Irgendwann fing Arafat Abou-Chaker einfach an zu zeichnen. Er kritzelte etwas auf seinem Papier herum, setzte gelegentlich geschäftig seine Brille auf und füllte die vorgezeichneten Konturen aus. Was er dort und sich ausgemalt hat, bleibt sein Geheimnis. Vielleicht auch einfach nur seine Zukunft. Die Stimmung auf der Anklagebank war jedenfalls sichtlich ausgelassen.
Am Montag ging der Prozess gegen den Berliner Clanchef Arafat Abou-Chaker und drei seiner Brüder in die nunmehr 107. Runde. Im Mittelpunkt des Verhandlungstags stand diesmal eine Audiodatei, nach dessen Abspielen sich die Verteidigung um Hansgeorg Birkhoff triumphal zeigte.
Bei besagter Datei handelte es sich um einen Audio-Mitschnitt von einem Restaurantbesuch des italienischen Lokals "Angelini" im Berliner Randbezirk Steglitz vom 1. Februar 2018. Im Mittelpunkt: Arafat Abou-Chaker, Bushido (bürgerlich: Anis Ferchichi) und dessen Frau Anna-Maria Ferchichi. Die Ausgangsfrage lautete: Hat Arafat Bushido bedroht?
Nach einigen unverständlichen Anfangsminuten ertönte zuerst die Stimme von Arafat hörbar: "Es ist alles gesagt." Das war es anscheinend aber nicht, das Gespräch sollte sich noch lange ziehen. Schnell entwickelte sich zwischen Arafat und Bushido eine Gesprächsdynamik, wie man sie sonst nur aus deutschen Talkshows kennt: Themen werden angesprochen, es wird emotional, der Ausgangspunkt franst aus und am Ende dreht man sich im Kreis.
Konkret ging es bei den Themen um die "Vergangenheit und die Zukunft", wie Bushido an einer Stelle erwähnte. Es sollte geklärt werden, wer von wem wie viel Geld bekommt, wer welche Ansprüche stellt und worauf sich die finanziellen Kennziffern überhaupt beziehen.
Die beiden Protagonisten betonten fortwährend, dass man etwas vereinbart habe und sich laut Arafat auch "im Großen und Ganzen einig" sei. Aus dem späteren Verlauf ergibt sich, dass es dabei um die finanziellen Anteile an den vorherigen drei Alben sowie um die Einnahmen aus den Tourneen gehe. Allerdings gingen beide von unterschiedlichen Referenzgrößen aus.
So erklärte Arafat, dass allein aus dem Album "Black Friday" ein Wert von 1,2 Millionen Euro aus dem analogen und weitere 1,1 Millionen Euro aus dem digitalen Verkauf angefallen sei. Bushido schien sich dessen unsicher. Nach langem Hin und Her wiederholte Arafat, dass sie beide ihre "Hausaufgaben" machen sollten. Also: Listen der jeweiligen finanziellen Vorstellungen. Dabei wirkte auch Anna-Maria Ferchichi an der Diskussion mit. Zum Leidwesen von Arafat.
"Anna-Maria, misch dich nicht ein", sagte Arafat an einer Stelle in oberlehrerhaftem Ton. "Ich rede nicht mit dir, ich rede mit deinem Mann." Generell nannte Arafat jedes Mal Anna-Marias Namen, wenn er sie ansprach. Als wolle er ein renitentes Kind erziehen. Bushido sprach der Clan-Chef stets mit seinem Künstlernamen an, alternativ mit "Bushi". Auch das verdeutlichte, was in dem Gespräch im Fokus stand: Geld. Trotz alledem war der Umgangston überwiegend gemäßigt.
"Mir wäre am liebsten, dass wir uns zumindest noch mit Respekt in die Augen sehen", sagte Bushido, der zunehmend beschwichtigend auftrat und vor allem um eine gerechte Zukunftsplanung bemüht war. "Ich werde dir keine Steine in den Weg legen", sagte Arafat. "Lieber habe ich fünf bis sechs eklige Monate, als 15 Jahre Streit. Wallah."
Sobald die Sache geklärt sei, werde Bushido von ihm "nicht einen Pieps hören". Seine Integrität gedachte er mit einer Revue ihrer gemeinsamen Zeit zu unterstreichen. "Wie lange kennen wir uns schon?", fragte Arafat. "Ich wurde wegen dir beschossen!" Schließlich folgte der Moment, den die Verteidigung später als entscheidend hervorhob. "Habe ich dich jemals geschlagen?", fragte Arafat in Richtung von Bushido. Bushido verneinte.
Ganze drei Anwälte haben unterdessen während der Verhandlung den Saal verlassen, ein Justiz-Beamter schloss gemächlich die Augen, eine andere Beamtin malte auf ihrem Kaffeebecher herum. Und auf der Anklagebank: zufriedene Gesichter. Nachdem der Mitschnitt schließlich beendet war, erklärte Verteidiger Hansgeorg Birkhoff auch den Grund dafür.
Die ganze Atmosphäre zeige, sagte Birkhoff, dass die Vorwürfe, die die Tonbandaufnahme vom 18. Januar 2018 betreffen, nicht der Wahrheit entsprächen. Zur Erinnerung: An dem Tag soll Bushido angeblich eingesperrt, bedroht und mit einer Wasserflasche geschlagen worden sein.
Die nun abgespielte Aufnahme, die schließlich nach dem angeblichen Vorfall stattgefunden habe, diskreditiere nicht nur wegen der Verneinung Bushidos in puncto Körperverletzung, sondern auch wegen der insgesamt vornehmlich harmonischen Atmosphäre die erhobenen Tatvorwürfe, befand Birkhoff. Sonst hätte das Treffen in der Form gar nicht stattfinden können.
Eine Schöffin merkte an, dass der Dateiname nicht zwingend beweise, dass die Aufnahme wirklich am 1. Februar 2018 entstand. Brinkhoff entgegnete, dass man das aufgrund der während der Datei zu hörenden Referenzen rekonstruieren könne und antwortete etwas unwirsch: "Jeder hört natürlich das, was er hören will."
Ursprünglich waren nach dem Verhandlungstag noch drei weitere Termine angesetzt. Der nächste am 23. November und zwei im Dezember. Aller Voraussicht nach wird der Zeitplan nicht einzuhalten sein. Im Dezember, sagte Hansgeorg Birkhoff, seien einige Verteidiger nicht da.
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