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"Euphorie": Wie man sich beim Friseur auf die ersten Kunden seit Monaten vorbereitet

Ab dem ersten März dürfen Friseure wieder öffnen – unter strengen Hygienemaßnahmen. (Symbolbild)
Ab dem ersten März dürfen Friseure wieder öffnen – unter strengen Hygienemaßnahmen. (Symbolbild)Bild: iStockphoto / Unaihuiziphotography
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"Es herrscht echte Euphorie": Friseure öffnen wieder – und berichten von riesigem Ansturm

01.03.2021, 15:4502.03.2021, 07:26
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Es ist eine Nachricht, die für viele ein Lichtblick sein dürfte: Am Montag dürfen nach Monaten des Lockdowns die Friseure wieder öffnen. Während andere Branchen wie Gastronomie oder Einzelhandel größtenteils weiter ausharren müssen, dürfen Hairstylisten bundesweit unter strengen Hygienemaßnahmen wieder Kunden begrüßen.

Ismail Ögrüc aus Memmingen im Allgäu freut das. Der 27-Jährige ist Inhaber des Baberia Schönheitszentrums und erleichtert, den Betrieb wieder aufnehmen zu dürfen. Schließlich plagten auch ihn, wie viele andere Friseure und Friseurinnen des Landes, existenzielle Ängste, nachdem sie monatelang nicht arbeiten durften: "Wir sind sehr froh, wieder loslegen zu können, weil es in der Kasse langsam knapp wird", sagt Ögrüc gegenüber watson.

Riesiger Ansturm auf Friseure nach zweitem Lockdown

Ögrüc betreibt ein recht großes Geschäft mit 14 Mitarbeitern, die während des Lockdowns in Kurzarbeit waren. "Ich musste Gott sei Dank niemanden entlassen", sagt der Friseurmeister. "Aber hätte der Lockdown für uns noch ein paar Monate länger gedauert, hätte ich vermutlich ein oder zwei Leute kündigen müssen."

Wie bei vielen anderen Unternehmern auch sind die finanziellen Corona-Hilfen extrem verspätet und nur zu Teilen bei Ögrüc angekommen: "Die staatlichen Coronahilfen sowie Kurzarbeit wurden beantragt. Jedoch kamen diese Gelder nur zum Teil vor ein paar Tagen an." Laut Ögrüc werden seine gesamten Kosten für den Friseursalon nicht von der staatlichen Hilfe gedeckt. Umso mehr freut es ihn jetzt, dass er den Betrieb wieder aufnehmen kann.

"Man merkt, wie überglücklich die Kunden sind, dass ihnen bald wieder die Haare gemacht werden, da kommt viel Vorfreude bei uns an."
Ismail Ögrüc, Friseur

Dass seine Kunden sich auf einen neuen Haarschnitt freuen, haben Ögrüc und sein Team auf jeden Fall zu spüren bekommen, der Andrang seit Verkünden der Lockerung für Friseure ist groß. "Wir waren schon immer gut besucht, aber einen Ansturm wie jetzt haben wir noch nie erlebt", so Ögrüc.

"Wir haben noch nicht einmal aufgemacht und sind schon bis Donnerstag ausgebucht. Die Mitarbeiterinnen, die derzeit das Telefon bedienen, sagen, es klingelt alle fünf Minuten." Sogar schriftliche Anfragen per Brief von älteren Menschen hätten den Salon erreicht. "Man merkt, wie überglücklich die Kunden sind, dass ihnen bald wieder die Haare gemacht werden, da kommt viel Vorfreude bei uns an. Es herrscht echte Euphorie."

Auch Treatwell verzeichnet extremen Anstieg der Buchungen

Wie groß die Sehnsucht nach einem neuen Haarschnitt oder frischer Farbe in der Bevölkerung ist, weiß auch Julie Anders, Sprecherin von Treatwell. Bei der Wellness-App, über die man unter anderem Friseurtermine in der Umgebung online buchen kann, herrscht seit der vergangenen Bundes-Ministerpräsidenten-Konferenz Hochkonjunktur. Die Sprecherin sagt gegenüber watson:

"Sofort ab der Ankündigung hatten wir einen Rekordbuchungstag, ein Anstieg um 1000 Prozent. Eine hohe fünfstellige Buchungsanzahl."

Gerechnet hatte Treatwell zwar schon mit sehr vielen Buchungen. Allerdings hat der aktuelle Ansturm sogar den nach dem ersten Lockdown übertroffen.

Durchschnittlich müssen die Kunden laut Anders gerade 20 Tage auf einen Friseurtermin warten. "Am stärksten ausgelastet ist aktuell direkt der 1. März", so Anders – und das, obwohl Montage normalerweise Friseurruhetage sind. 43 Prozent der Buchungen für Haarschnitte stammen übrigens von Männern, die Frauen liegen mit 37 Prozent nur knapp dahinter. Bei 21 Prozent der Buchungen handelt es sich um Anfragen zu Haarefärben.

Anstieg von Schwarzarbeit während des Lockdowns

Trotz des Andrangs glaubt Ögrüc, einige Kunden im Lockdown verloren zu haben: Einige von ihnen haben gefragt, ob er ihnen privat, trotz der Anti-Corona-Maßnahmen, die Haare daheim schneiden könne:

"Die Kunden haben im ersten Lockdown häufig ihre Haare zu Hause selbst gemacht oder Familienangehörige herangelassen, da kamen einige verschnittene Köpfe bei uns an. Im zweiten Lockdown gab es einen regelrechten Schwarzmarkt."

Dass viele Friseure aus Verzweiflung während des Lockdowns Hausbesuche vorgenommen und illegal Haare geschnitten haben, bestätigt auch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS). Laut "Wirtschaftswoche" hat die FKS im Jahr 2020 bei 1913 Kontrollen in Friseursalons 866 Strafverfahren wegen Beitragsvorenthaltung und Leistungsmissbrauch verzeichnet. Im Vorjahr waren es trotz höherer Kontrolldichte noch 764 Strafverfahren und 2018 nur 537.

"Jetzt noch einmal die Preise zu erhöhen, wäre zwar eigentlich nötig, um eigene Verluste auszugleichen. Das würde die Kunden aber verschrecken."
Ismail Ögrüc hatte nach dem ersten Lockdown bei allen Dienstleistungen zwei Euro mehr genommen, um erhöhte Kosten zu decken.

Auf Anfragen von Kunden, Haare daheim schneiden zu lassen, sind Ögrüc und sein Team nie eingegangen, "da wir weder unser Geschäft noch unsere Gesundheit gefährden wollten. Auch deshalb ist es wichtig, dass der Friseurbetrieb jetzt ganz offiziell und unter klaren Hygienebedingungen wieder losgehen kann."

Der 27-jährige Friseur Ismail Ögrüc in seinem Laden.
Der 27-jährige Friseur Ismail Ögrüc in seinem Laden.Bild: privat

Im Baberia Schönheitszentrum müssen Kunden und Friseure deswegen immer medizinische Masken tragen, außerdem darf pro zehn Quadratmeter nur eine Person die Dienstleistungen in Anspruch nehmen. "Wir haben das Glück, dass wir ein so großes Geschäft betreiben, mit 160 Quadratmeter Fläche", sagt Ögrüc. "Fünf Sitzplätze mussten dennoch vorerst weichen, das ist natürlich auch ein Gewinnverlust für uns und führt zu längeren Wartezeiten für die Kunden." Gleichzeitig hat Ögrüc, wie viele andere Friseure auch, die Öffnungszeiten verlängert.

Die Sorge vor einem weiteren Lockdown bleibt

Teurer wird der Friseurbesuch für die Kunden vorerst übrigens nicht – bereits nach dem Lockdown hat Ögrüc die Preise um je zwei Euro erhöht, um die erhöhten Kosten für Desinfektionsmittel und Masken zu decken. "Jetzt noch einmal die Preise zu erhöhen, wäre zwar eigentlich nötig, um eigene Verluste auszugleichen. Das würde die Kunden aber verschrecken, die ja oft ebenfalls ein finanziell hartes Jahr hinter sich haben."

Generell sind die Menschen momentan allerdings bereit, mehr für einen Friseurbesuch zu zahlen. Treatwell-Sprecherin Anders sagt: "Im März 2020 kostete ein Friseurtermin im Durchschnitt noch 44,18 Euro, aktuell liegt der bei 53,33 Euro." Das sind fast 10 Euro mehr pro Haarschnitt. "Der Konsument gibt also definitiv mehr für den Friseurbesuch aus als vor der Pandemie", resümiert die Sprecherin.

Das Wichtigste ist nun, dass die Corona-Infektionszahlen nicht erneut in die Höhe schießen und ein weiterer Lockdown die Türen von Ögrüc' Salon wieder schließen lässt. "Den ersten Lockdown konnten wir alle noch nachvollziehen", so der Friseur. "Aber danach wurden in den Salons funktionierende Hygienekonzepte eingeführt, es gab kaum Infektionen bei Friseuren. Daher kam mir der zweite Lockdown unverhältnismäßig vor, er war einfach zu lang. Ich hoffe jetzt, dass die Friseure in Zukunft geöffnet bleiben können und sich unser Betrieb so langsam wieder einpendelt."

Ist Leihmutterschaft in Deutschland bald erlaubt? Die wichtigsten Fragen

Über das Thema Schwangerschaftsabbrüche wurde vergangene Woche hitzig diskutiert. Der "Spiegel" hatte berichtet, dass eine von der Bundesregierung eingesetzte Fachkommission empfehle, Abtreibungen innerhalb der ersten zwölf Wochen zu legalisieren. Dass sich die Expert:innen mit einem weiteren Thema befasst haben, blieb in der Berichterstattung weitgehend unbeachtet.

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