Ich habe mir als Führungskraft fürs erste Gespräch mit neuen Mitarbeiter:innen einen Standardsatz zurechtgelegt. Na gut, wahrscheinlich würden meine Kolleg:innen sagen, dass es mehrere sind, aber in dieser Kolumne soll es um einen bestimmten gehen.
Nicht, weil ich ihn erfunden habe, im Gegenteil, ich habe ihn plump von meiner ehemaligen Chefin abgeschaut. Sondern weil ich glaube, dass er signalisiert, wie ich versuche zu ticken. "Du entscheidest logischerweise selbst, mit welchen Problemen du zu mir kommst – aber ich will dir ausdrücklich anbieten, dass du mir auch Privates anvertrauen kannst, wenn du glaubst, dass das dein Arbeitsleben besser macht."
Es klingt so banal, vielleicht ist es das auch, aber ich mache mir seit Jahren viele Gedanken über den Umgang mit dem Privatleben meiner Mitarbeiter:innen. Weil es mich schlicht nichts angeht, was sie außerhalb der Arbeitszeit tun; aber gleichzeitig das Privatleben bei sehr vielen Menschen die Leistung und Stimmung im Büro beeinflusst. Und ich weiß, wie viele Menschen sich seit Jahrzehnten scheuen, dem oder der Vorgesetzten reinen Wein einzuschenken.
Konkret will ich sagen: Wenn ich weiß, wo der Schuh drückt, kann und will ich mich nicht in private Sorgen einmischen. Aber ich kann versuchen, meine Leute entsprechend gut und zielgerichtet zu führen.
Ich möchte ein konkretes Beispiel nennen: Eine Kollegin, eine der besten Interviewerinnen meiner Redaktion, nahm mich einmal zur Seite. Ich hatte ihr, wie so oft, mehrere Gesprächspartner:innen vorgeschlagen. Wir saßen in einem Meetingraum, sie wurde knallrot, kämpfte mit den Tränen und sagte mir dann: "Mein Freund hat letzte Woche mit mir Schluss gemacht. Ich bin grade total emotional. Und es stresst mich, mit anderen Menschen Kontakt zu haben."
Ich fragte sie, ob sie spontan frei wolle, um sich auf sich selbst zu konzentrieren, aber das lehnte sie ab. "Nein, die Arbeit lenkt mich ab. Ich würde nur gerne in Ruhe arbeiten, möglichst zu Hause, und ich möchte vor allem nicht mit anderen Menschen sprechen und erst recht keine Interviews führen. Glaubst du, wir bekommen das für ein paar Wochen hin?"
Gefragt, getan.
Die Generationen Y und Z fordern, völlig zurecht, empathische und verständnisvolle Führungskräfte ein. Auch, weil sie Berufs- und Privatleben anders gewichten als die Generationen ihrer Eltern. Als Führungskraft kann ich nur entgegnen: Wer sich öffnet, auf den oder die kann ich eingehen. Und ich habe den Eindruck, dass an diesem Punkt der Wandel längst eingesetzt hat.
Wo früher Menschen, vor allem die mit befristeten Verträgen oder ambitionierten Karriereplänen, gegenüber ihren Vorgesetzten immer so taten, als sei die Welt rosarot, wird heute ehrlich damit umgegangen, dass jeder Mensch bessere und schlechtere Phasen hat. Privat wie beruflich.
Ich bilde mir nicht ein, deshalb zum Ersatzfreund meiner Mitarbeiter:innen zu werden. Die Zahl der Freund:innen, die man im Büro findet, verkleinert sich mit jeder Beförderung und jedem Jobwechsel dramatisch. Das ist auch nur logisch. Fast niemand kommt auf die Idee, den Chef abends zum Fußballschauen oder zum Yoga einzuladen. Schließlich will man auch mal seine Ruhe von ihm. Oder mit den Kolleg:innen bei einem Bier über ihn lästern.
Aber es hilft zu wissen, dass ein Kollege jede Woche einmal länger Mittagspause machen muss, weil er zur Psychotherapie geht; dass eine Kollegin die dritte Fehlgeburt durchleiden musste und deshalb total am Boden ist; dass eine Kollegin am Limit ist, weil ihr Partner seit Monaten keinen neuen Job findet und ihnen das Geld für die Miete ausgeht; dass eine Kollegin nicht so belastbar ist, weil seit Monaten eine Nierenbeckenentzündung die nächste jagt.
Natürlich ist es meine Aufgabe, auch Personen gut zu führen, die mir all das nicht erzählen wollen. Völlig okay, kein Vorwurf an die, denen ihre Privatsphäre heilig ist. Aber wenn ein:e Kolleg:in seit Wochen weniger Leistung bringt, andauernd schlecht gelaunt durchs Büro schlappt oder sich jede zweite Woche für ein, zwei Tage krankmeldet, und ich keine Ahnung habe, woran es liegt, ist es beinahe unmöglich, lösungsorientiert zu reagieren. Dann heißt es: Augen zu und durch. Wird schon wieder weggehen.
Übrigens: Die Offenheit ist keine Einbahnstraße. Auch der Chef ist nur ein Mensch. Ja, ich habe ebenfalls Phasen, in denen bei mir die Zündschnur kürzer ist, in denen ich weniger erreichbar oder zu oft schlecht gelaunt bin. Und auch hier habe ich den Eindruck, dass die Kolleg:innen gerne wissen, woran das liegt – statt hinter vorgehaltener Hand zu rätseln, was denn mit dem Chef los ist.