Ich habe neulich einen Podcast gehört, in dem es um die Geschichte des inzwischen 29-jährigen Alex ging. Alex war 2015 als deutscher Backpacker in Australien unterwegs; er jobbte auf Farmen, reiste herum und genoss die unbeschwerte Zeit nach dem Abi.
Eines Abends holte er seine Freunde mit dem Auto von einem nahegelegenen Caravanpark ab. Sie stiegen ins Auto, er machte einen U-Turn und landete auf der falschen Straßenseite. 50 Sekunden lang war Alex als Geisterfahrer auf dem dämmrigen New England Highway unterwegs, der die beiden australischen Metropolen Sydney und Brisbane miteinander verbindet.
Den blauen Kleinwagen, der ihm entgegenkam, sah er erst als es bereits zu spät war. Die beiden Fahrzeuge kollidierten. Alex und seine Freunde blieben weitestgehend unverletzt. Die Frau am Steuer des anderen Autos verstarb. Von einem australischen Gericht wurde der Mainzer zu vier Monaten im Gefängnis verurteilt.
Ich denke oft an Alex und seine Geschichte. Um genau zu sein, denke ich jedes Mal an ihn, wenn ich mich hier in Australien hinters Steuer setze. Bin ich immun gegen einen solchen Fehler? Habe ich mich wirklich bereits an den Linksverkehr in Australien gewöhnt?
In 59 der weltweit 221 eigenständigen Staaten und Gebiete fährt man auf der linken Straßenseite – dazu gehört auch Australien. Das haben wir mal wieder dem Kolonialismus zu verdanken.
Ich habe das Glück, dass ich in Deutschland bisher wenig Auto gefahren bin. Ich bin direkt nach dem Abi und der bestandenen Führerscheinprüfung nach Australien gereist, wo ich den Löwenanteil meiner Fahrerfahrung gesammelt habe. Das Lenkrad auf der rechten und den Schaltknüppel auf der linken Seite zu haben war zu Beginn etwas irritierend, doch nachdem ich zwanzigmal den Scheibenwischer anstelle des Blinkers aktiviert hatte, gewöhnte ich mich langsam an das spiegelverkehrte Fahrzeug.
Im Straßenverkehr half es mir vor jedem Abbiegen schweißüberströmt, hochkonzentriert und in leicht panischem Singsang "left, left, left, left, left..." herunterzubeten. Mir ist es während meiner gesamten Zeit in Australien nur einmal passiert, dass ich versehentlich in den Gegenverkehr geraten bin – und da konnte ich dank Lichthupe und Zurufen meiner Beifahrerin innerhalb nur weniger Sekunden sofort gegenlenken.
Damals ist zwar niemand zu Schaden gekommen, doch der Schock sitzt mir noch jetzt tief in den Knochen. So tief, dass ich auch nach fast drei Jahren in Australien Angst davor habe, unbemerkt als Geisterfahrerin unterwegs zu sein.
An Kreuzungen sehe ich mich auch weiterhin nach "Keep Left"-Schildern um, die bestimmt so einige europäische Backpacker:innen bereits vor einem Unfall bewahrt haben. Und wenn ich auf abgelegenen Landstraßen unterwegs bin, wo es keine anderen Autos oder Schilder gibt, an denen ich mich orientieren kann, überkommt mich oft eine unbegründete Panik und ich muss mich selbst immer wieder versichern, dass ich auf der richtigen Seite fahre.
Kreisverkehre fand ich zu Beginn meiner Zeit in Down Under ganz besonders stressig – und von denen gibt es hier so einige. Überall dort, wo in Deutschland eine Kreuzung wäre, ist in Australien ein Kreisverkehr.
Dadurch bleibt einem zwar das elendige "rechts vor links" erspart, doch vor jeder Einfahrt musste ich mich lange Zeit fest darauf konzentrieren, mich im Uhrzeigersinn einzuordnen und nicht entgegengesetzt.
Und auch das Blinken funktioniert hier etwas anders: Während man in Deutschland beim Verlassen des Kreisverkehrs blinkt, blinkt man in Australien bereits beim Einfahren. Wenn man die erste Ausfahrt nimmt, blinkt man links, wenn man die zweite Ausfahrt nimmt (also geradeaus fährt) blinkt man gar nicht und wenn man die dritte Ausfahrt nimmt, blinkt man rechts. Eigentlich ganz logisch und meiner Ansicht nach viel praktischer, als die Handhabung in Deutschland.
Wenn ich Australier:innen erzähle, dass ich aus Deutschland komme, werde ich oft über die berühmt-berüchtigten Autobahnen ausgefragt: "Stimmt es, dass es dort kein Tempolimit gibt? Wow, cool. Das muss so viel Spaß machen." Viele romantisieren die Vorstellung davon, mit 250 km/h über asphaltierte Straßen zu brettern und sind enttäuscht, wenn ich ihnen von Staus und Baustellen erzähle und davon, dass ich es bevorzuge, mit maximal 130 km/h Richtgeschwindigkeit die mittlere Spur entlangzutuckern.
Autobahnfahren fand ich in Deutschland immer unfassbar stressig. Entweder man schleicht LKWs und Sonntagsfahrer:innen in VW Polos hinterher oder man wagt sich auf die Überholspur und muss Angst davor haben, dass einem jeden Augenblick irgendein Testosteron geladener Typ viel zu dicht auf den Fersen ist.
In Deutschland habe ich mich bisher immer zu den langsameren Autofahrer:innen gezählt, doch in Australien gelte ich schon fast als Raserin – und das, obwohl ich mich immer penibel ans Tempolimit halte. Das liegt auf den Highways bei maximal 110 km/h und wird in regelmäßigen Abständen mit Blitzern kontrolliert.
Wer zu schnell fährt, muss sich auf saftige Strafzettel gefasst machen. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung von bis zu 10 km/h kostet knapp 250 Dollar und man bekommt zudem einen "demerit point", also einen Strafpunkt, ins Fahrzeugnis eingetragen. Wer innerhalb von drei Jahren mehr als 12 dieser Punkte sammelt, bekommt ein vorübergehendes Fahrverbot. Zum Vergleich: In Deutschland bekommt man für dasselbe Vergehen ein Verwarngeld von läppischen 30 Euro.
Bei solchen Strafen ist es also kein Wunder, dass australische Autofahrer:innen lieber etwas zu langsam als zu schnell fahren. Da wird auf Highways insbesondere vor Blitzern gerne mal überkompensiert und auf 60 km/h runtergebremst.
Spannend wird es dann, wenn ich meine Familie in Deutschland das nächste Mal besuche und mich wieder an den Rechtsverkehr anpassen muss. Mal schauen, ob ich mich da hinters Steuer traue – oder ob ich mich doch lieber herumkutschieren lasse.