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Ampel diskutiert Impfpflicht für Pflegekräfte: Das sagen Verbände und Pfleger

Pflegekräfte haben es oft mit besonders gefährdeten Personengruppen zu tun.
Pflegekräfte haben es oft mit besonders gefährdeten Personengruppen zu tun.Bild: iStockphoto / gpointstudio
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Ampel-Parteien diskutieren Impfpflicht für Pflegekräfte: Was Verbände und Intensivpfleger davon halten

15.11.2021, 15:29
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Mit einer seltsamen Ruhe beobachtete Deutschland in den letzten zwei Monaten die stetig steigende Corona-Inzidenz, doch unternommen wurde nichts. Im Vordergrund der öffentlichen Debatte standen zunächst eher die Koalitionsverhandlungen und die politische Weltlage. Einige Bundesländer lockerten trotz erkennbarem Aufwärtstrend sogar Corona-Maßnahmen wie die Maskenpflicht und die pandemische Lage läuft zum 25. November aus.

Nun, wo die Corona-Zahlen jeden Tag neue Höchststände erreichen, das Wachstum der Neuinfektionen genauso exponentiell ansteigt wie die dringenden Warnungen von Experten aller Art, diskutiert die derzeit sondierende Ampel-Koalition über eine Impfpflicht für bestimmte Gesellschaftsbereiche: Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt ist für eine Impfpflicht in bestimmten Bereichen.

Auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach spricht sich auf seinem offiziellen Twitter-Account für die Impfpflicht in medizinischen Berufen aus.

Was sagen Pflegeverbände und die Intensivpfleger und -pflegerinnen zu einer Impfpflicht für ihre Berufsbranche? Watson hat nachgefragt.

Was die Verbände zur Impfpflicht für Pflegekräfte sagen

Der Vorstand der Stiftung für Patientenschutz, Eugen Brysch, findet eine tägliche Testpflicht sinnvoller als eine verpflichtende Impfung gegen Corona. Seiner Meinung nach "bietet eine Zwangsimpfung keinen Ersatz für eine tägliche Testpflicht. Denn Impfen schützt vornehmlich einen selbst, Testen vornehmlich andere", äußert sich Brysch auf Anfrage von watson. Um das umzusetzen, würden aber die von den Ampel-Fraktionen geplanten zwei PCR-Tests pro Woche nicht ausreichen für die 900.000 Pflegeheimbewohner und eine Million professionell versorgten Menschen zu Hause. Brysch fordert daher sowohl in der stationären als auch der ambulanten Pflege einen zusätzlichen täglichen Antigentest, wie er kürzlich bereits in einigen Bundesländern eingeführt wurde.

"Diese tiefgreifende moralische Frage – individuelle Freiheit gegen die einer Gruppe – kann und darf doch nicht nur für Pfleger, Ärzte oder Erzieher beantwortet werden."
Thomas Meißner von der Berliner Pflegekammer
gegenüber watson

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe plädiert an alle Mitarbeitenden im Gesundheitswesen, sich gegen Corona impfen zu lassen. Diese sollten "sich allein aufgrund ihrer professionellen Haltung längst für eine Impfung entschieden haben", sagt die Bundesgeschäftsführerin Bernadette Klapper gegenüber watson.

Eine Impfpflicht nur für Pflegekräfte lehnt sie aber ab: "Es sind nicht nur Pflegende, die mit Menschen aus vulnerablen Gruppen in Kontakt kommen. Es müsste dann ebenso eine Impfpflicht für Ärzt:innen, Lehrkräfte, Erzieher:innen und andere geben." Um diese von einer Impfung zu überzeugen, sieht sie das Bundesgesundheitsministerium und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in der Pflicht. "Zögernde müssen schnell und in direkter Ansprache mit gezielten Informationen und Impfangeboten überzeugt werden", sagt Klapper.

Bernadette Klapper, Bundesgeschäftsführerin des Berufsverband für Pflegeberufe, ist zwar pro Impfung aber gegen eine Impfpflicht für Pflegeberufe.
Bernadette Klapper, Bundesgeschäftsführerin des Berufsverband für Pflegeberufe, ist zwar pro Impfung aber gegen eine Impfpflicht für Pflegeberufe.privat

Thomas Meißner, Sprecher der Berliner Pflegekammer und Vorstandsmitglied des Anbieterverbandes qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG), findet die gesamte Debatte um eine Impfpflicht für Pflegekräfte generell verkürzt. Er sagt gegenüber watson:

"Natürlich haben Pflegekräfte eine besondere Verantwortung. Das ist unbestritten. Dies gilt jedoch auch für andere Berufsgruppen. Die schwierige Frage einer Impfpflicht muss man daher gesamtgesellschaftlich beantworten. Diese tiefgreifende moralische Frage – individuelle Freiheit gegen die einer Gruppe – kann und darf doch nicht nur für Pfleger, Ärzte oder Erzieher beantwortet werden."

Meißner plädiert dafür, der Pflegebranche mehr Wertschätzung entgegenzubringen, statt diese unter Druck zu setzen. Gerade die Corona-Pandemie habe gezeigt, wie extrem viel diese Branche leiste, um Leid zu lindern. "Wenn ich ein 'Wir' in einer Gesellschaft habe, muss jeder auch eine Verantwortung für den Nächsten haben. Es kann nicht sein, dass eine Berufsgruppe für das herhalten und auch dafür haften soll, was andere nicht verantworten wollen", sagt Meißner. Seiner Meinung nach sei es zwar angesichts der hohen Inzidenz durchaus sinnvoll, 2G-Regeln oder eine Impfpflicht einzuführen – aber nur, wenn dies für die gesamte Gesellschaft gelte: "Benötigt wird eine Einheitlichkeit in den Regeln und politisch konsistentes Handeln."

Was Intensivpfleger zur Impfplicht sagen

Ein 40-jähriger Pfleger auf der internistischen Station in Nordrhein-Westfalen sieht die Impfpflicht für seine Berufsgruppe zwiegespalten. Er sei selbst dreimal geimpft, sagt jedoch gegenüber watson:

"Jeder sollte das Recht haben, für sich selbst zu entscheiden – muss dann jedoch mit den Konsequenzen leben, wenn man sich infiziert. Das wichtigste sind immer noch die Schutzmaßnahmen. Solange sich alle konsequent an die Maskenpflicht halten und bestenfalls durchgehend FFP2 tragen, ist das Übertragungsrisiko durch ungeimpfte Kollegen doch sehr gering. Zudem achten Ungeimpfte häufiger auf Symptome und lassen sich dann eher testen, als geimpfte. Das sind zumindest meine Erfahrungen aus dem Betrieb."

Auf seiner Arbeitsstelle sind die meisten Pflegekräfte eher für eine Impfpflicht: "Gerade die Kollegen der Intensiv- und Infektionsstationen sind Pro Impfpflicht. Die anderen Kollegen stehen der Impfpflicht eher neutral gegenüber", erzählt der Pfleger gegenüber watson.

Seit Beginn der Pandemie sei einer seiner Kollegen an Covid gestorben, ein anderer nach einem schweren Verlauf invalide. Beide hätten sich im Dienst angesteckt.

Trotz dieser Vorfälle gebe es vereinzelte Querdenker oder Leugner, die generell gegen die Impfung seien. Diese seien aber die Ausnahme: "Die meisten Ungeimpften im Betrieb sind eher skeptisch, weil sie Angst vor der mRNA-Technologie haben oder Mist im Internet gelesen haben."

Während der zweiten und dritten Welle hätten sich besonders viele Kollegen infiziert. Derzeit stecken sich nach Aussagen des Pflegers "nur noch wenige Kollegen an". Er erwähnt aber auch, dass es etwa ein bis drei Personen pro Woche sind, die einen positiven Corona-Test haben. Wenn man das auf alle Intensiv- und Infektionsstationen Deutschlands hochrechnen würde, ist das durchaus eine beunruhigende Zahl. Deshalb sagt der Intensivpfleger zu watson: "Geimpfte können sich genauso infizieren wie Ungeimpfte und genauso hoch ansteckend sein. Wichtig für alle muss weiter AHA+L sein und auch Geimpfte sollten sich bei kleinsten Erkältungssymptomen testen!"

Florian, ein Intensivpfleger aus Hamburg, hält die Impfpflicht für Pflegepersonal dagegen "für richtig und wichtig." Er spricht von der Verantwortung, die das Pflegepersonal auch über den eigenen Schutz hinaus gegenüber den Patientinnen und Patienten hat: "Jede Reduzierung der Übertragungswahrscheinlichkeit – und sei sie noch so klein – sollte von jedem und jeder von uns im Kampf gegen Corona genutzt werden", äußert sich Florian sich gegenüber watson. Er erklärt seine Beweggründe mit den Worten:

"Darüber hinaus verbinde ich mit meinem Beruf auch eine gewisse gesellschaftliche Vorbildfunktion. Man kann nicht auf die überdurchschnittliche Belastung des ohnehin angespannten Pflegeberufs aufmerksam machen und sich gleichzeitig gegen eine Impfung aussprechen. Seit März 2020 gilt eine Masernimpfpflicht für Pflegepersonal. Niemand würde je auf die Idee kommen, diese Pflicht anzuzweifeln. Warum dann bei der Covid-Impfung?"

Ein anderer, 31-jähriger Fachpfleger für Intensivpflege, arbeitet deutschlandweit in Leiharbeit auf Intensivstationen. Zuletzt war er in Hamburg, seit Oktober in einer kleineren Klinik im Süden Baden-Württembergs. Er ist für die Impfpflicht und sagt gegenüber watson:

"Ich halte eine Impfpflicht für alle, die in der Versorgung Pflegebedürftiger arbeiten, für richtig und wichtig. Es gibt bereits eine Impfpflicht gegen Masern. Da war kein Aufschrei zu hören. Wir haben besondere Verantwortung gegenüber den Menschen, die wir versorgen. Die ungeimpften Covid-Patient:innen sind überwiegend schlecht informiert oder haben die Tragweite einer Infektion nicht als das Risiko erfasst, das sie darstellt. Die wenigsten sind Impfgegner."
"Wir werden auch in dieser Welle wieder alles geben. Nur ist 'alles' durch die Personalflucht heute deutlich weniger als noch vor zwei Jahren."
31-jähriger Intensivpfleger

Aber auch den Schutz des Pflegepersonals selbst nennt der Pfleger als Grund dafür, die Impfung verpflichtend zu machen. "Es haben sich tatsächlich einige meiner Kolleg:innen im Verlauf der Pandemie infiziert, und sind teils mit Long-Covid immer noch sehr eingeschränkt in ihrer Gesundheit", sagt er zu watson. Trotz dieser Gefahr seien die Pflegekräfte weiterhin bereit zu helfen: "Wir werden auch in dieser Welle wieder alles geben. Nur ist 'alles' durch die Personalflucht heute deutlich weniger als noch vor zwei Jahren." Denn das nötige Personal dafür fehle, Operationen würden verschoben und der Krankenhausbetrieb sei wieder nur eingeschränkt möglich, erzählt der Pfleger aus seinem Berufsalltag.

Die Stimmung in den Krankenhäusern ist schlecht, wie die Streiks der Vivantes Kliniken im Oktober verdeutlichten. Dies liege aber nicht primär an der Arbeitssituation, sondern am "Unverständnis, dass immer wieder der gleiche Ablauf einfach zugelassen wird", so der Pfleger gegenüber watson. Die Covid-Patientinnen und -Patienten würden jünger. "Mir ist persönlich egal, ob sich Privatpersonen impfen lassen oder nicht. Das geht mich nichts an. Dennoch ist es sehr anstrengend zu sehen wie Menschen leiden, sterben und Familien zerstört werden. Obwohl es vermeidbar wäre."

Kaufland testet komplett neue Pfandautomaten in Baden-Württemberg

Wer gelegentlich auf Reisen geht, kennt dieses ungewohnte Gefühl nach dem Einkauf im Supermarkt: Die Colaflasche kommt nach dem Trinken einfach in den Müll. Es folgt die Einsicht, dass man auch für diese eine lästige Pfandflasche von zu Hause in diesem Urlaub kein Geld mehr bekommen wird.

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