Berliner Fashion Week: Marcel Ostertag rechnet mit deutscher Mode ab
Marcel Ostertag hat genug gesehen, um zu wissen, warum Deutschland modisch immer hinterherläuft. Der Designer führt immerhin seit fast 20 Jahren erfolgreich sein eigenes Label.
Im Gespräch mit watson rechnet er gnadenlos ab: mit der zerfaserten Fashion Week, mit Visionär:innen ohne Realitätssinn, mit einer Branche, die sich selbst gern zu ernst nimmt – und dabei ihre eigentliche Aufgabe vergisst.
Was folgt, ist ein ehrlicher Reality-Check von einem Designer, der auch ohne Glamour seinen Weg geht – und der den Mut hat, der Szene mal ordentlich den Spiegel vorzuhalten.
Marcel Ostertag rechnet mit Berliner Fashion Week ab
Watson trifft ihn zur Fashion Week in Berlin. Sein größter Aufreger der Woche: "Was mich als 'reiferes' Label stört, ist die Dezentralisierung der Fashion Week", sagt er deutlich, "wenn alle Shows an unterschiedlichen Orten gleichzeitig stattfinden, schafft man es automatisch nicht zu allen". Weniger Zuschauer:innen bedeuten in der Folge weniger Aufmerksamkeit auf einem ohnehin schon wenig beachteten deutschen Modemarkt.
Statt eines durchdachten Planes gibt es so eine unkoordinierte Schnitzeljagd durch Berlin. "Dabei würde es doch reichen, jedem Designer einen eigenen Zeitslot zu geben, um zu strahlen. Aber das bekommen die Organisatoren nicht auf die Kette", urteilt der Designer.
Zu gewinnen gibt es bei diesem Marathon jedoch nichts – außer, wenn man Ostertag glauben darf, dem schleichenden Ruin der Szene. Und als wäre das nicht schon deutlich genug, legt er noch einen nach: "Die Leute, die an den Strippen der Fashion Week ziehen, vergessen, dass es Brands gibt, die schon lange hier sind und eine Daseinsberechtigung haben."
Marcel Ostertag ist bekannt aus "Germany's Next Topmodel"
Doch seine Kritik geht noch tiefer. "Die Szene lässt sich von den falschen Leuten führen – mit Visionen, die in unserem Markt nicht umsetzbar sind." Damit meint er all jene realitätsfernen Träumer:innen, die keine Mode für den Alltag der Konsument:innen schaffen. "Der DACH-Raum ist modisch entspannter, nicht so high fashion", erklärt er. "Wer nur für Lady Gaga oder den roten Teppich entwirft, hat hier keine Überlebenschance."
Ostertag selbst sieht sich nicht als Teil dieses modischen Luftschlosses. "Ich sperre mein Label komplett auf", erklärt er. "Mir ist es völlig egal, ob meine Kundin 16 oder 88 ist."
Für ihn zählt nicht der Hype, sondern Langlebigkeit – und der Realitätssinn: "Es geht – das hören manche nicht gern – immer auch um Kohle."
Während andere Designer:innen noch diskutieren, ob Kommerz ein Schimpfwort ist, hat Ostertag längst beschlossen, dass es keine Schande ist, auch mal bei "Germany's Next Topmodel" in die Kamera zu lächeln:
Für den Modenachwuchs hat er eine klare – und ernüchternde – Botschaft: "Sie sollten sich auf eine harte Zukunft vorbereiten, denn es ist nicht einfach im Modebusiness."
Er habe viele "Rising Stars" fallen sehen, "weil sie nicht gut mit Ressourcen umgehen oder kein respektvolles, liebevolles Miteinander mit den Menschen in ihrem Umfeld pflegen."