Wer im Jahr 2023 eine:n Handwerker:in benötigt, braucht Geduld – teilweise monatelang. Im Schnitt beträgt die aktuelle Wartezeit rund drei Monate, Ende 2023 könnte es laut des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) bis zu sechs Monate dauern, einen Termin zu ergattern.
Bei den Arbeitsagenturen sind derzeit 150.000 offene Stellen im Handwerk gemeldet, der ZDH geht von schätzungsweise 250.000 Vakanzen aus. Dies ist nicht nur ein Problem für den Privatkunden, sondern auch für die Wirtschaft. Die Bundesregierung will daher bis 2026 mit 750 Millionen Euro junge Menschen in der Ausbildung fördern, um den Handwerker-Mangel zu beseitigen.
Das Geld soll beispielsweise in die Modernisierung der Lernorte fließen. Denn laut Bundesagentur für Arbeit seien 2022 allein im Handwerk 19.847 Ausbildungsplätze unbesetzt geblieben, so das ZDH. 2020 schlossen nur halb so viele Menschen eine Gesellenprüfung in Handwerksberufen ab, wie noch vor 20 Jahren.
Doch warum gibt es überhaupt einen Mangel an Handwerker:innen in Deutschland? Und wie erleben junge Menschen im Handwerk ihren Arbeitsalltag? Watson hat nachgefragt.
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) nennt als Hauptursachen für den fehlenden Nachwuchs die demografische Entwicklung und den Fokus auf Akademisierung in der Bildungspolitik in den vergangenen Jahrzehnten. Die Gesamtzahl der Schulabsolvent:innen nehme ab und davon entschieden sich immer weniger junge Menschen für eine berufliche Ausbildung im Handwerk. Ein doppelter Rückgang also.
Die mangelnde Nachfrage nach einem Job im Handwerk hat, laut Aussagen des ZDH gegenüber watson, "mit dem in Deutschland seit Jahrzehnten verfolgten Bildungsmantra zu tun, wonach angeblich Abi und Studium der Königsweg für beruflichen und gesellschaftlichen Erfolg sind."
Eine Sprecherin des ZDH kritisiert, es gebe dadurch einen "immer geringeren Respekt in der Gesellschaft für berufspraktische Ausbildung und Arbeit". Dieser halte junge Menschen davon ab, ins Handwerk zu gehen. Viele Handwerker:innen gehen auch ins Ausland, wo sie gute Bedingungen vorfinden, laut "Handwerksblatt" beispielsweise in Schweden oder Spanien.
Nicht so Jule. Die junge Frau ist 23 Jahre alt und Schreinerin. Ihr Liebe zum Handwerk entdeckte sie durch ihren Vater, der in seiner Werkstatt in der Garage neben dem Haus als Schreiner arbeitete. "So habe ich als kleines Mädchen schon viel mitbekommen und habe Einblicke bekommen. In jungen Jahren hatte ich schon sehr viele positive Erlebnisse mit dem Handwerk."
Als ihr Vater schließlich eine neue, größere Werkstatt baute und einen neuen Lehrling suchte, traf Jule kurzerhand die Entscheidung für ihren beruflichen Werdegang: Sie wollte eine Ausbildung in der väterlichen Schreinerei machen: "Ich habe gesagt: 'Mensch Papa, dann machen wir das gemeinsam.'"
Als Alternative hätte sich Jule auch ein Studium der Tiermedizin vorstellen können. Die Zeugnisnoten dafür hätte sie gehabt. Doch sie entschied sich schließlich dazu, "definitiv Schreinerin zu werden" und fing mit knapp 16 Jahren eine Ausbildung im Betrieb ihres Vaters an. Sie hat diesen Schritt nie bereut, ist nach wie vor leidenschaftlich bei der Arbeit und liebt jeden Aspekt ihres Handwerks. Auch wenn ihre Lehrer sie gern beim Abitur gesehen hätten, wie sie erzählt:
"Da muss sich etwas in den Köpfen bewegen", fordert der Zentralverband des Deutschen Handwerks. "Wir müssen uns klar darüber werden, dass berufspraktische und akademische Arbeit gleichermaßen wichtig sind, damit unsere Gesellschaft und Wirtschaft funktionieren."
Damit dieser Gesinnungswandel passieren kann, braucht es mehr Informationskampagnen in den Schulen: "Wie modern, digital, jobsicher und vor allem zukunftswichtig und -gestaltend das Handwerk ist, davon erfahren vor allem Jugendliche in der Schule und besonders an Gymnasium nur unzureichend."
Eine bundesweite Berufsorientierung zu den Möglichkeiten der beruflichen Aus- und Fortbildung an den allgemeinbildenden Schulen würde da helfen. Diese gibt es bislang aber nicht, wie das ZDH kritisiert:
Auch Jule will anderen jungen Menschen zeigen, wie attraktiv das Handwerk als Beruf sein kann. Gemeinsam mit anderen jungen Handwerker:innen geht sie mit der Initiative "Handwerk hilft" an Schulen, um zusammen mit den Schüler:innen Spenden zu sammeln. "So setzen sich auch die Schüler mit dem Thema Handwerk auseinander", sagt sie. "Das Handwerk an sich ist nicht präsent genug und kommt daher für viele Schüler gar nicht infrage. Es kommt auch bei vielen Schulen gar nicht so an: 'Handwerk ist toll, da habt ihr eine Perspektive.'"
Am liebsten an ihrem Job als Handwerkerin mag Jule die Abwechslung und die Vielfalt des Handwerks: "Bei uns ist kein Tag wie der andere (...). Jedes Projekt ist unterschiedlich und für sich einzigartig."
Alle Schritte eines Projekts mitzuerleben, von Planung, Konstruktion, Kundenwunsch, über die Fertigung bis hin zur Endmontage miterleben zu können, sei ein schönes Gefühl: "Das allerschönste für jeden Handwerker ist aber, wenn wir das Objekt übergeben und der Kunde glücklich ist. Das erfüllt, glaube ich, jeden von uns."
Auch die gesellschaftliche Anerkennung für einen Beruf im Handwerk ist ein wichtiges Thema. Das ZHS sieht die Verantwortung für ein "Umdenken" nicht nur bei den Jugendlichen, sondern auch den Eltern, Lehrern und der Gesellschaft. Die Bildungspolitik brauche dringend eine Kehrtwende: "Handwerklichen Berufen muss die Anerkennung und Wertschätzung entgegengebracht werden, die ihnen mit Blick auf ihre zentrale Rolle für die Zukunft unseres Landes gebührt."
So müsse die gleichwertige Behandlung beruflicher und akademischer Bildung auch gesetzlich verankert werden. Neben der Berufsorientierung an den Schulen zu möglichen Ausbildungsfeldern fordert das ZDH auch eine Entlastung von Ausbildungsbetrieben und mehr attraktive Angebote für Auszubildende wie das Azubi-Ticket oder Azubi-Wohnen.
Jule hat das Problem der mangelnden Anerkennung in ihrem Umfeld glücklicherweise nicht. Sie sagt: "Kunden, Freunde und auch die Familie schätzen es alle sehr und bewundern den Beruf mit all seinen Möglichkeiten."