Leben
watson-Story

Auf der Flucht mit dem Haustier: Tierrettungen aus der Ukraine

Die aus der Ukraine geflüchtete Kate Uvarova steht mit Hündin Elsa nahe der Zentralen Erstaufnahmestelle (ZEA) in Rahlstedt.
Die aus der Ukraine geflüchtete Kate Uvarova steht mit Hündin Elsa nahe der Zentralen Erstaufnahmestelle (ZEA) in Rahlstedt.Bild: dpa / Jonas Walzberg
watson-Story

Jeder Zwölfte flieht mit Haustier: Wie Tiere aus der Ukraine gerettet werden

29.03.2022, 11:5329.03.2022, 16:14
Mehr «Leben»

Mehr als 230.000 Menschen sind bisher aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. Und nicht nur sie, sondern oft auch ihre Haustiere. Immer wieder kursieren bewegende Bilder von der Ankunft erschöpfter Tiere in den sozialen Medien, die ihre Besitzer in Tüten, Kartons oder Boxen mit auf die Flucht genommen haben.

Denn viele Ukrainer und Ukrainerinnen wollen ihre geliebten Vierbeiner nicht im Kriegsgebiet zurücklassen und riskieren lieber eine gemeinsame Flucht. Wieder andere lassen ihre Tiere frei, weil sie nicht mehr für die Tiere aufkommen können oder Angst haben, mit ihnen nicht über die Grenze zu gelangen.

"Der Flüchtlingsstrom an der Grenze scheint nicht enden zu wollen – und etwa jeder Zwölfte trägt ein Tier bei sich“, berichtet Bernd Metzger, 2. Vorsitzender beim Bundesverband Gemeinschaft Deutscher Tierrettungsdienste. Gemeinsam mit dem Deutschen Tierschutzbund haben sie am polnisch-ukrainischen Grenzübergang Medyka ein Tierhilfe-Camp errichtet. So sehe "man Katzen untergebracht in Werkzeugkästen, Reisetaschen oder einfach am Körper getragen, Hamster und Meerschweinchen in den Taschen von Kinderjacken oder Vögel in provisorisch gebastelten Pappkartons."

Der deutsche Tierschutzbund warnte angesichts der Menge heimatloser Tiere schon am 10. März in einer Pressemitteilung, eine "nicht-humanitäre Katastrophe rollt auf die deutschen Tierheime zu". Er fordert daher den Staat dringend auf, präventiv zu handeln, da die vielen Tiere sonst "die deutschen Tierheime überfordern wird". Der Grund dafür ist, dass viele Heime oder Aufnahmezentren für Geflüchtete Haustiere verbieten, die deshalb vorübergehend in Tierheimen untergebracht werden müssen.

Lea Schmitz, Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes, bezeichnet die Lage auf Anfrage von watson jedoch als "einigermaßen entspannt". Es wurden schon zwar schon viele Tiere in deutschen Tierheimen aufgenommen, darunter "meist Tiere mit Besitzern, die die Tiere nicht in die Flüchtlingsunterkünfte mitnehmen können. Noch hält es sich aber in Grenzen", sagt sie.

Schmitz weist aber darauf hin, dass große Sorge bestehe, bald an Kapazitätsgrenzen zu stoßen, "wenn wirklich diese Schwierigkeit weiter besteht, dass die Menschen von ihren Tieren getrennt werden müssen." Deshalb fordert der Tierschutzbund in einem 7-Punkte-Maßnahmenkatalog auch mehr Unterstützung seitens der Politik. Dieser enthält auch die Forderung, dass Geflüchtete ihre Tiere mit in die Unterkünfte nehmen dürfen.

Haustiere sind "große emotionale Stütze" für Geflüchtete

Das Verbot von Tieren in Aufnahmeeinrichtungen wird mit Sicherheits- und Hygienegründen, aber auch Seuchenschutz gerechtfertigt, wie die Sprecherin des Tierschutzbundes erklärt. Das Tierverbot gelte deshalb auch regulär in deutschen Obdachlosenunterkünften.

Schmitz betont, natürlich müsse man diese Zuteilung mit Augenmaß betreiben und sich danach richten, welche Tiere verträglich mit anderen Tieren und Menschen seien. Auch die Untersuchung durch einen Tierarzt sei Pflicht. Doch das Tollwutrisiko von Tieren mit Besitzern sei vom Friedrich-Löffler-Institut mit "eins zu 300.000, also verschwindend gering" eingeschätzt worden.

"Sie haben alles hinter sich gelassen, ihre Männer, ihre Väter, ihre Söhne, ihr Zuhause, ihre Heimat. Wenn sie hier ankommen, haben sie oft nur noch ihr Tier."
Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes Lea Schmitz

Trotzdem appelliert der Tierschutzbund in diesem speziellen Fall für mehr Nachsicht:

"Wir sagen, es ist einfach noch mal ein riesiges Drama, wenn diese Menschen jetzt auch noch von ihren Tieren getrennt werden. Sie haben alles hinter sich gelassen, ihre Männer, ihre Väter, ihre Söhne, ihr Zuhause, ihre Heimat. Und wenn sie hier ankommen, haben sie oft nur noch ihr Tier und ein paar Sachen. Und Tiere sind natürlich auch eine große emotionale Stütze und ein Anker in dieser Situation."

Dieser Meinung ist auch die Psychologin Silke Wechsung. Als Forschungsleiterin des Projekts "Mensch und Hund" am Psychologischen Institut der Universität Bonn ist Wechsung Expertin der wissenschaftlichen Untersuchung der Mensch-Hund-Beziehung. Gegenüber watson sagt sie:

"Enge Bezugspartner unterstützen in Phasen großer seelischer Belastung und zu diesen zählen auch Haustiere. Nicht zuletzt durch die Vermittlung von Ablenkung und Lebensfreude können Tiere dazu beitragen, in dieser schwierigen Lebensphase zuversichtlich zu bleiben und das Kriegstraumata aufzuarbeiten."
Silke Wechsung mit ihrem Hund Milo.
Silke Wechsung mit ihrem Hund Milo.privat

Die Expertin für die Beziehung zwischen Mensch und Tier erklärt, gerade in besonderen Lebenssituationen, wie zum Beispiel beim Verlust eines Familienangehörigen oder bei Kindern in schwierigen Familienverhältnissen würden sich bei einer engen Beziehung zum Haustier besonders positive Effekte zeigen. "So können Tiere auch in der, durch den Ukraine-Krieg ausgelösten, emotional belastenden Lebenssituation wichtige Seelentröster und Unterstützer von Kindern und Erwachsenen sein."

Durch Corona sind viele Tierheime bereits voll

Eine weitere Herausforderung für die Tierheime ist die zunehmende Zahl von Vierbeinern, die ohne Besitzer ins Land gebracht werden. "Die werden in der Grenzregion eingesammelt von Tierschützern oder Tierfreunden, weil sie quasi herrenlos zurückgelassen wurden und dann auch irgendwo unterkommen müssen", berichtet Schmitz in watson.

"Die große Sorge ist gerade, dass das die Tierheime vor große Herausforderungen stellen wird, weil die Corona-Zeit auch schon für recht volle Tierheime gesorgt hat. Es gab seit letztem Sommer sehr viele Abgabe-Tiere, die in der Corona-Zeit unüberlegt angeschafft wurden. Deshalb sind die Kapazitäten in den Tierheimen begrenzt."

Dass Menschen trotz ihrer akuten Lebensbedrohung in einem Kriegsgebiet noch fremden Tieren helfen, erklärt Wechsung wie folgt: "Auch in Extremsituationen verhalten sich Menschen gegenüber anderen sozial." So zeigten Untersuchungen, dass Notsituationen die ursprüngliche Tendenz zur Kooperations- und Hilfsbereitschaft sogar noch verstärkten. Insbesondere bei besonders sozialen und uneigennützigen Menschen führe dies entsprechend zu hoher Hilfsbereitschaft, selbst in lebensbedrohlichen Situationen.

"So wie Menschen in Extremsituationen anderen helfen und hier zuallererst ihre Familienangehörigen schützen, so versuchen sie auch ihre Tiere zu retten."
Psychologin Silke Wechsung

Diese Hilfsbereitschaft gelte zuallererst den nahestehenden Personen, beziehe sich aber sogar auch auf Unbekannte. Durch das extreme Ereignis entstehe eine Gemeinschaft der Betroffenen und damit verbunden eine erhöhte Hilfsbereitschaft untereinander. "So wie Menschen in Extremsituationen anderen helfen und hier zuallererst ihre Familienangehörigen schützen, so versuchen sie auch ihre Tiere zu retten", so die Psychologin.

Die Kragenbärin aus Odessa: Dramatische Tierrettungen

Tierschützerin Lea Schmitz berichtet, es handele sich bei den Tieren aus der Ukraine um kleine Haustiere wie Katzen, gefolgt von Hunden – "meist kleinere Hunde, die größeren sind etwas seltener" – und auch Kleintiere wie Wellensittiche, Ratten und Meerschweinchen. Aber es gibt auch besondere Fälle wie große Tiere aus der Landwirtschaft, Kühe, Schweine oder Pferde, die von ihren Besitzern gerettet werden wollen.

Diese Rettung gelingt nicht immer, wie die Hilfsorganisation Equiwent berichtet. So sollen Anfang März 35 ukrainische Reiterinnen und Reiter versucht haben, mit ihren Pferden die Ukraine über Rumänien zu verlassen. Doch die Gruppe wurde laut Berichten bei einem Raketenangriff getötet.

"Das bedeutet, dass viele Menschen nicht aus den Kriegsgebieten in der Ukraine fliehen, wenn sie ihr Haustier nicht mitnehmen können."
Psychologin Silke Wechsung

Dass Menschen ihr Leben für die Rettung ihrer Tiere riskieren, ist laut Psychologin Silke Wechsung nicht ungewöhnlich:

"Tiere haben für viele Menschen einen sehr hohen Stellenwert, sind Familienmitglied, wichtige Bezugspartner, mit denen man im Alltag eng zusammenlebt. Die enge Bindung zum Haustier ist der Grund, warum Menschen sich selbst in Gefahr bringen oder sogar ihr Leben riskieren, um ihre Tiere zu retten."

So kann die Rettung oder Aufnahme der Haustiere auch bedeuten, die Menschen selbst zu retten. Wechsung erklärt, "dass viele Menschen nicht aus den Kriegsgebieten in der Ukraine fliehen, wenn sie ihr Haustier nicht mitnehmen können und im schlimmsten Fall unversorgt zurücklassen müssten."

"Die Fahrer, die die Bärin von Kiew nach Lwiw gebracht haben, haben sich unter ihren LKW legen müssen, als es Beschuss gab."
Sprecherin des Tierschutzbundes Lea Schmitz

Besonders gefährlich und nervenaufreibend war die Rettung der Tiere aus einem Schutzprojekt des Tierschutzbunds in Odessa, wie Lea Schmitz berichtet. Dazu gehörte auch die Evakuierung einer Kragenbärin. "Ich habe gehört, die Fahrer, die die Bärin von Kiew nach Lwiw gebracht haben, haben sich unter ihren LKW legen müssen, als es Beschuss gab. Es war schon eine heiße Nummer." Nach aller Aufregung sei diese Rettung ein schöner Erfolg gewesen.

Doch man denke auch an die anderen Tiere, die weiterhin im Kriegsgebiet sind: "Allein in der Nähe von Kiew gibt es wohl zehn bis zwölf Zoos oder zooähnliche Einrichtungen mit Löwen, Elefanten oder Giraffen, wo die Versorgung zunehmend schwierig wird, weil diese Tiere große Mengen an Futter benötigen."

Da es so schwer und auch teuer ist, Futter für die Tiere zu besorgen, beschließen einige Menschen daher, ihre Tiere lieber freizulassen, als ihr Leben zu riskieren. So auch die Pferdewirtin Julia Molokova, die nach einem Bombenangriff auf die ukrainische Stadt Irpin nahe Kiew ihre fünf Pferde einfach freiließ und in den Wald schickte.

Die Flucht hinterlässt Spuren – auch bei den Tieren

Die Flucht ist nicht nur für die Menschen, sondern auch für ihre Haustiere sehr anstrengend: "Man sieht ihnen diese Strapazen von der Flucht an, mitunter sind die tagelang mit ihren Menschen zusammen unterwegs." Viele seien einfach erschöpft, teilweise apathisch.

Schmitz berichtet von Katzen in kleinen Boxen, Tüten und Kartons: "Wenn man die rausholt, reagieren sie gar nicht groß und wenn man sie aufrichtet, dann legen sie sich sofort wieder hin." Weitere Probleme sind Dehydration, Unterkühlung und Unterernährung, da die Tiere auf der tagelangen Flucht und bei eisigen Temperaturen kaum gefressen haben.

Auf die Kritik, man müsse zuerst an die Menschen denken, entgegnet Schmitz: "Ich glaube, es muss einfach Hand in Hand gehen. Die humanitären Organisationen, die sich um die Menschen kümmern und die Tierschutzorganisationen, die sich parallel auch um die Tiere kümmern."

"Das Schicksal der Tiere ist eng verknüpft mit dem der Menschen."
Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes Lea Schmitz

Dadurch, dass man sich um die Tiere kümmert, helfe man schließlich auch den Menschen, so ihre Begründung:

"Das Schicksal der Tiere ist eng verknüpft mit dem der Menschen. Man merkt den Menschen auch an, wie sehr sie an ihren Tieren hängen. Die wollen sich manchmal nicht mal in ein anderes Auto setzen, als das, in dem ihr Tier transportiert wird, obwohl es an denselben Zielort fährt. Sie wollen ihr Tier nicht hergeben, weil es mit eines der wichtigsten Dinge ist, die sie aus ihrer Heimat mitgenommen haben."

Viele Tierfreunde spenden oder helfen in Eigeninitiative

Die Autorin Katharina Martin-Virolainen, selbst Tierliebhaberin und Katzenbesitzer, hat in einer Privatinitiative mit angepackt, um den verlassenen Tieren zu helfen. Bei der Organisation eines Hilfstransports mit Medikamenten und Lebensmitteln für Zhytomyr und das Dorf Poljanka kam ihr zu Ohren, dass viele Menschen auf der Flucht aus der Ukraine ihre Tiere zurücklassen. "Es tat mir im Herzen sehr weh, denn ich bin selbst zweifache Katzenmama und der Gedanke, dass ich meine Elsa und meine Emil allein lassen müsste, war schrecklich", sagt sie gegenüber watson.

"Es tat mir im Herzen sehr weh, denn ich bin selbst zweifache Katzenmama."
Katharina Martin-Virolainen

Die Autorin mit russischen und finnischen Wurzeln betont, sie wollte auf keinen Fall die Menschen verurteilen, die ihre Tiere zurücklassen. "In einem Krieg weiß man nie, was man selbst getan hätte. Mir ging es dabei um die verlassenen Tiere und auch um die wundervollen Menschen, die sich gerade für die Kleinen engagieren." Sie selbst habe großen Respekt für die Menschen, die gerade Tiere aufnehmen würden, obwohl sie Schwierigkeiten hätten, sich selbst zu versorgen.

Martin-Virolainen berichtet davon, wie ihre Hilfsaktion zustande kam:

"Ich erinnerte mich an Mandy, eine wundervolle junge Frau, die ich schon seit einigen Jahren kenne. Sie arbeitet bei Fressnapf und ich dachte, ich frage sie einfach mal an, ob es möglich wäre, einen kleinen Korb für Spenden aufzustellen. Sie meldete sich nach meiner Nachricht sofort zurück. Ihre Chefin war begeistert von der Idee. Sie räumten für mich eine ganze Ecke ein, meine Familie hat ein Spendenplakat gebastelt und schon ging es los."

Die Spendenaktion war ein voller Erfolg: "Nach nicht einmal einer Woche war dieses Eck schon so überladen, dass Mandy mir einen Teil der Sachen vorbeibringen musste. Das Auto war von unten bis bis oben voll! Und es wird immer weiter gespendet!", freut sich die Autorin. "Die Menschen sind einfach wundervoll."

Einen Kofferraum voller Hundefutter konnte Katharina Martin-Virolainen zu den Tieren in die Ukraine schicken.
Einen Kofferraum voller Hundefutter konnte Katharina Martin-Virolainen zu den Tieren in die Ukraine schicken. privat

Am Wochenende habe sich dann eine Frau namens Tatjana bei ihr gemeldet und erzählt, sie hätte Freunde in Odessa, die sich dort ehrenamtlich um verlassene und verletzte Tiere kümmern würden. "Auch ihnen mangelt es an allem."

Nach einer schnellen Absprache wurde dann kurzerhand auch ein Transport für die Tiere nach Odessa geschickt.

"Mandy kam erneut mit einer Ladung vorbei, am Montag verpackten meine Kinder und ich bis in die späten Stunden über 200 Kilogramm Tierfutter, Decken, Medikamente und so weiter und ich habe es am Dienstag zur Aufnahmestelle gebracht."

Die Spendenaktion für verlassene Tiere in Not läuft weiter und auch ein Transport nach Zhytomyr ist geplant, wie Martin-Virolainen berichtet. "Dann können wir auch dort den Tierheimen und Menschen, die die Initiative in eigene Hand genommen haben, helfen."

Was sagen ständige Pärchen-Posts über die Beziehung aus?

Ein Pärchenkuss im Profil, ein Video vom Candlelight-Dinner dort, ein Valentinstagsgeschenk, das im Livestream überreicht wird – wenn es darum geht, ihre Liebe öffentlich zu inszenieren, sind Paare zuweilen schamlos.

Zur Story