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Seit Corona: Haustiere gehen zurück – Tierheime am Limit

Viele Tiere warten derzeit in Deutschlands Tierheimen auf einen neuen Besitzer.
Viele Tiere warten derzeit in Deutschlands Tierheimen auf einen neuen Besitzer.bild: getty images
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Der Hund als "bequemes Pandemieprojekt": Tierheime sind zur Ferien-Zeit am Limit

09.08.2022, 14:47
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Es kam der März 2020 und mit ihm der Corona-Shutdown. Und plötzlich war da Zeit, so viel freie Zeit, die es zu füllen galt. Das erschien vielen Menschen als der perfekte Zeitpunkt, sich endlich ein Haustier anzuschaffen.

Doch hat sich manch einer sein Haustier wohl zu vorschnell geholt: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts You Gov im Auftrag der Magazin- und Zeitungsapp Readly, bereut nach der Pandemie ein Fünftel der Haustierbesitzer ihre Anschaffung. Einer der Hauptgründe ist das Ende der Home-Office-Pflicht: 25 Prozent der Befragten gaben an, seitdem Probleme bei der Haustierbetreuung zu haben. Die Hälfte (55 Prozent) hätte sich zudem gewünscht, vor dem Kauf mehr über die Haltung des Tieres gewusst zu haben.

Die Folgen dieser Spontankäufe? Tierheime in ganz Deutschland sind überlastet, viele verkündeten sogar einen Aufnahmestopp. Denn nun, da man endlich wieder in den Urlaub und ins Büro fahren kann, haben viele Menschen offenbar keine Lust mehr, sich um ihre Haustiere zu kümmern und setzen sie im schlimmsten Fall einfach aus.

Watson hat mit Hester Pommerening vom deutschen Tierschutzbund über die aktuelle Lage gesprochen.

Hester Pommerening vom deutschen Tierschutzbund.
Hester Pommerening vom deutschen Tierschutzbund.bild: Tierschutzbund

watson: Frau Pommerening, wie voll sind die deutschen Tierheime gerade?

Hester Pommerening: Die Tierheime stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen: Tiere werden gerade nicht mehr gut vermittelt, weil der Markt gesättigt ist und entsprechend gibt es jetzt viele Tierheime, die einen Aufnahmestopp verhängen müssen. Es können keine Hunde mehr angenommen werden, die Katzenhäuser sind voll und die Kleintierstationen platzen aus allen Nähten. Damit die Versorgung der Tiere, die jetzt da sind, weiter gewährleistet werden kann, können leider keine Tiere mehr aufgenommen werden.

Werden die neuen Tiere denn zu Ihnen gebracht oder einfach ausgesetzt?

Die meisten kommen als Fundtiere ins Tierheim. Ob ein Fundtier wirklich ausgesetzt wurde oder verloren gegangen ist, kann man nicht immer unterscheiden. Aber es ist schon auffällig, wenn zum Beispiel die Katze hinter dem Altkleidercontainer in der Transportbox gefunden wird. Das passiert leider ganz, ganz häufig. Das ist wirklich die komplette Abgabe der Verantwortung, wenn man sein Tier nicht einmal in ein Tierheim gibt, wo man sicher sein kann, es ist gut versorgt und wird in passende Hände weitervermittelt. Klar gibt es eine kleine Abgabegebühr, aber die ist eher symbolisch. Und sollte es daran scheitern, dann wird das Tierheim sicher mit sich reden lassen. Alles ist besser, als das Tier einfach auszusetzen und seinem Schicksal zu überlassen.

Im Tierheim können sich Mensch und Hund vor der Adoption kennenlernen.
Im Tierheim können sich Mensch und Hund vor der Adoption kennenlernen.bild: getty images

Warum sind die Tierheime gerade jetzt so voll?

Das ging eigentlich im Frühjahr letzten Jahres los, dass man gemerkt hat, jetzt kommen anscheinend die Tiere ins Tierheim, die während Corona angeschafft worden sind. Gerade jetzt, wo die Corona-Maßnahmen wieder zurückgefahren werden und viele vielleicht das erste Mal seit zwei Jahren wieder in den Urlaub fahren können oder mehr Freizeitaktivitäten wahrnehmen wollen und es wieder ins Büro geht, tun sich dann Probleme mit dem Hund auf. Und gleichzeitig gehen Tiere jetzt einfach nicht mehr richtig weg. Es ist sehr schwierig, ein Zuhause für die Tiere zu finden.

Warum ist das so schwer?

Es gibt viele Hunde, die schwer vermittelbar sind, weil sie die letzten Jahre nicht richtig sozialisiert wurden oder weil sie aus dem illegalen Handel stammen und den Umgang mit Menschen nicht kennengelernt haben. Diese Hunde kosten Geld und Energie und da ist das Interesse einfach nicht so da in der Bevölkerung.

"Das größere Problem ist der illegale Handel, wo die Tiere aus regelrechten Hundezuchtfabriken aus Osteuropa kommen."

Warum ist es überhaupt so einfach, sich ein Tier zu anzuschaffen?

Das größte Problem ist der Online-Handel generell. Hier besteht die Möglichkeit, ein Tier zu kaufen und aufzunehmen, ohne dass man geschaut hat, ob Mensch und Tier überhaupt zusammenpassen. Da spielt immer Überforderung eine Rolle, weil sich das Zusammenleben vielleicht ganz anders entwickelt als erwartet. Im Tierheim kann man darauf achten, zu wem das Tier kommt, online nicht. Das Problem mit dem Internethandel kennen wir schon lange und fordern daher ein Verbot des Handels mit lebenden Tieren, also den Verkauf und Kauf von Tieren übers Internet oder zumindest eine strengere Regulierung.

"Entscheidend ist das Problem, dass den Leuten egal ist, wo der Hund herkommt. Hauptsache, man hat ein Tier."

Viele dieser Tiere werden auch aus dem Ausland gerettet. Ist das ebenfalls problematisch?

Klar kann man an unseriöse Auslands-Tierschutzvereine geraten, aber das größere Problem ist der illegale Handel, wo die Tiere aus regelrechten Hundezuchtfabriken aus Osteuropa kommen. Dort müssen die Elterntiere unter ganz schlimmen Bedingungen leben und gebären. Die Welpen werden viel zu früh von der Mutter getrennt, kommen dann nicht geimpft und sozialisiert auf Schmuggelwegen nach Deutschland und werden hier für Züchterpreise unter die Leute gebracht, weil sich dieses Geschäft mit dem illegalen Handel professionalisiert hat – gerade während der Pandemie. Die Dunkelziffer ist auf jeden Fall hoch. Aber die Fälle, wo Tiere aufgegriffen, Transporte gestoppt und Tiere beschlagnahmt werden, hat sich von 2019 auf 2021, also innerhalb von zwei Jahren verfünf- oder versechsfacht.

Hunde warten in ihren Zwingern.
Hunde warten in ihren Zwingern. bild: getty images

Weil die Nachfrage nach Tieren so angestiegen ist?

Entscheidend ist das Problem, dass den Leuten egal ist, wo der Hund herkommt. Hauptsache, man hat ein Tier. Im ersten Corona-Jahr sind oft Leute aufgetaucht und haben gesagt: "Was haben Sie denn da? Hund, Katze, Kaninchen, ich nehme alles, Hauptsache die Kinder sind beschäftigt." Das war total wahllos, man hat sich nicht vorher damit beschäftigt, was ist das überhaupt für eine Tierart und was braucht sie.

So etwas ist tatsächlich vorgekommen?

Ja. Es gab auch schöne Geschichten, wenn die Hunde nach langer Zeit endlich ein neues, passendes Zuhause gefunden haben. Aber gerade was diese unüberlegten Anschaffungen anging, war es schon echt krass, was die Tierheime auch über Anfeindungen berichtet haben. Wenn jemand zum Beispiel das gewünschte Tier nicht bekommen hat oder das Tierheim wegen Überlastung nicht zeitig auf eine Vermittlungsanfrage reagiert hat, hat das extrem für Frust gesorgt. Die Tierheime sind überrannt worden. Wenn das gewünschte Tier an jemand anders ging, kam es sogar zu Bestechungsversuchen, Drohungen mit Gewalt oder dem Anwalt, sogar Morddrohungen hat es anscheinend gegeben. Es gab Einbrüche in das Tierheim, Mitarbeiter wurden beschimpft und es gab schlechte Google-Bewertungen ...

"Menschen haben eine Anspruchshaltung, als würden sie in den Supermarkt gehen und könnten sich einfach ein Tier aussuchen."

Das hört sich ja wirklich extrem an.

Es kamen ganz viele Rückmeldungen von Tierheimen, dass diese Entwicklung der letzten Jahre mit Corona einen traurigen Höhepunkt erreicht hat: Dass Menschen eine Anspruchshaltung haben, als würden sie in den Supermarkt gehen und könnten sich einfach ein Tier aussuchen.

Auch die Katzenhäuser sind voll.
Auch die Katzenhäuser sind voll. bild: getty images

Woher kommt diese Konsumhaltung zu Tieren?

Es gibt diese Anspruchshaltung, dass ein Tier die eigenen Erwartungen und Bedürfnisse befriedigen soll. Während der Corona-Pandemie haben sich zuletzt viele Menschen unüberlegt und spontan einen Hund angeschafft, sozusagen als bequemes Pandemieprojekt. Aber ein Hund ist ein Lebewesen, das nicht für die eigenen Bedürfnisse herhalten sollte.

Cem Ödzemir war Anfang August zu Besuch in einem Tierheim in Berlin. Will die Regierung nun helfen?

Dass so viele Tierheime einen Aufnahmestopp verhängen müssten, ist eine extreme Situation. Vor allem, weil das in einer Situation passiert, die sowieso für Tierheime ganz kritisch ist wegen der steigenden Kosten. Die Tierheime standen schon vor der Pandemie finanziell nicht besonders gut da, Rücklagen wurden aufgebraucht, wichtige Instandsetzungs-Maßnahmen konnten nicht durchgeführt werden, die Bauten sind teilweise total veraltet, da hat man eh nicht so viel Platz. Manchmal kann nicht geheizt werden, weil die Häuser nicht richtig gedämmt sind. Es gibt große Sorge, was im Herbst auf uns zukommen wird. Wir sehen, dass der karitative Tierschutz in Deutschland vor dem Kollaps stehen könnte, wenn jetzt nicht akut von der Politik gegengesteuert wird.

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