So oder so ähnlich schaue ich im Homeoffice manchmal auf meinen Laptop.bild: openai
Der Chef ganz ehrlich
Eigentlich war's eine recht unkomplizierte Nummer.
Kollege A wollte auf Recherchereise gehen und Kollegin B mitnehmen.
Problem: Der Dienstplan muss dafür umgebaut werden. Also entschied er sich, Slack zu öffnen.
Kollege A schrieb Kollegin C, dass er mit Kollegin B unterwegs sein wird und bat um Anpassung der Schichten.
Kollegin C wusste von der Idee noch nichts und fragte mich per Nachricht, ob ich die Reise in dieser Form bewilligt hätte.
An dieser Stelle kommt ein Fehler meinerseits ins Spiel: Kollegin B sagte mir später, dass sie mir erzählt habe, dass sie mitfahren würde. Ich sage selten zu Dingen ja, wenn ich nicht zuhöre, daher muss ich zugeben: Ich hatte es entweder vergessen oder, was ich eher glaube, den Plan damals missverstanden.
Und nun eskalierte der Chat.
Im Homeoffice können Chats schnell eskalieren.Bild: unsplash / jan baborak
Ich schrieb Kollegin C, dass wir diesen Trip auf keinen Fall zu zweit machen werden. Was Kollegin C dem Kollegen A schrieb, der das Kollegin B mitteilte. Plötzlich bekam ich einen halben Roman der unbeteiligten Kollegin D, bei der sich Kollegin B offensichtlich ausgekotzt hatte. Sie erklärte mir lang und breit, warum sie das für eine falsche Entscheidung halte. Und ließ mich wissen, dass sie die Reaktion von Kollegin C zu harsch fand.
Während ich die Nachricht las, ploppte die Message von Kollegin C auf, die wissen wollte, wie sie auf eine neuerliche Nachfrage vom Kollegen A reagieren solle.
Ich hatte weder Kollegin C noch Kollegin D geantwortet, da schrieb mir Kollege A, der seine Erzählung von vorne begann und mir berichtete, dass er auf Recherchereise gehen möchte.
Was die Kolleg:innen A, B, C und D nicht wussten: Kollegin E hätte wertvollen Input für die Reiseplanung gehabt, die alles vereinfacht hätte. Ausgerechnet ihr hatte niemand geschrieben.
Ich saß vor meinem Notebook und fragte mich: "Bin ich hier denn im Slack-Irrenhaus?"
Aus dem Leben einer Führungskraft
Wie führt man Menschen der Generation Z und die jüngere Hälfte der Generation Y modern und erfolgreich? Seit mehreren Jahren versuche ich, das herauszufinden, weil die allermeisten meiner Kolleg:innen 18 bis 35 Jahre alt sind. In meiner Kolumne "Der Chef ganz ehrlich" möchte ich meine Erfahrungen und Gedanken zum Leben als Vorgesetzter teilen. Subjektiv und direkt, durch die Brille einer Führungskraft. Alle Namen sind natürlich anonymisiert. Und nicht jedes Erlebnis stammt aus der watson-Redaktion. Feedback, Gedanken und Themenvorschläge gerne jederzeit an
swen.thissen@stroeer-publishing.de.
Ich sprach ein Machtwort: Die Diskussion ist hiermit beendet, wir besprechen das im Büro. Alle gemeinsam. (Oder in einem Videocall.) Dann ist das Thema in fünf bis zehn Minuten geklärt.
Wir diskutieren seit der Corona-Pandemie oft über die Vor- und Nachteile des Homeoffice. Viele Menschen behaupten, sie seien zu Hause produktiver. Ich glaube: Für einige stimmt das und für andere nicht.
Kommunikation im Homeoffice: Das sind die Probleme
Als Führungskraft sehe ich auch, an welchen Stellen wir im Homeoffice nicht besser geworden sind – und dazu gehört die Kommunikation.
Zu Beginn von Corona freuten wir uns noch, dass man im Homeoffice weniger sinnfreie Meetings abhält und manche Dinge entspannt per Messenger klärt. Parallel hat sich an vielen Stellen ein Slack-Verhalten entwickelt, das die Arbeitswelt nicht besser macht.
Die Gründe sind einfach zu benennen:
- Viele Kolleg:innen schreiben an die falschen Gruppen. Entweder verlieren sie sich in Einzelchats, siehe oben. Oder sie posten Dinge in viel zu große Channels. Die Lösung wäre: Für jedes Problem eröffnet man einen schnellen Gruppenchat mit den optimalen Empfänger:innen. Wäre easy, macht aber niemand.
- Die Menschheit hat verlernt, zu telefonieren. Das gilt in erster Linie für die Gen Z. Der einfachste Weg, ein Thema kurz zu besprechen, wäre der Griff zum Telefon oder die Call-Funktion des Messengers. Jedoch: Junge Menschen haben keinen Bock zu telefonieren und schreiben lieber Nachrichten.
- Die Kolleg:innen haben kein Gefühl dafür, welche Themen sich für Chats eignen und welche nicht. Dabei könnte man es einfach trennen: Kurze Fragen, die mit schnellen Antworten zu regeln sind, schickt man per Slack. Den Rest nicht.
- Einige ausgewählte Personen sprechen unangenehme Themen nicht persönlich an. Sie verlagern sie ins Homeoffice und melden sich via Chat. Erscheint bequemer, ist aber umständlicher, weil man gerade bei sensiblen Themen ganz genau darauf achten muss, was man wie formuliert.
Noch wichtiger sind für mich als Führungskraft die Konsequenzen – und da sind wir bei der Effizienz.
Ich bin überzeugt, dass viele Kolleg:innen keine bösen Absichten haben, wenn sie Chatnachrichten in Aufsatzlänge in die Tastatur hacken. Und sie haben auch kein schlechtes Gewissen, schließlich arbeiten sie, während sie tippen. Ich hingegen sehe, wie lange es dauert, all diese Nachrichten zu schreiben und sie zu lesen.
Wenn ich mitbekomme, welch irrwitzige Chatverläufe hin- und hergeschrieben werden, werde ich wahnsinnig. Weil man in all dieser Zeit so viel Sinnvolleres hätte tun können – und sei es nur, zehn Minuten Pause zu machen.
Nicht minder problematisch ist für mich die Wirkung des Geschriebenen. Ich hatte vor einiger Zeit eine Kollegin bei mir stehen, die ganz geknickt war wegen des Feedbacks, das ihr zu einem Text zugeschickt worden war. Ein Kollege hatte Korrektur gelesen und seine Anmerkungen geschickt – in 16 Punkten.
Das Smartphone am Ohr macht das Leben einfacher.Bild: unsplash / vitaly gariev
Alle 16 Punkte waren gut, der Kollege wollte nur wertvolles Feedback geben und der Neuen helfen, besser zu werden. Sie jedoch sah nur die Länge der Nachricht und stand völlig niedergeschlagen im Büro. Hätten wir das persönlich oder telefonisch gemacht, hätte es dieses Missverständnis nicht gegeben.
Konflikte sind per Slack besonders schwierig zu besprechen
Gleiches gilt für jede Form der Konfliktbesprechung, weil der zwischenmenschliche Tonfall per Chat fehlt. Wir haben bei watson im Vergleich zu anderen Redaktionen sehr, sehr wenige zwischenmenschliche Probleme, doch fast alle, von denen ich weiß, sind (auch) entstanden, weil irgendjemand irgendeine Nachricht in den falschen Hals bekommen hat.
Ein Themenvorschlag wird abgelehnt? "Da muss er nicht so pampig antworten."
Ein Fehler wird angesprochen? "Das schreibt man doch nicht in den großen Chat!"
Ein Text dauert zu lange? "Warum ist die Nachricht so aggressiv? Ich habe hier noch drei andere Dinge zu tun."
Ich weiß, dass das in Teilen auch für Nachrichten gilt, die ich verschicke. Es gibt Situationen, in denen ich 27 unbeantwortete Nachrichten habe. Ich will die Kolleg:innen nicht warten lassen, weil sie nicht sehen, dass ich grade beschäftigt bin oder in einem Meetingraum sitze. Also antworte ich so schnell ich kann. Und vergesse manchmal, dass die Antworten zu kurz, zu unfreundlich, zu desinteressiert wirken könnten.
An dieser Stelle endet mein Slack-Rant. Und es beginnt das Geständnis, in dem ich zugebe, dass ich Slack für eine prima Sache halte, und eingestehe, dass ich für all das Geschriebene noch keine Lösungen habe. Wer Ideen hat, kann sich gerne melden – meine E-Mail-Adresse ist oben eingeklinkt.
Vielleicht brauchen wir größere Lösungen in Unternehmen. Ansagen, was wann und wie besprochen wird? Verbindliche Abmachungen zur Art und Weise von Nachrichten? Das klingt nach Ordnungswahn, aber ich meine das ernst. Weil ich das Gefühl habe, dass bei all den Chatnachrichten ein Wildwuchs entstanden ist, auf den wir nicht vorbereitet waren.
Auch Weiterbildungen wären eine Möglichkeit. Vermutlich sollten HR-Abteilungen "Effiziente Kommunikation im Homeoffice" auf die Agenda heben.
Vielleicht ist der Gen Z auch die Sinnhaftigkeit eines Telefonanrufs noch zu vermitteln. Zumindest für Sonderfälle. Das Leben ist so viel einfacher, wenn man miteinander redet.
Und ich meine damit KEINE Sprachnachrichten via Slack.