"Ich war fast aufgegeben, als mein Mann mir einen Scheidungsbrief überbrachte", kommentiert eine Instagram-Userin einen Post, der eigentlich nichts mit Scheidung zu tun hat. Egal. Sie fährt fort: "Ich bin Ihnen für immer dankbar, Sir. Sie haben mir geholfen, meine zerrüttete Ehe zu retten."
Viele weitere Kommentare unter dem Post bezeugen dasselbe. Wer auch immer hinter Oba's Inspiration steckt – dem Account, der hier verlinkt wird – muss ein guter Mensch sein. Mehr noch als das: Denn er hat offenbar zahlreiche Ehen durch einen sogenannten Liebes-Zauber wiederhergestellt.
Ist er ein Magier? Ein Betrüger? Ist er überhaupt ein Mensch?
Kommentare wie diese mag die eine oder der andere bereits auf Instagram entdeckt haben. In den letzten Monaten haben sich diese vermehrt den bereits länger bekannten Sex-Bots angeschlossen, sowie jenen Bots, die Kryptowährung anpreisen.
Allein schon wegen des eigenartigen Schreibstils wird die Reaktion der meisten User:innen dieselbe sein: Man belächelt die Kommentare – wenn überhaupt – und ignoriert sie. Aber was, wenn doch mal jemand darauf klickt? Was, wenn jemand in einer misslichen Lebenslage steckt, möglicherweise labile Neigungen hat, und zudem nicht besonders Social-Media-affin ist? Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) weist darauf hin, dass Bots nicht existieren würden, wenn sie sich für Kriminelle nicht lohnen würden.
Watson ist der Frage deshalb auf den Grund gegangen. Mit einem Fake-Account, dessen Chat-Verläufe wir einordnen lassen haben – von einem Social-Media-Experten, der Polizei und dem Verbraucherschutz.
Rainer Hemming ist traurig. Denn Barbara, seine langjährige Frau, will sich von ihm scheiden lassen. Insofern kann er sich glücklich schätzen, dass er gar nicht wirklich existiert, sondern nur unser Fake-Account ist. Rainer ist Mitte 50 und nicht allzu viel auf Social Media unterwegs. Vielleicht sollte er das ändern, denn plötzlich stößt er auf einen Hoffnungsschimmer. Laut gewissen Kommentaren könnte er Barbara doch noch zurückgewinnen. Rainer findet: Einen Versuch ist es wert.
Oba's Inspiration heißt der Account, von dem hier alle in den Kommentaren erzählen. Die Profil-Beschreibung klingt vielversprechend: "Experte für Ehe- und Beziehungswiederherstellung", heißt es dort. Darüber steht: "100 % nachgewiesene Ergebnisse". Rainer kann sich das kaum vorstellen. Andererseits hat der Account beinahe 10.000 Follower:innen – spricht das nicht für ihn? Er klickt erstmal auf "Folgen".
Ohne dass er etwas Weiteres tun muss, meldet sich nun Oba's Inspiration bei ihm. Wer auch immer dahintersteckt, fragt, ob er Rainer helfen könne. Als dieser von seiner Lage erzählt, versichert ihm der Account, dass er hier an der richtigen Adresse sei. Durch einen Zauber könne er Barbara wieder zurückrufen. Sie werde nur noch an Rainer denken können, die Liebe werde wiederhergestellt – Zweifel ausgeschlossen.
"Wie viel kostet so was?", will Rainer wissen. Daraufhin der Zauberer:
350 Euro ohne jegliche Garantie? Ohne Website mit weiteren Informationen und ohne Erfahrungsberichte? Rainer ist ganz offen: Er äußert seine Zweifel. "Mein Rat: Lassen Sie sich nicht von der Angst davon abhalten, das zu tun, was Ihr Herz begehrt", antwortet daraufhin der Account. "Dies ist eine 100-prozentige Garantie." Das sind Worte, die Rainer in seiner schmerzlichen Lage irgendwie guttun. Und im Gegensatz zu den vermeintlichen Bots, die ihn hierhergeführt haben, stimmt hier sogar großteils die Grammatik.
Übrigens: Voraussetzung für den Zauber ist neben dem Preis auch, dass Rainer dem Account möglichst viele Bilder und persönliche Informationen von sich und seiner Frau sendet.
Noch hat Rainer kein Geld überwiesen. Bis hierhin ist also nichts vorgefallen, oder etwa doch? Martin Fuchs, Politik-Berater und Social-Media-Experte, sieht den Internet-Zauber als einen schwierigen Graubereich. Ein via Chat entstehender Vertrag sei zunächst ein normaler Vertrag. Gegenüber watson erklärt er:
"Betrug kommt erst zustande, wenn die vertraglich vereinbarte Leistung nicht erfüllt, das Geld aber dann nicht zurückgezahlt wird." In dem Fall sollten User:innen Strafanzeige bei der Polizei stellen – auch wenn Fuchs wenig Ermittlungserfolge erwarte.
Viele würden das Gedankenspiel wohl gar nicht bis hierhin durchführen, weil das Angebot eines solchen Liebes-Zaubers bereits so obskur erscheinen dürfte, dass es für sie – unabhängig von der Gefahr eines Bots oder Fake-Accounts – einem Betrug gleichkommt. Demnach hätten also Betroffene selbst Schuld, wenn sie auf so eine Masche hereinfallen? Polizei und Verbraucherschutz sehen das anders:
"Die Verantwortung für das Begehen einer Straftat liegt ganz grundsätzlich bei den handelnden Tatverdächtigen", stellt die Polizei Berlin auf watson-Anfrage klar. Anders formuliert: Opfer tragen niemals die Schuld. Der Verbraucherschutz stimmt dem zu, führt das jedoch etwas genauer aus.
Simon Götze, Jurist bei der Berliner Verbraucherzentrale, erklärt: Auf der einen Seite sei der Bereich der Esoterik insgesamt schwierig zu beantworten, "da in solchen Fällen die Getäuschten bewusst den Boden der naturwissenschaftlichen Tatsachen verlassen. Würde man sowas eindeutig als betrügerische Handlung einordnen, würde das schließlich auch Kartenleser im Fernsehen oder astrologische Angebote betreffen." Man könne jedenfalls nicht ausschließen, "dass hinter den Nachrichten nicht doch ein Mensch mit magischen Steinen sitzt."
Götze mahnt davor, Opfer von Betrug zu sehr als naiv abzustempeln.
Ob jedoch beim geschilderten Fall ein Betrug vorliegt, sei bis hierhin schlichtweg nicht eindeutig. Laut Polizei dürfte es sich bei dem Chatverlauf um eine "straffreie Vorbereitungshandlung für eine mögliche Betrugstat handeln" – ohne aber an dieser Stelle eingreifen zu müssen.
Rainer ist sich wegen der 350 Euro so unsicher, dass er zumindest eines haben will: einen Preisvergleich. Immerhin hat er gesehen, dass es neben Oba's Inspiration noch weitere Liebes-Zauberer gibt. Wenn er schon keine Garantie bekommt, will er wenigstens das günstigste Angebot nehmen.
"Chancen entstehen nicht, du schaffst sie!", steht auf dem Profil von Isoken Solutions. Rainer will seine Chance schaffen. Er klickt auf "Folgen" und erhält nach wenigen Minuten eine Nachricht. Leider soll auch hier der zu "100 Prozent sichere" Liebes-Zauber 350 Euro kosten. Auf die ausführlicheren Details von Rainer folgen die gleichen Nachrichten, die er auch schon von der Konkurrenz erhalten hat. Die gleichen Sätze. Mit den gleichen Tipp-Fehlern.
"Kennen Sie Oba's Inspiration?", will Rainer daraufhin wissen. "Ist er vielleicht ein Kollege von Ihnen?" Der Account verneint. "Dann wundert es mich, dass Sie exakt die gleichen Antworten auf meine Fragen geben wie er", entgegnet Rainer.
Von hier an bekommt er keine Antwort mehr. Ob ein Zauberer wirklich deine Ehe retten will, wenn er nicht einmal hier die Wahrheit sagt?