Leben
Analyse

Online-Glücksspiel: Wie Jugendliche in die Spielsucht rutschen

Teenage boy in wireless headphones sitting on sofa using his mobile phone for playing online games
Laut Studien spielen tendenziell mehr junge Männer als Frauen Online-Glücksspiele.Bild: iStockphoto / AnnaStills
Analyse

Wo Jugendschutz nicht greift: Wie Jugendliche von Online-Glücksspiel abhängig gemacht werden

10.03.2023, 08:2410.03.2023, 08:27
Mehr «Leben»

Sie sind bunt, lustig und wirken harmlos: Viele Spiele, die Jugendliche im Internet oder auf ihrem Handy zocken können, beinhalten jedoch Glücksspiel-Elemente. Bereits im Oktober 2019 deckte Jan Böhmermann in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" diese Masche von Anbietern am Beispiel der App Coin Master auf. Dort sollen Spieler:innen ein Dorf aufbauen, für das sie virtuelles Geld, also Coins, brauchen. Neue Coins kann man durch einen simulierten einarmigen Banditen gewinnen.

Dies ist laut Experten problematisch, da Jugendliche durch die Simulation von Automatenspiel an Glücksspiel herangeführt werden. Noch problematischer wird die App dadurch, dass man nur mit echtem Geld zusätzliche Versuche am einarmigen Banditen erwerben kann.

Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) waren 2021 in Deutschland 430.000 Menschen von problematischem Glücksspielverhalten oder Glücksspielsucht betroffen. Vor allem junge männliche Erwachsene bis 25 Jahre sind gefährdet. Martin Dietrich, kommissarischer Leiter der BZgA, warnte: "Online-Glücksspiel ist – im Vergleich zu anderen Glücksspielarten – mit einem erhöhten Suchtrisiko verbunden."

Watson hat mit Tobias Hayer über diese Problematik gesprochen. Er promovierte zum Thema "Jugendliche und Glücksspiel-bezogene Probleme" und lieferte "ZDF Neo" 2019 die wissenschaftlichen Hintergrundinformationen.

Tobias Hayer ist Professor an der Universität Bremen und Leiter der Arbeitseinheit Glücksspielforschung.
Tobias Hayer ist Professor an der Universität Bremen und Leiter der Arbeitseinheit Glücksspielforschung.Kai Uwe Bohn / Universität Bremen Hochschulkommunikation

Zu wenig Jugendschutz bei Online-Games

Hayer warnt auch vor allem vor scheinbar harmlosen Spielelementen wie Loot-Boxen oder Pack-Openings:

"Diese haben ganz klar Glücksspiel-Charakter. Da werden Glücksspiele in Computerspiele eingebunden – diese Verschmelzung von Gaming und Gambling sehen wir mit großer Sorge."

Grundsätzlich sei der Bereich des simulierten Internet-Glücksspiels ein "völlig unregulierter Markt ". Auch Demospiele ohne Echtgeldeinsätze, also zum Beispiel Spielautomaten im Netz, seien bereits Glücksspiel-nahe Angebote. Nur fehle ein Definitionsmerkmal von echtem Glücksspiel: "Da spielen Sie nur um Punkte und deswegen greift der Jugendschutz nicht."

"Gerade Jugendliche kommen im Netz zunehmend mehr, eher und früher an Glücksspiel heran und zocken weniger offline."
Tobias Hayer

Trotzdem gibt es auch dort potenzielle Suchtfaktoren:

"Das Problem ist, die sehen genauso aus wie die echten Slot Machines und haben oftmals überhöhte Ausschüttungsquoten. Sie gewinnen daher nicht selten häufiger als sie verlieren könnten. Das entfacht Neugierde bei den jungen Leuten, und einige wollen dann sehr schnell umsteigen auf die quasi identisch aussehende Echtgeld-Seite."

Laut Experten ist das Risiko einer Spielsucht-Entwicklung bei Spielen mit hoher Ereignisfrequenz sowie hoher Verfügbarkeit wie bei virtuellen Automatenspielen besonders hoch. Auch Streaming-Influencer tragen dazu bei, junge Leute für Glücksspiel zu begeistern.

"Wir wissen, dass gerade Jugendliche im Netz zunehmend mehr, eher und früher an Glücksspiel herankommen und weniger offline zocken." Auch Werbung, gerade im Internet, nähmen Jugendliche verstärkt wahr, genauso wie Influencer-Marketing.

"Wenn ein Jens Knossalla ("Knossi") oder ein Montana Black mit 1 Million Plus Follower streamen, wie sie beim Zocken von Glücksspielen wie Online-Casino gewinnen und das entsprechend abfeiern, dann machen die hier direkt, Werbung für echtes Glücksspiel. Sie normalisieren das, schüren Hoffnungen, verzerren Gewinnerwartungen."

Einige Influencer hätten auch Werbeverträge mit Glücksspiel-Anbietern und würden mitverdienen, wenn sie ihre Community auf die Website der Glücksspiel-Anbieter locken. Dies ist inzwischen gesetzlich verboten. Doch unzählige dieser Videos kursieren weiterhin im Netz – auch von ausländischen Streamern. "Das macht was mit den Kids. Das sehe ich als brandgefährlichen Marketing an", sagt Hayer.

Glücksspiel: Wie sinnvoll ist staatliche Regulierung?

Sind die Streamer von heute also die Glücksspiel-Zocker von morgen?

Seit 2021 gibt es einen neuen Glücksspielstaatsvertrag in Deutschland. Auf einer White-List der Gemeinsamen Glücksspielbehörde Deutschland stehen nun legale Glücksspiel-Anbieter, die im Gegenzug gewisse gesetzlich vorgegebene Bestimmungen einhalten. "Unter dem Strich gibt es eine Privatisierung des Marktes und damit zahlreiche Anbieter, deren Geschäftsmodell auf Umsatzmaximierung ausgerichtet ist", sagt Hayer.

Neu: dein Watson-Update
Jetzt nur auf Instagram: dein watson-Update! Hier findest du unseren Broadcast-Channel, in dem wir dich mit den watson-Highlights versorgen. Und zwar nur einmal pro Tag – kein Spam und kein Blabla, versprochen! Probiert es jetzt aus. Und folgt uns natürlich gerne hier auch auf Instagram.

Seit Anfang dieses Jahres gibt es in Deutschland sogar das erste staatliche Online-Casino. Das Bundesland Sachsen genehmigte die Website die-spielbank.de. Auch dort findet man auf den ersten Blick viele bunte, verspielte Games. Die Steuereinnahmen durch Glücksspiel betrugen 2022 2,4 Milliarden Euro. Die Sächsischen Spielbanken schätzen "die Zahl der Anmeldungen als sehr zufriedenstellend ein".

"Haben Sie ein Hobby, das 1.000 Euro im Monat kostet?"
Tobias Hayer

Auf Anfrage von watson wird die Etablierung eines staatlichen Online-Glücksspielangebots folgendermaßen begründet:

"Mit dem Onlineangebot der Sächsischen Spielbanken wird das Interesse und die große Nachfrage nach virtuellem Automatenspiel kanalisiert, also in legale Bahnen geleitet. Den Spielinteressierten wird (...) ein attraktives und gleichzeitig sicheres und vertrauenswürdiges Glücksspielangebot unterbreitetet."

Mangelnde Spielsucht-Prävention

Um die Spieler:innen vor Suchtverhalten zu schützen, gibt es Maßnahmen. Viele davon beruhen aber auf Selbstschutz statt auf Kontrolle. Zum Beispiel werden den User:innen bei jeder Anmeldung auf Die-Spielbank.de ihre Gewinne und Verluste angezeigt. Erst mit einer Bestätigung kann wieder gespielt werden.

Zudem wird den Spieler:innen angezeigt, wie lange sie schon aktiv spielen und nach 60 Minuten erscheint ein Hinweis auf dem Bildschirm, der bestätigt werden muss. Eine künstliche Intelligenz analysiert darüber hinaus das Spielverhalten, nimmt Risikobewertungen vor und kann gegebenenfalls Warnungen an den User versenden.

"Sollte sich das auffällige Spielverhalten fortsetzen", besprechen die Mitarbeiter der Spielsuchtprävention mit den Betroffenen konkrete "Maßnahmen zur Regulierung des Spiels", so die Sprecherin von Die-Spielbank.de. Außerdem können sich Spieler:innen selbst über die sogenannte "Bundesweite Spielsperre (OASIS)" für einen Zeitraum von drei Monaten sperren lassen.

"In der Praxis ist der beste Kunde oder die beste Kundin immer noch der- oder diejenige mit dem dicken Portemonnaie."
Tobias Hayer

Einzahl-Limit heißt nicht Verlust-Limit

Spieler:innen können sich zudem proaktiv bei der Registrierung ein monatliches Einzahllimit setzen, das unterhalb des grundsätzlichen Maximums von 1.000 Euro im Monat liegt. Die Frage, wie sinnvoll diese Obergrenze ist, beantwortet Tobias Hayer mit einer Gegenfrage: "Haben Sie ein Hobby, das 1.000 Euro im Monat kostet?"

Seiner Meinung ist das "letztendlich ein Verlust-Limit." Er erklärt: "Einzahlung bedeutet, von ihrem Sparkassenkonto können Sie pro Monat maximal 1.000 Euro auf ihr Spielerkonto transferieren. Aber wenn Sie 5.000 Euro gewinnen, können Sie das natürlich auch wieder verzocken."

focus on girl, Shoulder shot of girl playing live video game on mobile phone at home - concept of relaxation, championship and tournament
Lustige App oder schon Einstieg in die Welt der Glücksspiele?Bild: iStockphoto / lakshmiprasad

Außerdem gibt es, wie so oft, Ausnahmen: "Im Staatsvertrag steht, es ist prinzipiell für gewisse Personen sogar möglich, das Limit nach oben zu verschieben." Die dafür nötigen Kriterien einschließlich der Überprüfung seien allerdings bislang intransparent.

Generell findet Hayer es gut, dass es nun gesetzliche Regelungen gibt, "zumindest besser als völliger Wildwuchs". Denn illegale Glücksspiel-Angebote hätten meist gar keine Mechanismen zum Jugend- und Spielerschutz. Doch:

"Gleichwohl wird bei der Story immer vergessen, dass auch legale Anbieter sich nicht unbedingt immer an Recht und Ordnung halten. In der Praxis ist der beste Kunde oder die beste Kundin immer noch der- oder diejenige mit dem dicken Portemonnaie, beziehungsweise diejenigen, die viel Geld einsetzen. Und dann liegt der Gedanke nahe, dass sich unter diesen Personen auch Glücksspielsüchtige befinden."
Urlaub in Barcelona: Stadt führt Selfie-Verbot an Tourismus-Hotspot ein

Dass die Gen Z ihre Reiseziele basierend auf Social Media aussucht, ist bereits seit Längerem eine bekannte Entwicklung. Mehrere Studien zeigten zuletzt, dass vor allem Reisende unter 35 ihren Urlaub mittlerweile vermehrt basierend auf Social-Media-Content planen.

Zur Story