Die ARD begeht gerade die Themenwoche "Stadt. Land. Wandel". Und auch "Hart aber fair" steigt ins Thema ein. "Abgehängt und unverstanden – wie tief ist die Kluft zwischen Stadt und Land?" lautet der Titel der Sendung und Frank Plasberg diskutiert mit folgenden Gästen u.a. über den Sinn von Lastenrädern auf Kopfsteinpflaster:
Die Bestseller-Autorin Juli Zeh ist 2007 von Berlin ins Havelland gezogen. Ihr Leben dort inspiriert sie auch zu ihren Geschichten Sie schrieb über den Ärger um Windkrafträder, nun über eine Werberin die aus der Stadt neben den "Dorf-Nazi" zieht. Für sie liegt in der Konzentration auf Städte und der Vernachlässigung des ländlichen Raums viel mehr Konfliktpotential als allgemein gedacht wird. Sowohl den Jugoslawienkrieg als auch die Spaltung der USA führt sie darauf zurück. Man müsse da drauf achten. "Die Unterschiede sind richtig groß. Man muss sich deshalb nicht spinnefeind sein."
Ein Berliner würde sich in Tokio heimatlicher fühlen als 80 Kilometer von der Stadtgrenze entfernt im Dorf, dort bekäme er Schnappatmung, glaubt sie. "Das ist die Fremde, das ist die wirkliche Exotik."
Während man in der Stadt in der eigenen Bubble lebe, zwinge das Land einen zum Verlassen derselben. Ob sie sich gut integriert habe, will Plasberg wissen. Ihre Einschätzung: "An meinen Grundstücksgrenzen brennen keine Autoreifen – also würde ich sagen, es ist ok."
Die studierte Juristin benutzt immer mal wieder Fremdworte. Plasberg fragt sie: "Reden Sie auf dem Dorf eigentlich auch so?" Sie kontert locker: "Ja, aber die versteht keiner." Und dann dolmetscht sie nach Aufforderung "Dystopie" ganz volksnah in "alles wird scheiße".
Der Plan der Grünen, eine Million Lastenräder mit insgesamt 1 Milliarde Euro zu bezuschussen kommt auf dem Dorf nicht gut an, "wird als Provokation wahrgenommen", als "lächerlich, überflüssig, Städterkram", glaubt Zeh sogar. Weil man im Dorf mit schlechter Verkehrsanbindung und einem Schulweg von 1,5 Stunden im Bus zu kämpfen habe. "Der Leidensdruck ist immens."
Grünen-Politikerin Jamila Schäfer sieht das durchaus. "Viel mehr Leute würden auf dem Land leben wollen", aber die Umstände würden sie daran hindern. Ihre Partei wolle aber die Infrastruktur auf dem Land massiv verbessern.
Wollmodeunternehmer Marco Scheel ist auf Rügen aufgewachsen, hat in Berlin Wirtschaftingenieurswesen studiert und betreibt nun in Züsown, einem Dorf in der Nähe von Wismar, seine Schafwolleunternehmen. Lastenräder interessieren ich nicht. "Wir haben Kopfsteinpflaster", stellt er klar.
Die Grünen würden im ländlichen Raum generell "nicht stattfinden". Die Landbevölkerung fühle sich von ihnen nicht vertreten. Der Unternehmer spricht Klartext. In einem Einspieler läuft er über seinen Hof und sagt: "Wir können nicht alle mit einem MacBook und einem Chai Latte in Berlin in einem Coworking Space sitzen und die zehnte Dating-App erfinden – es gibt auch ein paar Leute, die etwas anfassen müssen und sich die Hände schmutzig machen."
Er beschäftigt 20 Leute. Er will einen alten Kuhstall als Produktionsort umwidmen, aber die Behörde macht ihm das Leben schwer, weil diese Nutzung gegen den Flächennutzungsplan verstößt. Wo seine Leute aktuell arbeiten, will Plasberg wissen. "In einer illegalen Halle", gibt Scheel grinsend zu. Plasberg sagt scherzhaft "Ok wir schneiden das raus" aber Scheel beteuert, man könne das ruhig drin lassen. Es geht ja auch gar nicht, weil es eine Live-Sendung ist.
Übergeordnete Gesetze und Verordnungen, die in einer Stadt von Stadtmenschen gemacht werden, müssen nicht unbedingt aufs Landleben passen. Das merkt man auch an den Bemühungen im Wolfsschutz. "Bei uns macht der Wolf reale Schäden", sagt Scheel. "Den Wolf schützen und um die Ecke mehrstöckige Schweinemastanlagen haben – wo ist denn da das Tierwohl“, fragt er ohne jedes Verständnis. Und Juli Zeh stimmt ihm zu, dass es immer eine Frage sei, wie nah die Politik am jeweiligen Geschehen sei. "Im Tiergarten wäre die Schweinemast verboten."
Reint Gropp, Professor für Volkswirtschaftslehre Uni Magdeburg, sieht das Hauptproblem ebenfalls im zentralen Regelungsanspruch des Staates. "Wir müssen davon wegkommen, dass der Staat besser weiß was eine gute Idee ist als der Einzelne.“ Er plädiert für eine viel regionalere Verantwortung. Allerdings ist er da nicht besonders zuversichtlich. "Ich sehe den Bürokratieabbau nicht."
Der Kabarettist Simon Pearce kommt vom Land. Und zum Schluss hat er noch einen ganz besonderen Blick aufs Dorfleben parat: Wegen seiner Hautfarbe war er dort immer ein Außenseiter. Der Umzug in die Stadt war eine Befreiung. Zuerst. "Ich war froh in den Großstadtschungel eintauchen zu können." Aber im Nachhinein stellt er fest: Der Rassismus auf dem Dorf sei "präsenter aber auch irgendwie angenehmer" gewesen. Weil berechenbarer. In Würzburg wurde seine Frau von einem unauffällig aussehenden Bürger angespuckt, auf dem Dorf hätten ihn hingegen "die zahnlosen Dorfbauern" beschützt als ihm die Dorf-Nazis Ärger machen wollten.