Am Samstagabend wurde zum 66. Mal der Eurovision Song Contest ausgetragen. Als großer Favorit ging die Ukraine ins Rennen, die Buchmacher hingegen sahen Deutschland von Anfang an auf den hinteren Plätzen. Und so kam es auch: Das Kalush Orchestra hat in Turin mit dem Song "Stefania" gewonnen, Deutschland erhielt von den Jurys null Punkte und vom Publikum lediglich sechs. Damit bildete Malik Harris und sein Lied "Rockstars" das Schlusslicht des Abends – fast schon traurige deutsche Tradition.
Mit besonderer Spannung war aber der Auftritt des Kalush Orchestras erwartet worden – wie sollte es gehen, in ihrer Situation unpolitisch zu bleiben, wie es die ESC-Regeln erfordern? Und richtig: Als die Ukraine performte, setzte die Gruppe am Ende des Auftritts ein politisches Statement ab und brach damit die Regeln.
Schnell kristallisierte sich heraus, dass der diesjährige ESC politisch werden sollte. Dem Kalush Orchestra wurden von Anfang an wegen einer erwarteten Solidarisierung der Teilnehmerländer beim ESC eine hohe Punktzahl vorausgesagt. Ihren Auftritt nutzten sie auch, um auf die Lage in ihrem Land aufmerksam zu machen. Dies ist eigentlich nicht erlaubt. Sänger Oleh Psjuk meinte nach ihrer Performance schließlich: "Ich bitte euch alle: Helft der Ukraine, Mariupol und den Menschen im Asow-Stahlwerk."
Das Stahlwerk in Mariupol steht derzeit unter russischem Beschuss, hunderte ukrainische Soldaten sind dort eingeschlossen. Am Ende des ESC-Auftritts schlug Oleh in einer kämpferischen Geste mit der Faust seiner rechten Hand auf seine Brust. Im Regelwerk des ESC heißt es allerdings, dass "Texte, Ansprachen und Gesten politischer Natur" auf der Bühne verboten seien. Die Moderatoren des Wettbewerbs reagierten darauf mit ernster Miene. Das Publikum hingegen feierte das Statement und bekundete neben anderen Künstlern große Solidarität für das Land.
Die Veranstalter zeigten Verständnis für die Äußerung und somit für den Regelbruch. Ein Sprecher der Europäischen Rundfunkunion EBU sagte auf dpa-Anfrage: "Wir verstehen die starken Gefühle, wenn es dieser Tage um die Ukraine geht, und betrachten die Äußerungen des Kalush Orchestra und anderer Künstler zur Unterstützung des ukrainischen Volks eher als humanitäre Geste und weniger als politisch."
Nach dem Sieg sagte Sänger Psjuk noch: "Wir haben eine zeitweise Genehmigung, hier zu sein, und in zwei Tagen werden wir in der Ukraine sein. Es ist schwer zu sagen, was wir tun werden. Wie jeder Ukrainer sind wir bereit zu kämpfen und bis zum Ende zu gehen."
Ob die Ukraine nur wegen der Solidarität gewonnen hat - und ob das ein Problem wäre, wurde auf Twitter diskutiert. Manche fanden das unfair, andere regten sich über die auf, die die Bedeutung einer solchen Situation nicht verstehen.
Dass sich jetzt wirklich einige beschweren, dass die Ukraine „nur wegen des Krieges“ gewonnen hat, ist so krass daneben.
— norman (@deinTherapeut) May 14, 2022
Nein, das verfehlt den Sinn des #esc2022 nicht.
Ja, es geht um Musik. Aber noch mehr geht’s um ein geeintes Europa und Solidarität.
Sinn maximal erfüllt.
Ich bin sehr froh darüber, dass der #ESC2022 so eine unpolitische Veranstaltung ist, bei dem es allein um die Qualität der künstlerischen Darbietung geht...
— Cassy (@shoutingcassy) May 14, 2022
Ja, toll. Alle zeigen ihre Solidarität. Und alle anderen Künstler haben sich für nix und wieder nix angestrengt. Das ist nicht fair, sorry. Ein #ESC2022 zum Vergessen.
— NNiederrheinish (@niederrheinishe) May 14, 2022
Ein Land kann maximal 468 Punkte im Public Vote bekommen. Die Ukraine bekam 439. Das ist krass. 🇺🇦 #Eurovision #esc2022
— ᴊᴏᴇʟ.ᴀᴋᴛᴜᴇʟʟ 🇺🇦 (@joel_aktuell) May 14, 2022
Bin heute abend super stolz Europäer zu sein. Schön zu sehen wie wir zusammen halten und dem großen Ganzen mehr Gewicht geben als unseren persönlichen Problemen. Danke. #europe #ESC2022 #Eurovision :europe:
— 𝙵𝚊𝚋𝚒𝚊𝚗 🇺🇦 (Mastodon Mirror Account) (@fabis_cafe) May 14, 2022
Glückwunsch an Großbritannien zum Sieg beim Eurovision SONG Contest. Glückwunsch an die Ukraine zum Sieg beim Eurovision SOLIDARITÄTS Contest #ESC2022
— yannick (@yannick26646065) May 14, 2022
Der ESC war schon immer politisch. Wer sich jetzt darüber beschwert und das der Ukraine nicht gönnt, ein Land was literarisch gerade attackiert wird, sollte sich mal checken. (und dabei war der ukrainische beitrag nichtmal komplett scheiße.) #esc2022
— Marcel Marcon (@MarcelMarcon_) May 14, 2022
Immer wieder wurden ukrainische Fahnen geschwenkt und Transparente mit Herzen hochgehalten. Bisher ist unklar, ob die Ukraine den ESC überhaupt im nächsten Jahr austragen kann. Derzeit wäre es ausgeschlossen, weil in dem Land Kriegsrecht herrscht. Das bedeutet, dass Großveranstaltungen untersagt sind, ein Ende des Krieges ist zudem noch nicht in Sicht.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will hingegen den größten Musikwettbewerb der Welt in seinem Land stattfinden lassen. Er schrieb noch in der Nacht zu Sonntag auf Telegram: "Im nächsten Jahr empfängt die Ukraine den Eurovision! Zum dritten Mal in unserer Geschichte." Die Ukraine holte sich bereits 2004 und 2016 den Sieg. Diesmal bekamen sie insgesamt zusammen mit dem Voting der TV-Zuschauer 631 Punkte, wodurch der britische Sänger Sam Ryder mit 466 Punkten auf dem zweiten Platz landete.
Ganz hinten hingegen: Malik Harris mit seinem Song "Rockstars" – ihm waren schon im Vorfeld wenig Chancen ausgerechnet worden. Die Verantwortung dafür wird bei Twitter aber nicht ihm gegeben, sondern dem NDR, der hinter dem Auswahlverfahren steht.
Was bleibt: Der @ndr wollte stur wie ein Esel erneut sein Ding durchziehen, ohne uns Zuschauer miteinzubeziehen. Malik Harris wird geopfert, kann aber nicht einmal was dafür... alles wie immer. #eurovision #esc2022
— Frau Heinzson (@intrashted) May 14, 2022
Ich gebe zu bedenken, dass es nicht an den anderen Ländern liegt, wenn Deutschland beim ESC schlecht abscheidet, sondern an der instinktlosen Musikauswahl, die weder den deutschen noch den europäischen noch sonst einen Geschmack trifft. #ESC2022
— Lyllith Beaumont 🍋 🇵🇱 (@LyllithB) May 14, 2022
In diesen Zeiten der Unsicherheit und des Wandels kann man sich wenigstens auf die stabilen 0 Points für Germany verlassen.
— Rascal (@_Wirbelwind_) May 14, 2022
Stütze Europas. Ehrenmann. #esc2022
Die Show macht so Spaß und dann kommen diese völlig realitätsfernen Jury-Punkte und versauen es #Eurovision #esc2022
— anna denka (@annadenkah) May 14, 2022
Lieber @ndr - bitte bitte überdenkt das Konzept des Vorentscheids nächstes Jahr. Dringend! Der letzte Platz ist euer Verdienst. Mal wieder. Es gibt Unterschiede zwischen Pop- und ESC Songs!
— Yanet (@Yanet_d) May 14, 2022
#ESC2022 #Eurovision
Realtalk:
— Çağla (@lunardea) May 14, 2022
Fand Malik Harris ehrlich nicht schlimm, er tut mir grad einfach leid. Hat er nicht verdient😕#Eurovision #ESC2022 pic.twitter.com/5C0rqAFsw2
Malik tut mir einfach nur leid. Das hat er wirklich nicht verdient #ESC2022
— Yyosh (@Yyosh22) May 14, 2022
Jetzt mal ehrlich. Malik war alles andere als schlecht, dass er bis jetzt 0 Punkte von der Fachjury hat ist lächerlich. #Eurovision #esc2022
— Schneewittchen (@RylaH90) May 14, 2022
Deutschland holte sich im Gegensatz dazu nur den letzten der 25 Plätze. Für Malik Harris' Song "Rockstars" gab es von der Fach-Jury keinen Punkt, vom Publikum nur sechs. Der Künstler freute sich in jedem Fall über den Sieg der Ukraine. Im Gespräch mit Barbara Schöneberger meinte er danach in der ARD: "Es war ein totaler abgefahrener Abend. Ich bin wirklich sehr, sehr froh, dass die Ukraine gewonnen hat, weil ich mir das so gewünscht habe. Ich weiß, dass man nicht allzu viele Punkte geholt hat am Ende, aber es war wirklich ein schöner Abend."
Ihm sei des Öfteren mit Blick auf seinen Auftritt gesagt worden, dass er kein Statement für die Ukraine abgeben könne. Der 24-Jährige klebte dennoch die ukrainische Flagge mit der Aufschrift "Peace" auf seine Gitarre. "Ich bin sehr froh, das gemacht zu haben. Das fühlt sich sehr, sehr gut an", so der deutsche ESC-Künstler. Zum Schluss merkte er an: "Es ist eine große Party, Eurovision ist ein Fest. Jeder, der hier Punkte holt, wird einfach nur gefeiert. Es ist schön, zu zeigen, dass Musik vereint."
(iger)