGB ran – das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche soll gekippt werden. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) legte dafür vor wenigen Tagen einen Entwurf vor. Die CDU ist dagegen und möchte beim Werbeverbot bleiben. Diese Debatte führte am Donnerstagabend die neue Familienministerin Anne Spiegel (Die Grünen) mit Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) stellvertretend bei "Markus Lanz". Obwohl Lanz mehrfach versuchte, die Ministerin zu provozieren, ließ sie sich nicht abbringen und gab am Ende zu verstehen: "Angst spielt keine Rolle in meinem politischen Koordinatensystem!"
Doch bevor es um Schwangerschaftsabbrüche geht, debattiert die Runde bei "Lanz" zunächst über Corona – und ein mögliches Ende der Pandemie. "Omikron könnte den Übergang markieren", sagt der Wissenschaftsjournalist Kai Kupferschmidt und meint damit, dass die sich schnell ausbreitende Variante zu so vielen Infektionen führen könnte, dass jedes andere Virus, das auftaucht, auf eine stark immunisierte Gesellschaft trifft. Trotzdem will er sich nicht zu früh freuen, denn die hohen Infektionszahlen würden an anderer Stelle zu Problemen führen – beispielsweise, wenn viele Menschen bei der Arbeit ausfallen und die kritische Infrastruktur damit überlastet wird.
Keine Masken, keine Beschränkungen: Der britische Premier Boris Johnson hat beschlossen, das Ende der Pandemie einzuläuten, obwohl die Inzidenzen in seinem Land hoch sind. Gleiches gilt für Spanien. Dort hat Ministerpräsident Pedro Sánchez beschlossen, Corona wie eine Grippe zu behandeln. Warum folgt Deutschland diesem Modell nicht? Kupferschmidt ist der Meinung, dass sich die Mittel nicht einfach übertragen ließen. Beide Länder haben eine höhere Impfquote als Deutschland und mehr natürliche Infektionen. Außerdem warnt er vor den Langzeitfolgen der Erkrankung, über die noch immer zu wenig bekannt sei.
Bundeskanzler Olaf Scholz, der den spanischen Regierungschef erst kürzlich traf, will sich dazu nicht konkret äußern. Die Journalistin Kristina Dunz, die an diesem Abend ebenfalls anwesend ist, begleitet ihn bei dieser Reise.
Für die Journalistin ist klar: Scholz möchte die Frage nach einer Impfpflicht oder gelockerten Maßnahmen nicht beantworten, weil niemand weiß, wie sich die Welle im Herbst verhalten wird. Und weil die Regierung die Sache mit der Impfpflicht nicht hinbekommt, stolpern wir dort rein. Von politischer Führung ist da nichts zu sehen, meint Moderator Markus Lanz. In Spanien wurde der Bundeskanzler darauf angesprochen, ob Spanien nicht ein Vorbild für Deutschland sein könnte. Daraufhin lautete seine Antwort: Was die Pandemie betreffe, sei man sich mittlerweile einig, dass es eine weltweite Pandemie ist.
"Was will Ihr Chef uns sagen, Frau Spiegel?", richtet Lanz das Wort an die neue Familienministerin. "Ich finde es richtig, dass wir uns langsam rantasten." "Das war nicht meine Frage. Wie finden Sie die Antwort von Ihrem Chef? Hat er einen Plan?", hakt der Moderator nach. "Es gibt einen Plan und der Plan ist, dass wir uns vorsichtig herantasten." Die Grünen-Politikerin erklärt weiter, dass es zum Thema Impfpflicht eine Orientierungsdebatte im Bundestag geben wird. Für Kupferschmidt ist hingegen klar, dass noch nicht einmal verstanden wurde, dass es sich bei der Pandemie um ein weltweites Geschehen handelt. Wäre dies so, hätten wir die Impfstoffe verteilt.
Als Bundestagsabgeordnete haben sich sowohl Olaf Scholz als auch Karl Lauterbach für eine Impfpflicht ausgesprochen. In ihren Ämter als Kanzler und Gesundheitsminister nehmen sie davon jedoch Abstand und betonen, dass das Parlament entscheiden soll. "Sie sind doch gewählt, um Führung zu übernehmen", sagt Lanz, "wozu brauchen wir dann eine Regierung?" "Also, das ist mir jetzt zu polemisch. Natürlich brauchen wir eine Regierung und wir brauchen den Bundestag. Beide erfüllen ihre Funktion." Kupferschmidt ist der Meinung, je länger die Impfpflicht auf sich warten lässt, desto schwieriger sei sie zu vermitteln. Wenn immer mehr Menschen an Corona erkranken und die Immunität gesamtgesellschaftlich erhöht wird, würde es schwer werden, gute Argumente dafür zu finden.
Die Ampel möchte das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche abschaffen, während die Opposition, insbesondere die CDU, den Paragraphen unverändert lassen möchte. Die CDU-Politikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker sieht die Gefahr eines kommerziellen Missbrauchs, falls das Gesetz geändert werden sollte. Wenn Werbung dafür auf Social Media oder Google geschaltet würde, würden Praxen, die das durchführen, eine hohe Aufmerksamkeit erhalten, erklärt die Richterin a. D. Für sie gehe es darum, dass die bisherigen Schutzkonzepte bestehen bleiben. Der Schutz des Lebens des Kindes würde ein "Stück weit verloren gehen", wenn der Schwangerschaftsabbruch so beworben würde wie andere Sachen – dabei zieht die Politikerin einen Vergleich zu Schönheits-OPs.
Dunz findet allein das Wort "Werbung" bereits unangebracht – denn es gehe um Informationen und nicht um Werbung. Die Journalistin kann sich nicht vorstellen, dass das Thema auch nur ansatzweise banalisiert würde. Außerdem würde der § 218 StGB, der regelt, wie lange eine solcher Abbruch durchgeführt werden darf und unter welchen Bedingungen, dafür sorgen, dass es klare Grenzen gibt. Sie macht zudem der CDU einen Vorwurf: Die Kirche, die zuletzt eher mit Missbrauchsfällen von sich reden machte, wehrt sich vehement gegen das neue Gesetz. Dunz sagt, gerade christliche Frauen, die vor solch einer schwierigen Entscheidung stehen, bräuchten genau die CDU, die ihnen hilft.
"Ich bin schon in Wallungen geraten", sagt Spiegel und meint dabei den Vergleich von Schönheits-OPs und Abtreibungen. "Keine Frau macht sich so eine Entscheidung leicht. Das ist für die Frauen persönlich eine ganz schwierige, extreme Situation." Die Richterin gibt zu verstehen, dass sie falsch verstanden wurde und sie lediglich sagen wollte, dass es ihre Sorge sei, dass dies gleichgestellt werden könnte, wenn das Verbot gekippt wird. Auch bei Twitter allerdings wurde ihr Vergleich kritisch gesehen, unter anderem die SPD-Politikerin Derya Türk-Nachbaur meldete sich hier zu Wort:
Eigentlich möchte Winkelmeier-Becker auf etwas anderes hinaus. Ihr geht es als Juristin auch um das Lebensrecht des Kindes. Dieses könne zu dem Zeitpunkt nur über die Mutter geschützt werden, da das ungeborene Kind nicht selbst entscheiden kann. Genau deshalb gäbe es in Deutschland Beratungsgespräche vor Abtreibungen und eine dreitägige Bedenkzeit, bevor man einen solchen Eingriff vornehmen darf. "Das Kind steht unter unserer Grundrechtsstruktur und damit steht es im Konflikt mit dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter.
Lanz fragt sich, ob die Debatte um § 219a StGB nicht ein Nebenkriegsschauplatz sei und es eigentlich genau um 218 geht – also um die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen. Spiegel sagt dazu, im Koalitionsvertrag sei vereinbart worden, dass dafür eine Kommission eingesetzt würde, um darüber zu verhandeln. "Wie ist denn ihre persönliche Haltung dazu?", versucht Lanz sie etwas zu provozieren. "Ich finde es richtig, dass es eine Kommission gibt." Hierbei ginge es doch um eine Gewissensfrage, eine Frage, wo man eine Haltung hat, sagt Lanz und versucht sie weiter in die Ecke zu drängen. "Ich muss Ihnen sagen, die Kommission ist wichtig", betont die Ministerin. "Aber Sie persönlich, Frau Spiegel?" "Ich stehe zur Kommission.
Winkelmeier-Becker findet es "schrecklich", dass die Familienministerin mit keinem Wort das Kind erwähnt. Da sei bei den Koalitionsverhandlungen genauso gewesen, betont die Richterin. "Das ist eine Koordinatenverschiebung in der Konfliktbetrachtung", sagt sie, obwohl es sich dabei um einen "existenziellen Konflikt" handelt. "Das lasse ich hier nicht so stehen, dass wir das nicht angesprochen haben. Das stimmt nicht", macht Spiegel deutlich.
Am Ende möchte es Lanz noch einmal versuchen: "Wenn ich böse wäre, würde ich Ihnen sagen, dass Sie sich hinter der Kommission verstecken", sagt er zu Spiegel. Doch die Grünen-Politikerin bleibt dabei, dass das Thema zu komplex sei, es um Leben oder Tod gehe und es deshalb einer breiten Debatte bedarf. Und sie führt noch deutlich aus: "Von Angst als Motiv lasse ich mich nicht treiben. Ich hatte vier Jahre Personenschutz, weil ich mich für Geflüchtete eingesetzt habe. Angst spielt keine Rolle in meinem politischen Koordinatensystem."