Sie sind bunt, lustig und wirken harmlos: Viele Spiele, die Jugendliche im Internet oder auf ihrem Handy zocken können, beinhalten jedoch Glücksspiel-Elemente. Bereits im Oktober 2019 deckte Jan Böhmermann in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" diese Masche von Anbietern am Beispiel der App Coin Master auf. Dort sollen Spieler:innen ein Dorf aufbauen, für das sie virtuelles Geld, also Coins, brauchen. Neue Coins kann man durch einen simulierten einarmigen Banditen gewinnen.
Dies ist laut Experten problematisch, da Jugendliche durch die Simulation von Automatenspiel an Glücksspiel herangeführt werden. Noch problematischer wird die App dadurch, dass man nur mit echtem Geld zusätzliche Versuche am einarmigen Banditen erwerben kann.
Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) waren 2021 in Deutschland 430.000 Menschen von problematischem Glücksspielverhalten oder Glücksspielsucht betroffen. Vor allem junge männliche Erwachsene bis 25 Jahre sind gefährdet. Martin Dietrich, kommissarischer Leiter der BZgA, warnte: "Online-Glücksspiel ist – im Vergleich zu anderen Glücksspielarten – mit einem erhöhten Suchtrisiko verbunden."
Watson hat mit Tobias Hayer über diese Problematik gesprochen. Er promovierte zum Thema "Jugendliche und Glücksspiel-bezogene Probleme" und lieferte "ZDF Neo" 2019 die wissenschaftlichen Hintergrundinformationen.
Hayer warnt auch vor allem vor scheinbar harmlosen Spielelementen wie Loot-Boxen oder Pack-Openings:
Grundsätzlich sei der Bereich des simulierten Internet-Glücksspiels ein "völlig unregulierter Markt ". Auch Demospiele ohne Echtgeldeinsätze, also zum Beispiel Spielautomaten im Netz, seien bereits Glücksspiel-nahe Angebote. Nur fehle ein Definitionsmerkmal von echtem Glücksspiel: "Da spielen Sie nur um Punkte und deswegen greift der Jugendschutz nicht."
Trotzdem gibt es auch dort potenzielle Suchtfaktoren:
Laut Experten ist das Risiko einer Spielsucht-Entwicklung bei Spielen mit hoher Ereignisfrequenz sowie hoher Verfügbarkeit wie bei virtuellen Automatenspielen besonders hoch. Auch Streaming-Influencer tragen dazu bei, junge Leute für Glücksspiel zu begeistern.
"Wir wissen, dass gerade Jugendliche im Netz zunehmend mehr, eher und früher an Glücksspiel herankommen und weniger offline zocken." Auch Werbung, gerade im Internet, nähmen Jugendliche verstärkt wahr, genauso wie Influencer-Marketing.
Einige Influencer hätten auch Werbeverträge mit Glücksspiel-Anbietern und würden mitverdienen, wenn sie ihre Community auf die Website der Glücksspiel-Anbieter locken. Dies ist inzwischen gesetzlich verboten. Doch unzählige dieser Videos kursieren weiterhin im Netz – auch von ausländischen Streamern. "Das macht was mit den Kids. Das sehe ich als brandgefährlichen Marketing an", sagt Hayer.
Sind die Streamer von heute also die Glücksspiel-Zocker von morgen?
Seit 2021 gibt es einen neuen Glücksspielstaatsvertrag in Deutschland. Auf einer White-List der Gemeinsamen Glücksspielbehörde Deutschland stehen nun legale Glücksspiel-Anbieter, die im Gegenzug gewisse gesetzlich vorgegebene Bestimmungen einhalten. "Unter dem Strich gibt es eine Privatisierung des Marktes und damit zahlreiche Anbieter, deren Geschäftsmodell auf Umsatzmaximierung ausgerichtet ist", sagt Hayer.
Seit Anfang dieses Jahres gibt es in Deutschland sogar das erste staatliche Online-Casino. Das Bundesland Sachsen genehmigte die Website die-spielbank.de. Auch dort findet man auf den ersten Blick viele bunte, verspielte Games. Die Steuereinnahmen durch Glücksspiel betrugen 2022 2,4 Milliarden Euro. Die Sächsischen Spielbanken schätzen "die Zahl der Anmeldungen als sehr zufriedenstellend ein".
Auf Anfrage von watson wird die Etablierung eines staatlichen Online-Glücksspielangebots folgendermaßen begründet:
Um die Spieler:innen vor Suchtverhalten zu schützen, gibt es Maßnahmen. Viele davon beruhen aber auf Selbstschutz statt auf Kontrolle. Zum Beispiel werden den User:innen bei jeder Anmeldung auf Die-Spielbank.de ihre Gewinne und Verluste angezeigt. Erst mit einer Bestätigung kann wieder gespielt werden.
Zudem wird den Spieler:innen angezeigt, wie lange sie schon aktiv spielen und nach 60 Minuten erscheint ein Hinweis auf dem Bildschirm, der bestätigt werden muss. Eine künstliche Intelligenz analysiert darüber hinaus das Spielverhalten, nimmt Risikobewertungen vor und kann gegebenenfalls Warnungen an den User versenden.
"Sollte sich das auffällige Spielverhalten fortsetzen", besprechen die Mitarbeiter der Spielsuchtprävention mit den Betroffenen konkrete "Maßnahmen zur Regulierung des Spiels", so die Sprecherin von Die-Spielbank.de. Außerdem können sich Spieler:innen selbst über die sogenannte "Bundesweite Spielsperre (OASIS)" für einen Zeitraum von drei Monaten sperren lassen.
Spieler:innen können sich zudem proaktiv bei der Registrierung ein monatliches Einzahllimit setzen, das unterhalb des grundsätzlichen Maximums von 1.000 Euro im Monat liegt. Die Frage, wie sinnvoll diese Obergrenze ist, beantwortet Tobias Hayer mit einer Gegenfrage: "Haben Sie ein Hobby, das 1.000 Euro im Monat kostet?"
Seiner Meinung ist das "letztendlich ein Verlust-Limit." Er erklärt: "Einzahlung bedeutet, von ihrem Sparkassenkonto können Sie pro Monat maximal 1.000 Euro auf ihr Spielerkonto transferieren. Aber wenn Sie 5.000 Euro gewinnen, können Sie das natürlich auch wieder verzocken."
Außerdem gibt es, wie so oft, Ausnahmen: "Im Staatsvertrag steht, es ist prinzipiell für gewisse Personen sogar möglich, das Limit nach oben zu verschieben." Die dafür nötigen Kriterien einschließlich der Überprüfung seien allerdings bislang intransparent.
Generell findet Hayer es gut, dass es nun gesetzliche Regelungen gibt, "zumindest besser als völliger Wildwuchs". Denn illegale Glücksspiel-Angebote hätten meist gar keine Mechanismen zum Jugend- und Spielerschutz. Doch: