Am Mittwochmorgen deutscher Zeit wissen wir (hoffentlich), wer neue:r US-Präsident:in ist: Kamala Harris, die aktuelle Vize-Präsidentin, oder Donald Trump, der Ex-Präsident.
In dieser Woche gibt es daher eine etwas andere Kolumne von "Der Chef ganz ehrlich". Normalerweise berichte ich einmal im Monat von meinem Job als Führungskraft, von den Wünschen und Sorgen der Gen Z, vom Arbeitsleben als Chefredakteur.
Heute möchte ich meine Kolumne nutzen, um euch, liebe Leser:innen, zu erklären, wie unsere Redaktion in diesen Wochen arbeitet. Denn die US-Wahl ist das größte politische News-Event des Jahres. Viele von euch können nicht wissen, wie eine Nachrichtenredaktion in solchen Situationen vorgeht und haben Fragen dazu: Wie haben wir uns vorbereitet? Was können Leser:innen erwarten? Was sind die Ziele und Ansprüche von watson?
All diese Dinge möchte ich hier beantworten. Denn gerade in Zeiten von Fake News ist es im Sinne der Medienbildung wichtig zu erläutern, wie Journalist:innen arbeiten. Auch bei watson kommt das leider noch zu oft zu kurz, weil wir in der Redaktion es zu oft als selbstverständlich erachten, dass Lesende wissen, was in Redaktionen geschieht.
Wenn du nach der Lektüre noch Fragen hast, kannst du mir gerne eine E-Mail schreiben.
Wir wissen, wie komplex Politik ist. Und gerade bei einer US-Wahl interessieren sich viele Leser:innen, die sich sonst nicht ganz so regelmäßig mit Politik beschäftigen, für politische Inhalte. Uns war daher wichtig, zuallererst ein Basisangebot zu erarbeiten und euch auf Augenhöhe Hintergründe zu erklären. Zum Beispiel: Was sind eigentlich diese Swing States, von denen alle sprechen? Warum ist ausgerechnet Pennsylvania so ein heißes Pflaster? Und wie genau funktioniert das Wahlsystem in den USA?
Zudem haben wir zur US-Wahl die "Politik-Profile" erfunden. In ihnen blicken wir auf die Vita von Politiker:innen, stellen euch die Personen genauer vor und beantworten die Fragen, die ihr zu den jeweiligen Köpfen bei Suchmaschinen eintippt.
Das haben wir nicht nur mit den wichtigsten Politiker:innen gemacht, sondern auch mit Persönlichkeiten, die auf andere Art und Weise für Aufsehen sorgen. Zum Beispiel Ella Emhoff, die nicht nur Stieftochter von Kamala Harris ist, sondern auch Influencerin und Stil-Ikone; Hope Walz, die ihren Vater auf Tiktok tatkräftig unterstützt; oder Kari Lake, die radikale Trump-Supporterin, die für ihren Kandidaten sogar zur Waffe greifen würde.
Neben den Meldungen, die wir jeden Tag an unserem Newsdesk schreiben, gibt es als vierte Säule die langen Lesestücke: Analysen, Experteneinschätzungen, Hintergrundberichte. Mit ihnen wollen wir einen tiefergehenden Einblick geben. Beispielsweise, indem wir erklären, was Frauen dazu bewegt, einen misogynen Kandidaten wie Donald Trump zu wählen; indem wir anhand von Kamala Harris beleuchten, dass in diesem Jahr der bisher größte Tiktok-Wahlkampf der US-Geschichte stattgefunden hat; indem wir erläutern, warum das Thema Abtreibungen die amerikanische Gesellschaft so sehr spaltet, dass es die Wahl entscheidend beeinflusst.
Unser Newsdesk ist in solch einer Sondersituation nachts natürlich besetzt. Eine Kollegin wird die Wahlnacht und vor allem den Morgen per Live-Blog begleiten. Unser Ziel ist es, dich nicht mit einem viel zu langen Live-Ticker zu erschlagen, sondern dir in einem kompakten Format auf einen Blick alles Wichtige zu präsentieren.
Unterstützt wird sie von mehreren Kolleg:innen, die in den entscheidenden Stunden den Fokus mit Meldungen, Analysen und Kommentaren voll und ganz auf die USA legen. Denn an diesem Tag dominiert die Politikberichterstattung das Weltgeschehen.
In unserer Redaktion ist das Ergebnis fast so knapp wie in den offiziellen Umfragen. Bei einer Abstimmung knapp zwei Wochen vor der Wahl tippten 56 Prozent des watson-Teams auf Kamala Harris und 44 Prozent auf Donald Trump. Unsere Tipps sind aber ebenso wenig entscheidend wie die Hoffnungen als Privatpersonen. Wir sind Journalist:innen und berichten, was ist. Erklären. Ordnen ein. Oder haben einen persönlichen Standpunkt zum Geschehen und deklarieren die Berichte dann als Meinung.
Wer watson regelmäßig liest, kennt Anne Hamilton. Sie ist unsere US-Expertin und lebte bis 2022 in den USA, ehe sie nach Berlin zog und anfing, in unserer Redaktion zu arbeiten. Neben Anne werdet ihr sehr oft den Namen Anna von Stefenelli lesen. Auch sie ist Politik-Redakteurin in unserem Team mit dem Schwerpunkt Ausland.
Jedoch: Eine US-Wahl ist viel zu groß, um sie ausschließlich in vier Hände zu geben, weshalb teamübergreifend Redakteur:innen und Volontär:innen mit den Schwerpunkten Politik und News unterstützen.
Selbstredend kümmert sich unser Social-Team on top darum, dass ihr auf Instagram und Tiktok ebenfalls nichts verpasst.
Unser Anspruch ist immer, dass jede:r watson-Leser:in alle wichtigen Informationen, Erklärungen, Einordnungen und Randgeschichten bei uns auf der Seite findet.
Grundsätzlich ist das wichtigste Ziel, dass die Qualität stimmt. Das gilt erst recht in einer Sondersituation wie dieser. Wir wollen schnell sein, möglichst schneller als alle anderen, aber entscheidend ist, dass wir keine inhaltlichen Fehler machen, dass Überschriften sauber gewählt sind, dass wir ein gutes Newsangebot zur Verfügung stellen.
Und natürlich möchten wir damit auch erfolgreich sein, hoffen also, dass sich so viele Menschen wie möglich bei watson über die US-Wahl informieren. Wie ihr vermutlich wisst, sind wir ein privates Newsportal für junge Menschen ohne Bezahlschranke. Heißt: Für keinen Text, den du bei uns liest, musst du bezahlen, gleichzeitig sind wir nicht öffentlich-rechtlich finanziert. Wir erwirtschaften die Gehälter unserer 35-köpfigen Redaktion durch die Werbung in den Artikeln.
Doch es geht bei den Klickzahlen nicht nur ums Geld: Für alle Kolleg:innen ist's eine tolle Bestätigung unserer täglichen Arbeit, wenn die eigenen Texte von möglichst vielen Personen gelesen werden.
Unsere Aufgabe ist, genau zu unterscheiden: Was sind offizielle Informationen, noch nicht verifizierte Behauptungen und nachgewiesenermaßen Fake News?
Ein Beispiel: Offiziell kommunizierte Wahlergebnisse aus einem US-Bundesstaat sind demokratisch legitimiert und damit als gesichert einzustufen. Wenn ein US-Medium unter Berufung auf Quellen den Sieg in einem US-Bundesstaat einer Partei zuschreibt, ist die Information per se nicht falsch – wir müssen aber deutlich machen, dass die Information noch nicht verifiziert ist. Wenn hingegen ein:e Politiker:in behauptet, die Wahl sei gestohlen worden, ohne Fakten zu liefern, müssen und wollen wir Verschwörungsideologien auch als solche benennen.
Das Kunststück ist, in der aufgeheizten Situation einer Wahlnacht cool zu bleiben, denn (vermeintliche) Informationen prasseln auf uns an solch einem Tag im Minutentakt ein.
Auf diese Frage gibt es nur eine pauschale Antwort: dass wir das von Fall zu Fall entscheiden.
Es gibt Fake News, die wir ganz bewusst nicht reproduzieren. Heißt: Wir berichten nicht über sie. In anderen Fällen, beispielsweise bei viralen Fakes oder Falschaussagen sehr prominenter Politiker:innen, wollen wir proaktiv aufklären.
In diesen Fällen ist uns wichtig, zu erklären, warum es sich um Fake News handelt. Wir erläutern die Faktenlage ausführlich – und machen schon in den Headlines deutlich, dass es sich um Fake News handelt.
Denn wir wissen, wie schwierig der Spagat ist – schließlich wollen Urheber:innen von Fake News, dass über ihre "Informationen" berichtet wird.