Warum Krisen Frauen immer härter treffen – und was das für ihre Finanzen bedeutet
Watson: Zineb, was treibt dich persönlich an, dich für die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen einzusetzen?
Zineb: Frauen starten beim Thema Geld von einem völlig anderen Ausgangspunkt als Männer. Kontrolle über Geld war jahrhundertelang Männern vorbehalten: Bis in die 1960er Jahre hatten Frauen in Deutschland nicht einmal eigene Bankkonten. Diese Lücke zieht sich bis heute durch alle Schichten. Sozial benachteiligte Frauen sind doppelt betroffen und selbst in privilegierten Kreisen haben Männer weit mehr Agency über Vermögen. Für mich ist das absolut nicht hinnehmbar.
Woran sieht man denn heute noch, wie wichtig finanzielle Bildung für Frauen ist?
Daran, wie drastisch strukturelle Ungleichheit in Krisenzeiten sichtbar wird. Das Schließen der finanziellen Bildungslücke ist der Schlüssel zu echter Gleichberechtigung. Und die ist besonders wichtig in Zeiten, in denen sich Menschen unsicher fühlen und zu einer traditionelleren, eher rechten und antifeministischen Politik tendieren. Frauenrechte, von denen wir glaubten, sie längst zu haben, werden derzeit nach und nach rückgängig gemacht. Davon sind Frauen mit weniger Geld stärker betroffen als Frauen mit mehr. Geld kann politischen Einfluss vergrößern und gesellschaftliche Narrative verschieben. Mehr Geld in Frauenhänden bedeutet auch mehr Mitsprache auf den ganz großen Bühnen.
Krisen – ob Pandemie, Energiekrise oder Inflation – wirken sich also auf Frauen oft stärker. Woran liegt das aus deiner Sicht?
Erstmal: Frauen verdienen im Schnitt weniger, besitzen weniger Vermögen und arbeiten viel häufiger in Teilzeit. In der aktuellen Inflation zeigt sich aber auch: Frauen geben einen größeren Teil ihres Einkommens für Grundbedürfnisse wie Lebensmittel und Energie aus – genau die Bereiche, in denen die Preise am stärksten gestiegen sind. Dazu kommt die sogenannte "Pink Tax": Produkte, die für Frauen vermarktet werden, sind oft teurer als vergleichbare Produkte für Männer. Frauen müssen in der Krise höhere Preise schultern, und werden systematisch stärker belastet. Deshalb ist der strategische Vermögensaufbau so wichtig. Er gibt Frauen Handlungsspielraum, Schutz und die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, weil sie wollen, nicht weil sie müssen.
Gibt es Zahlen oder Entwicklungen, die dich persönlich alarmieren, wenn es um die finanzielle Absicherung von Frauen geht?
Ja, die Inflationszahlen. Sie treffen umso härter, je weniger man hat. In der aktuellen Inflation sind die Grundkosten besonders stark gestiegen. Für Alleinerziehende, eine der sozial und wirtschaftlich verletzlichsten Gruppen, die zu etwa 85 Prozent aus Frauen besteht, machen diese Kosten einen großen Teil der monatlichen Ausgaben aus. Wenn diese Kosten steigen, bleibt noch weniger für Rücklagen. Selbst Frauen aus stabilen Verhältnissen rutschen nach einer Trennung schneller sozial ab als Männer. Die Kosten steigen sofort, die Unterhaltstabellen jedoch nicht, und die Kinder müssen trotzdem jeden Tag essen. Krisen wirken wie ein Brennglas. Wer ohnehin mit weniger Einkommen, Vermögen oder Sicherheit startet, wird härter getroffen.
Was rätst du Frauen ganz konkret, um sich in Krisenzeiten besser finanziell abzusichern?
Der wichtigste Rat lautet: Bereitet euch vor, bevor die Krise kommt! Wenn man mittendrin steckt, ist es oft zu spät. Eine Krise ist nicht nur ein Börsencrash oder ein Rechtsruck. Auch eine Trennung, ein Jobverlust oder ein tragischer Todesfall können eine Krise auslösen. Man kann sich auf drei Ebenen vorbereiten: mit Bildung, einer mentalen Haltung und der richtigen Umsetzung. Wer versteht, wie Absicherung funktioniert, unangenehme Gespräche über Geld führt und klare vertragliche Regelungen in Beziehungen trifft, wird finanziell resilient und handlungsfähig, wenn die nächste Krise kommt.
Viele Frauen empfinden Geldanlage und Finanzen noch als Hürde. Wie lässt sich diese mentale Barriere überwinden?
Das ist nicht nur eine mentale Barriere. Frauen haben es schwerer, in Finanzthemen hineinzuwachsen. Geld war nie Teil der weiblichen Sozialisierung. Finanzprodukte sind oft unnötig kompliziert, sprachlich verklausuliert und nicht auf weibliche Biografien zugeschnitten. Wer weniger verdient, weniger Zeit und weniger Spielraum im Alltag hat, hat eben auch weniger Möglichkeiten, sich mit Geld zu beschäftigen. Es geht also nicht um Mut, sondern um Zugang.
Warum glaubst du, ist Geld so sehr ein "Männer-Ding"?
Es gibt eine psychologische Dimension, die ich in der öffentlichen Debatte selten höre, aber häufig erlebe: Für Frauen ist der soziale Preis, sich finanziell zu emanzipieren, höher. Während Männer mit wirtschaftlichem Erfolg an Attraktivität gewinnen, riskieren Frauen, als bedrohlich oder unsexy wahrgenommen zu werden. Finanziell und beruflich erfolgreiche Frauen werden von Männern zwar bewundert und respektiert, jedoch nicht als potenzielle Lebenspartnerin wahrgenommen. Frauen, die zu mir kommen, um etwas über Geld zu lernen, berichten erstaunlich oft, dass die erste Frage ihres Partners lautet: "Möchtest du dich etwa trennen?"
Also werden Männer emotional unsicher, wenn Frauen finanziell sicher werden?
Eine Studie aus den USA zeigt, dass Männer in heterosexuellen Beziehungen am "entspanntesten" sind, wenn die Frau etwa 40 Prozent des Familieneinkommens beisteuert – nicht weniger und auch nicht mehr. Finanzieller Erfolg ist für Frauen also kein reiner Gewinn. Sie zahlen einen sozialen Preis, den Männer so nicht zahlen.
Sollte die Politik deiner Meinung nach stärker in die Pflicht genommen werden, um Frauen wirtschaftlich zu stärken?
Natürlich trägt die Politik die Verantwortung, Rahmenbedingungen gerechter zu gestalten. Das Umlageverfahren in unserem Rentensystem funktioniert für niemanden. Es basiert auf der Annahme, dass 2,1 Kinder pro Paar geboren werden: zwei, um das Paar zu ersetzen, sowie 0,1 als Puffer. Das ist in Deutschland seit den 1960er Jahren nicht mehr der Fall. Einzelmaßnahmen, wie sie aktuell im Rentenpaket 2025 vorgesehen sind, sind innerhalb eines schon rein mathematisch nicht funktionierenden Systems hilflose Versuche und letztlich leider nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Was braucht es stattdessen?
Es müssen auch Anreize geschaffen werden, damit Frauen für Geld arbeiten können und Männer mehr Care-Arbeit übernehmen. Es braucht ein Zusammenspiel aus klaren gesetzlichen Regelungen, vom Staat zur Verfügung gestellten Ressourcen und einer gesellschaftlichen Kultur, die die ökonomische Eigenständigkeit von Frauen nicht als Bedrohung, sondern als Normalität begreift. Eine Kultur, die Frauen als Menschen sieht, nicht als Unterleib.
Was ist dein wichtigster Rat an Frauen, die gerade angesichts von Inflation und geopolitischer Unsicherheit in Finanzfragen verunsichert sind?
Die Unsicherheit ist real und genau deshalb ist Vermögen der Schlüssel. Mein Rat ist daher: Übernehmt die Verantwortung für euer Geld und eure Sicherheit – jetzt und in Zukunft! Baut eigenes Vermögen auf und nutzt die Chancen, die sich euch bieten. In der Geschichte gab es noch nie eine Gesellschaft, in der Frauen so viele Voraussetzungen dafür hatten. Und viele Frauen in anderen Teilen der Welt haben auch heute nicht annähernd diese Möglichkeiten. Nutzt dieses Privileg, damit stärkt ihr euch selbst und zugleich die Gesellschaft.