Während sich das Leben in Deutschland fast wieder normal anfühlt und die meisten Menschen das Coronavirus wohl gerne eine Weile vergessen würden, steigt bei Experten die Sorge wegen der Delta-Variante. In Deutschland ist sie inzwischen die vorherrschende Variante bei Neuinfektionen, die ebenfalls wieder ansteigen. Auch in Großbritannien gibt es bereits Berichte darüber, dass selbst vollständig immunisierte Menschen an Delta gestorben sind.
Nun wurde in Israel festgestellt, dass der Biontech Impfstoff wohl doch nicht so wirksam gegen Delta ist, wie vermutet. Das Vorzeigeland in Sachen Impfkampagne hatte vor allem auf Biontech gesetzt – doch in letzter Zeit steigen dort die Neuinfektionen wieder und vor allem die Delta-Variante breitet sich stark im Land aus.
Eine neue Studie der Hebrew Unitersity of Jerusalem stelle fest, dass die Wirksamkeit von Biontech für die Delta-Mutante nur zwischen 60 und 80 Prozent beträgt, gab das israelische Gesundheitsministerium am Montagabend bekannt. Seit dem 6. Juni sei die Wirksamkeit der Impfung auf 64 Prozent gesunken. Allerdings wehre die Impfung demnach trotzdem zu 93 Prozent eine schwere Erkrankung und Krankenhausaufenthalte ab.
Ein Experte der Charité warnt vor voreiligen Schlüssen: "Diese Zahlen muss man noch etwas mit Vorsicht betrachten. Es ist methodisch schwierig in einem solchen Setting wie in Israel mit niedrigen Inzidenzen und lokalen Ausbrüchen die genaue Effektivität der Impfung zu bestimmen", teilte Leif Erik Sander auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag mit. Der Virologe Alexander Kekulé betonte, dass die israelische Wirksamkeitsstudie noch nicht veröffentlicht und die Daten möglicherweise vorläufig seien. Zudem gebe es andere Studien etwa aus England, die eine Wirksamkeit von 88 Prozent gegen die Delta-Variante ergeben hätten.
Ein anderer möglicher Grund für die geringe Wirksamkeit des Biontech-Impfstoffes sei, dass der Immunschutz mit der Zeit etwas nachlasse, erklärte Sander. In Israel sei sehr früh geimpft worden. Dass vor allem der Schutz vor einer Weitergabe des Virus mit der Zeit bei der Delta-Variante nachlassen könnte, wird schon länger befürchtet – er gilt als weniger langlebig als der Schutz des Geimpften selbst. Jedoch schütze die Impfung weiterhin sehr gut vor schweren Krankheitsverläufen.
Watson hat mit dem Epidemiologen Markus Scholz von der Universität Leipzig darüber gesprochen, wie gefährlich die Delta-Variante wirklich ist, was uns erwartet und wie wir uns schützen können.
Scholz erklärt, dass die Delta-Variante deutlich ansteckender ist als die aktuell dominierende "britische" Alpha-Variante. "Wir gehen von bis zu 60 Prozent erhöhter Infektiosität wahrscheinlich aufgrund erhöhter Viruslast aus", sagt der Experte gegenüber watson. "Es gibt erste Hinweise, dass diese Variante auch häufiger zu schweren Verläufen führt."
Deswegen muss allerdings hierzulande niemand in Panik verfallen: "Die gute Nachricht ist, dass die in Deutschland hauptsächlich verabreichten Impfstoffe auch gegen die Delta-Variante wirksam sind", so Scholz. "Der Schutz vor schwerem Krankheitsverlauf ist sowohl bei Astrazeneca als auch bei Biontech sehr hoch, mehr als 90 Prozent. Der Schutz vor Ansteckungen ist geringer. Hier scheint Biontech etwas wirksamer zu sein." Diese Angaben bezögen sich auf vollständig Geimpfte. Studien zeigten, dass eine einfache Impfung unzureichend sei.
Erst am Donnerstag gab der Hersteller Johnson & Johnson laut dpa in einer offiziellen Erklärung die Ergebnisse zweier bislang nicht veröffentlichen Studien heraus. Diese würden die starke Wirksamkeit des Einmal-Impfstoffes Johnson & Johnson gegen die Delta-Variante zeigen. Eine weitere Untersuchung habe bestätigt, dass die Immunantwort mindestens acht Monate anhalte.
Gerade hat das Robert-Koch-Institut eine offizielle Empfehlung abgegeben, allen Astrazeneca-Geimpften als Zweitimpfung einen anderen Impfstoff, wie Moderna oder Biontech/Pfizer, zu verabreichen. Epidemiologe Scholz erklärt dies damit, dass der Einsatz unterschiedlicher Impfstoffe bei der Erst- beziehungsweise Zweitimpfung, die sogenannte heterologe Impfung, bei der Impfstoffentwicklung zunächst nicht erprobt worden sei, da die Produkte von verschiedener Herstellern sind. Deshalb habe es dafür auch keine Empfehlung gegeben.
"Erst die mehrfach geänderten Empfehlungen bezüglich Astrazeneca haben zu der Situation geführt, dass heterologe Impfungen häufiger durchgeführt wurden", sagt Scholz. Epidemiologische Daten hätten nun ergeben, dass dies sogar positive Effekte hinsichtlich Schutzwirkung hat. "Das ist also quasi ein Zufallsbefund, der erst aufgrund einer ausreichend großen Datenlage zu einer Empfehlung geführt hat."
Schützen kann man sich vor der Delta-Variante also am besten genauso wie vor anderen Varianten: durch die Abstandsregeln und eine vollständige Impfung. Eine Garantie dafür, nicht an der Delta-Variante zu erkranken, ist das aber leider nicht: "Durch die sehr hohe Infektiosität werden sich früher oder später alle anstecken, die nicht geimpft sind. Es ist im Moment zum Beispiel unklar, ob die geltenden AHA+L Regeln einen ausreichenden Schutz vor einer Ansteckung mit der Delta-Variante bieten", äußert sich Scholz.
Die Prognose von Markus Scholz für Deutschland sieht besorgniserregend aus: "Basierend auf unseren Modellvorhersagen rechnen wir damit, dass die Delta-Variante das Infektionsgeschehen in Deutschland in wenigen Wochen dominieren wird. Je nachdem, wie stark gelockert wird, rechnen wir ab spätestens Herbst aufgrund des geringer werdenden Witterungseffektes mit einer neuen Welle. Die wird vor allem die dann nicht-geimpfte Bevölkerung treffen."
"Da die Impfungen keinen hundertprozentigen Schutz vor Ansteckungen beziehungsweise schweren Krankheitsverläufen gibt, wird es auch unter Geimpften zu Ansteckungen und Todesfällen kommen." Jedoch sei dies sehr viel unwahrscheinlicher als bei ungeimpften Vergleichspersonen. "Die beschriebenen Todesfälle bei Geimpften in England sind zu erwarten gewesen und kein Hinweis auf reduzierte Wirksamkeit der Impfungen."
Da die meisten Risikopersonen inzwischen geimpft seien, rechne er trotzdem nicht damit, dass die vierte Welle zu einer Überlastung des Gesundheitssystems führen werde. Allerdings warnt der Epidemiologe vor den Long-Covid-Folgen, die auch nach leichten Verläufen auftreten könnte. "Deshalb ist es auch für Personen mit einem geringen Risiko für einen schweren Verlauf lohnenswert, sich impfen zu lassen."
(mit Material der dpa)