Im April und Mai war ich Protagonist bei "Armes Deutschland", der Sendung über Hartz-IV-Empfänger bei RTL2. Millionen Menschen haben mich gesehen. Nicht jeder war mit meiner Darstellung einverstanden. Ich auch nicht.
Die Zeit während und nach der Ausstrahlung war turbulent: Ich saß wegen einer nicht bezahlten Geldstrafe in Haft. Meine Frau hat mich zwischenzeitlich verlassen. Ich kann ihr das nicht einmal verübeln, schließlich hat sie die ganzen negativen Resonanzen nach Ausstrahlung der Show allein abbekommen, während ich im Gefängnis saß.
Schon vor ein paar Wochen bin ich aus der Haft entlassen worden und meine Frau und ich sind wieder zusammen. Aber wir leben immer noch von Hartz IV – das versuche ich aktuell zu ändern, indem ich mich immer wieder für Jobs bewerbe.
Der Bericht über uns bei watson löste einen neuen Sturm aus – sowohl in positiver als auch negativer Hinsicht. Wir wurden viel kritisiert, ich habe Hass- und Drohnachrichten erhalten. Aber wir haben auch aus unseren vielen Fehlern gelernt. Das ist mir wichtig. Jetzt wagen wir den Neustart mit unserer jungen Familie.
Nun können uns auch keine Vorurteile oder Schuldzuweisungen von wildfremden Menschen mehr dazu bewegen, den Kopf in den Sand zu stecken und in alten Mustern zu verbleiben. Diese Menschen haben keinen blassen Schimmer von dem, was außerhalb von Sendungen wie "Armes Deutschland" passiert und wie es zu Situationen wie unserer kommen kann.
Ich bin und war nie das Opfer. Höchstens das Opfer meiner selbst. Ich habe mir in den letzten zehn Jahren selbst so sehr im Weg gestanden, dass ich auch nach meiner Hochzeit und drei Kindern den Absprung ins richtige Leben nicht geschafft habe.
Mein Vater starb vor zehn Jahren, ich war damals 14. Etwa ein halbes Jahr später musste ich mein Elternhaus verlassen, weil ich nicht mit meiner Mutter zusammenwohnen konnte. Ihr kann man nichts vorwerfen. Sie hat es schwer genug gehabt, außerdem habe ich niemanden wirklich an mich herangelassen.
Eine Zeit lang konnte und wollte ich mich nicht integrieren: Deswegen bin ich immerzu hin und her getingelt von Pflegefamilie zu Freunden, hin und wieder bei meinen Brüdern oder im Kinderheim. Zwischenzeitlich lebte ich elf Monate lang auf den Straßen von Celle, fernab meiner Heimatstadt und meiner Mutter.
Im September 2012, ich war bereits 18, lernte ich dann meine jetzige Ehefrau kennen. Wir haben bald Nachwuchs bekommen. Im September 2015 heirateten wir dann.
Schon bald kamen noch zwei weitere kleine Wunder dazu: Maria und ich hatten nun drei Kinder zu versorgen – und lebten beide gemeinsam von Hartz IV. Dass wir uns mit unserer Situation völlig übernommen hatten, ich mir vor allem selbst zu viel vorgenommen hatte, war mir lange Zeit erstmal überhaupt nicht klar.
Aber ich wollte weiterhin der starke und selbstbewusste Jung-Papa bleiben. Dass ich mich immer weiter zu jemandem entwickelte, der mir eigentlich nicht ähnlich war, habe ich nie bemerkt. Oder wollte es einfach nicht bemerken. Ich habe mich vor der Realität versteckt und mir meine Lügen dann irgendwann selbst geglaubt.
Meine Kinder und Frau hatten ein Bündel voller Probleme und Altlasten anstatt eines standhaften Vaters und Ehemanns. Und dafür schäme ich mich heutzutage sehr.
Mein ganzes schwieriges Leben, die vielen Kommentare und Meinungen, die mich nach "Armes Deutschland" erreicht haben und die Tatsache, beinahe alles verloren zu haben, was ich so sehr liebe, haben etwas in mir in Bewegung gesetzt: Ich beginne nun, meine Vergangenheit zu verarbeiten und an ihr zu wachsen.
Ich bin zwar keine neu erschaffene Person, aber jetzt werde ich nach vorne schauen und dafür sorgen, mich und meine Familie in die richtige Richtung zu lenken. Ich habe wundervolle Kinder und eine tolle Frau. Das gebe ich nicht auf. Und auch Zweifler können sich mir nicht in den Weg stellen.
Es ist traurig, wie viele "Möchtegern"-Menschenkenner sich in den Kommentarspalten herumtreiben. Ich will ihnen am liebsten sagen: Kehrt vor eurer eigenen Haustür, wenn ihr nicht in der Lage seid, euch wirklich mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen.
Ich weiß, wenn man mit seiner Story an die Öffentlichkeit geht, muss man mit geteilten Meinungen rechnen. Aber wie viele realitätsblinde Kobolde sich hier mit Halbwissen oder Hass ins Gespräch einmischen, nur um überhaupt etwas zu sagen... Ich bin entsetzt.
Dennoch lassen wir uns von all den negativen Stimmen nicht aus der Ruhe bringen. Wir erfahren zwar auch weiterhin viel Gegenwind. Irgendwann einmal werden wir der ganzen Geschichte allerdings Einiges zu verdanken haben.
Protokoll: Agatha Kremplewski