Leben
Analyse

Erziehung: Fehler der Eltern, die unser Verhalten für immer prägen

Therapie Teenager Mental Health Trauma Eltern Pädagogik
Von unseren Eltern übernehmen wir nicht nur die Haarfarbe, sondern auch Glaubenssätze und Bindungsmuster.Bild: pexels / cottonbro studio
Analyse

Diese Erziehungsfehler unserer Eltern prägen uns ein Leben lang

Auch wenn wir gerade erst ins Erwachsenenleben starten, schleppen wir oft schon Ballast aus der Kindheit und Jugend mit uns herum. Wie man diesen erkennt, erklärt Kinder- und Jugendtherapeutin Miriam Hoff aus Frankfurt am Main.
03.05.2025, 15:0303.05.2025, 15:03
Mehr «Leben»

"Die wichtigsten Prägungen erleben wir bis zum neunten Lebensjahr", sagt sie. In dieser Zeit übernehmen Kinder ungefiltert Bindungsverhalten, Vorbilder oder Glaubenssätze – und diese wiegen schwer. Die Kinder- und Jugendpsychologin Miriam Hoff beschäftigt sich seit einiger Zeit mit der Frage, wie sich unsere Kindheitserfahrungen auf unser Ich auswirken können.

Denn oft spürt man die Last dieser Glaubenssätze erst, wenn man als Erwachsene:r ins Straucheln gerät. Schuld daran ist der sinnbildliche "Rucksack aus Erfahrungen", den wir mit uns herumschleppen, erklärt Hoff. "Wenn sich der Lebensweg ständig holprig und zäh anfühlt, kann man den mal absetzen und prüfen, welcher Krempel darin uns so herunterzieht."

Die größte Last stammt dabei oft von den Eltern. Später beschweren uns auch negative Erfahrungen mit Lehrer:innen, Freund:innen oder die ersten großen Liebe.

Therapeutin Miriam Hoff, Kinder und Jugend, Erziehungsfehler
Miriam HoffBild: privat / Hans Keller

In ihrem Buch "Therapie für die Seele" (Remote Verlag) widmet sich Hoff genau diesem Ballast und wie man ihn loswird. Für watson besprachen wir mit ihr fünf typische Erziehungsstile und ihre Folgen.

Ehrgeizige Eltern

Den leistungsorientierten Erziehungsstil nutzen "Eltern, die ihre Träume auf den Nachwuchs projizieren", sagt Hoff. Ihre Kinder müssten zum Beispiel "Abitur machen oder Turniere gewinnen."

Diese Erwartungen müssen oft nicht einmal formuliert werden. Kinder spüren schließlich auch so, wofür sie Anerkennung oder Enttäuschung ernten.

So hatte Hoff eine Klientin, deren Vater immer als erstes von ihrer Eins in Mathematik erzählte, wenn er über seine Tochter sprach. "Dieses Mädchen hasst Mathe", sagt die Therapeutin, "aber sie hatte gelernt, dass die väterliche Anerkennung an ihre Matheleistung gekoppelt ist. Deshalb quälte sie sich durch wöchentliche Lernsessions."

Das Interessante? Die Selbstwahrnehmung. "Wenn ich solche Eltern – häufig Väter – frage, behaupten die meisten, sie übten keinen Druck aus, verlieren dann aber die Nerven, wenn eine Vier nach Hause gebracht wird", berichtet Miriam Hoff aus der Praxis.

"Typisch sind Durchhalteparolen à la: 'Von Nichts kommt Nichts.' oder 'Da musst du dich mal durchsetzen!'"

Man könnte hier auch von einer Gefallsucht sprechen. Als Ergebnis dieser Erziehung habe Hoff "Jungs in der Praxis, die sich nicht trauen, ihre Homosexualität oder Freude am Theater zuzugeben, weil sie glauben, ihr Vater hielte sie dann für weich", berichtet sie. Es sei "tragisch."

Diese Kinder würden oft Berufe und Lebenskonzepte ergreifen, die ihnen nicht entsprechen. Hoff: "Dann fällt ihnen irgendwann im Alter auf: Ich bin gar nicht glücklich. Ich verbringe mein Leben damit, den Applaus meines Vaters zu bekommen."

Als Kind solcher Eltern neigst du heute zu: Burnout, Depression und Wegdrücken deiner Bedürfnisse.

Überbehütende Eltern

Auch das überbehütete Kind führt ein Leben für die Eltern. "Besonders häufig ist dieses Erziehungs-Phänomen bei Frauen, den Helikoptermüttern", erklärt die Expertin

Diese Eltern wirken sehr liebevoll, binden die Kinder aber "auf ungesunde Art an sich", führt Hoff aus:

"Sie überschütten sie mit Zuwendung, aber damit geht ein unausgesprochener Deal einher, nämlich: Ich habe mich für dich aufgeopfert, du bist das Zentrum meines Lebens - also darfst du mich nie zurücklassen."

Überbehütete Kinder haben schlechtes Gewissen, wenn sie ausziehen oder eine Liebesbeziehung priorisieren, da sie damit die Eltern "alleine" ließen. Sie übernehmen Ängste vor der "gefährlichen" Außenwelt und fühlen sich schuldig bei typischen Sätzen wie: "Wir sehen uns nur so selten" oder "Du bist mein Ein und Alles."

"Wenn solche Kinder nicht in den Widerstand gehen, wirkt das maximal entwicklungshemmend", warnt die Expertin. Psychoanalytisch sei die Ablösung jedoch komplex: "Die meisten Kinder wagen nicht, offen gegen die Eltern vorzugehen und entwickeln als 'Ausweg' oft Autoaggressionen: Essstörungen, Ritzen, Extremsport – die Kinder tun alles, um sich selbst zu spüren und den Eltern zu entziehen."

In der Therapie erlebe Miriam Hoff oft, wie erleichtert Kinder seien, wenn sie endlich folgenden Satz hören:

"Du bist nicht für das Glück deiner Eltern verantwortlich. Das ist nicht die Aufgabe des Kindes."

Als Kind solcher Eltern neigst du heute zu: Schuldgefühlen und selbstverletzendem Verhalten.

Vernachlässigende Eltern

Diese Eltern kämpfen mit eigenen Problemen – etwa psychischen Erkrankungen, Sucht, Trauma oder prekären Lebensumständen – und können sich nicht ausreichend um ihre Kinder kümmern.

"In solchen Elternhäusern benötigen Kinder eine hohe Intelligenz und Resilienz, um sich im Alltag zu organisieren, schnell zu reagieren", weiß Miriam Hoff. Sie wirken früh selbstständig, entwickeln feine Antennen für Gefahren aus ihrer Umwelt, sind aber völlig überfordert.

Therapie für die Seele Miriam Hoff
Bild: Remote Verlag

"Ihnen fehlt das Urvertrauen", sagt die Therapeutin. Dieses sei aber entscheidend für jede spätere Bindung:

"Es ist Aufgabe der Eltern, dem Kind zu zeigen, dass es sich fallen lassen darf. Vernachlässigte Kinder lernen stattdessen: Ich kann mich in dieser Welt auf nichts verlassen, außer mich selbst."

Die fehlende Aufmerksamkeit gibt dem Kind zudem das Gefühl, nicht wertvoll zu sein, "sondern eher eine Bürde". Das Resultat sind mitunter Abhängigkeitserkrankungen, Orientierungslosigkeit oder sogar kriminelles Verhalten.

Als Kind solcher Eltern neigst du heute zu: Misstrauen gegenüber anderen Menschen, geringem Selbstwert.

Launische Eltern

Unsicherheit erleben auch Kinder von inkonsistenten Müttern und Vätern. Ihr Zuhause ist geprägt von "zerstreuten Eltern, deren Stimmung permanent schwankt", sagt Hoff. Für den Pups am Esstisch gibt es mal Gelächter, dann Riesenärger.

Auch eine Verletzung wird mal fürsorglich versorgt, dann mit einem "Nerv nicht" abgehandelt. "Die Unberechenbarkeit der Eltern wirkt sich auf das Bindungsverhalten aus", sagt Hoff. "Diese Kinder lernen: Mama findet mich heute ganz toll, aber morgen stößt sie mich weg."

Neben massiver Verunsicherung geschieht dann mitunter etwas noch Komplizierteres, schildert Hoff:

"Wenn die Eltern schwer einzuschätzen und instabil sind, wagen es Kinder manchmal nicht mehr, ihren eigenen Gefühlen authentisch Raum zu geben. Sie lachen zum Beispiel über den Witz der Mama, auch wenn sie gerade todtraurig sind, bloß um die Stimmung zu halten."

Als prominentes Beispiel fällt Hoff dazu Hape Kerkeling ein. Der Comedian versuchte, als Kind die Depressionen seiner Mutter mit Witzen aufzufangen. "In der Psychotherapie nennen wir das die Entwicklung eines 'falschen Selbst'", erklärt sie. "Diese Kinder wissen nicht mehr, was sie fühlen. Sie sind getrieben von der Angst, dass ihnen freundliche Zuneigung schlagartig und grundlos entzogen wird und passen sich daher maximal an."

Als Kind solcher Eltern neigst du heute zu: Bindungsangst, People Pleasing und Maskieren deiner Gefühle.

Autoritative Eltern

Doch es gibt auch heilsame Elternhäuser. Hoff typisiert ihren Erziehungsstil als "autoritativ": "Solche Eltern setzen deutliche Grenzen, aber sie lassen ihre Kinder innerhalb dieser Grenzen frei."

Diese Eltern seien "nicht bedürftig", würden die Kinder nicht als ihren verlängerten Arm, Belastung oder Erfüllung ihrer Träume sehen, sondern als Individuum. Die Therapeutin:

"Weil diese Eltern innerlich stabil sind, können sie ihrem Kind eine Richtung vorgeben, aber auch Freiraum lassen. Sie nehmen ihre Kinder als eigenen kleinen Menschen wahr, der zwar Orientierung braucht, aber selbstständig leben darf."

Typischer Satz? "Du weißt, wie es geht, ich lasse jetzt los." oder "Du wirst bedingungslos geliebt". "Das sagen viele", sagt Hoff, "ob es stimmt, erkennst du, sobald du Kleidung oder Jobs wählst, die dem Geschmack der Familie nicht entsprechen." Starke Eltern akzeptieren das.

Als Kind solcher Eltern neigst du heute dazu: Selbstbewusst deinen Weg zu gehen.

Tiktok-Trend: Krankenschwester zieht gegen #Skinnytok in den Kampf
Ein Trend auf Tiktok glorifiziert extreme Schlankheit und bringt Jugendliche dazu, tagelang zu fasten oder Appetitzügler zu schlucken. Die französische Krankenschwester Charlyne Buigues hat genug davon – und startet eine Petition, die jetzt sogar die Politik erreicht.

Auf Tiktok geht es längst nicht mehr nur um harmlose Kurzclips. Propaganda und gefährliche Trends stehen an der Tagesordnung. Gesund ist das stundenlange Abhängen auf Tiktok und anderen Social-Media-Plattformen sowieso nicht.

Zur Story