Wie empfinden junge Menschen die Corona-Pandemie? Bild: imago
Exklusiv
30.01.2021, 11:5431.01.2021, 18:55
Eigentlich beginnt mit 18 Jahren das Leben erst so richtig. Die Schule ist in der Regel vorbei, nun geht es in unbekanntere Gefilde. Manche studieren, andere machen eine Ausbildung, gehen ein Jahr ins Ausland oder arbeiten in einer Pflegeeinrichtung. Mit der Volljährigkeit beginnt die Findungsphase, die sich bis Ende 20 ziehen kann. Und (normalerweise) stehen jungen Menschen alle Türen offen, wie man so schön sagt. Blöd nur, dass die Corona-Pandemie ihnen einige vor der Nase zuschlug, abschloss und den Schlüssel zusammen mit ihren Zukunftsvisionen die Toilette hinunterspülte.
Vielleicht ist das aber auch ein zu drastisches Bild. Vielleicht bedeutet die Pandemie eine Chance. Eine, die viele dazu bewegt, Ziele zu fassen, an die sie bis dato überhaupt nicht dachten. Der eine schmeißt seinen Traum vom Managementposten bei BMW hin, wird stattdessen Pfleger, weil er helfen möchte. Eine andere verzichtet aufs Auslandsjahr, um Pharmazie zu studieren, weil sie mit der Pandemie gelernt hat, wie wichtig Impfstoffe sind.
Vielleicht bedeuten die Umstände aber auch Zukunftsangst oder Frust für junge Menschen, weil sie sich vergessen oder angeklagt fühlen. Um herauszufinden, was die Corona-Pandemie für junge Menschen wirklich bedeutet, startete watson eine exklusive Umfrage zusammen mit dem Civey. Dabei fragten wir Menschen jeder Altersgruppe, um zu sehen, wie die Corona-bedingten Sorgen junger Menschen generationsübergreifend wahrgenommen werden. Hier seht ihr die Ergebnisse.
Vorab: Der Umfragezeitraum ging vom 26. bis zum 29. Januar. Zu jeder der Fragen äußerte sich eine unterschiedliche Anzahl an Personen, mal über 8000, mal über 10.000. Für die Auswertung nahm Civey eine Quotenstichprobe von rund 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, das gilt für alle Fragen. Das Ergebnis ist laut Civey repräsentativ.
Werden junge Menschen bei Corona-Entscheidungen vergessen?
Viele junge Menschen bleiben durch die Corona-Beschränkungen auf dem Trockenen. Studentinnen und Studenten, die in Gastro oder Einzelhandel aushelfen, können derzeit nicht arbeiten. Und wer in den Bereichen eine Ausbildung macht, kann nur bedingt weiterarbeiten, etwa wenn der Betrieb außer Haus liefert. Bei der Praxiserfahrung hapert es ebenso. Angehende Mediziner können nicht ins Labor, Auslandspraktika werden geschoben, Studien- wie auch Ausbildungszeiten möglicherweise verlängert. Zusammengefasst: Sie brauchen Hilfe. Deshalb fragte watson, ob junge Menschen bei den Corona-Hilfsmaßnahmen auch ausreichend bedacht werden.
Bild: civey/watson
Unter den jungen Menschen wird deutlich: Ja, sie fühlen sich bei Corona-Hilfsmaßnahmen vergessen. Immerhin haben bei den 18- bis 29-Jährigen knapp 75 Prozent dieses Gefühl. Das sehen auch die älteren Befragten so. Zwar sind mit zunehmenden Alter weniger Menschen dieser Meinung, allerdings haben auch bei den über 65-Jährigen noch rund 55 Prozent den Eindruck.
Dass sich gerade junge Menschen vergessen fühlen, zeigte sich kürzlich auch bei einem Gespräch zwischen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und einer Gruppe Studenten. Sie klagten über fehlenden Einkünfte, aber auch über Schwierigkeiten, sich im neuen Uni-Alltag zurechtzufinden, wie die "FAZ" berichtete.
Wuchs mit Corona die Angst vor der Zukunft?
Die Corona-Pandemie sorgt für eine Kettenreaktion, die viele in eine Angstspirale befördern könnte. Im Laufe des Lockdowns wachsen finanzielle Sorgen und wo die sind, ist meist auch die Zukunftsangst nicht fern. Azubis fürchten um ihren Ausbildungsplatz, Studentinnen und Studenten darum, ihr Studium nicht mehr finanzieren zu können. Aber auch der Arbeitsmarkt könnte sich nachhaltig verändern. Stellen fallen weg, neue kommen hinzu, aber reicht das? Da die Ängste nicht nur für junge Menschen gelten, sondern auch für ältere, fragte watson generationenübergreifend, wie sich die Zukunftssorgen seit der Corona-Pandemie veränderten.
Bild: civey/watson
Überraschend: Zwischen den Altersgruppen gibt es kaum Unterschiede. Vielmehr dümpelt und kratzt es stets an der fifty-fifty-Grenze. Einziger (wenn auch kleiner) Ausreißer sind die über 65-Jährigen. Dort machen sich rund 55 Prozent keine Sorgen um ihre Zukunft, trotz einer möglichen Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe.
Wird es für junge Menschen schwieriger, einen Job zu finden?
Richten wir die Lupe auf die Zukunftssorgen. Gerade berufliche Perspektiven könnten sich mit der Corona-Pandemie ändern. Unternehmen, etwa H&M, bauen Stellen ab, viele verzichten gar auf Neuanstellungen. Viele junge Menschen dürften dadurch Angst vor sinkende Jobchancen haben. Wir könnten jetzt fleißig das Phrasenschwein pökeln, Dinge sagen, wie dass wir erstmal abwarten müssen. Stattdessen fragte watson lieber direkt, ob die Pandemie langfristig nachteilig für jüngere Menschen sein könnte.
Bild: civey/watson
Junge Menschen erwarten mehrheitlich Nachteile für ihre Gruppe (zirka 75 Prozent), ältere wiederum nicht. Gerade letztere sind häufig bereits in Rente, haben den Arbeitsmarkt praktisch in seiner vollen Breite kennengelernt. Sie wissen um Krisen, können aber auch verklärt sein. Schließlich obliegt der Markt einem steten Wandel. Wie es nach der Pandemie ausschaut, können wir ohnehin nicht sagen, nur vermuten. Doch selbst die beste Glaskugel ist am Ende nur eine Glaskugel.
Wer wird die wirtschaftlichen Folgen tragen?
Die Frage bezüglich der Nachteile wäre zumindest im Ansatz geklärt. Ein möglicherweise veränderter Arbeitsmarkt könnte aber auch wirtschaftliche Folgen mit sich bringen. Dabei sah es zunächst ganz gut aus. Im dritten Quartal gab es einen kleinen Boom, in dessen Folge die Bundesregierung bessere Prognosen fürs Bruttoinlandsprodukt ausrechnen konnte.
Statt einem Minus von 5,8 Prozent, sollte es 5,5 Prozent betragen. Eine zweite Corona-Welle im Herbst und Winter zerschlug den Optimismus aber wieder. Das erwartete Wirtschaftswachstum im Jahr 2021 soll mit drei Prozent geringer als jene fünf Prozent sein, um die die Wirtschaft im vergangenen Jahr eingebrochen ist. Um diesen Verlust auszugleichen, braucht es also Zeit und Geduld. Wer aber ist am Ende dafür verantwortlich? Die jungen Menschen, die Arbeitseinsteiger?
Bild: civey/watson
Hier sind sich alle Generationen einig: junge Menschen werden die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie tragen. Am sichersten sind sich dabei die Betroffenen 18- bis 29-Jährigen (zirka 73 Prozent). Viele steigen in diesem Alter in den Arbeitsmarkt ein und werden noch darin sein, wenn alle anderen Altersgruppen ins Rentenalter kommen. Dass die wirtschaftlichen Folgen allerdings über Jahrzehnte hinweg halten, muss nicht zwangsläufig sein. Auch nach Wirtschaftskrisen, 1929 oder 2008, konnten sich die Märkte schnell wieder erholen.
Sind die Maßnahmen zu hart?
Auch wenn die Corona-Maßnahmen für alle Menschen Verzicht bedeutet, dürfte dieser für Jüngere besonders schwer sein. Keine Partys, keine Reisen, nur gelegentliche Treffen mit einer Person. Vorlesungen wurden aus Hörsälen ins Internet verlegt, wodurch Erstsemester vorerst keine Kontakte knüpfen können. Entscheidungen, um die Pandemie einzudämmen, sind nötig – dazu gehört eben auch, Kontakte zurückzufahren. Ob allerdings so manche Maßnahme – von geschlossenen Restaurants bis zur Ausgangssperre in Bayern – vielleicht übertrieben ist, bleibt ein anderes Thema. Wie also nehmen die Menschen hierzulande die Maßnahmen wahr?
Bild: civey
Zwar sind alle Gruppen mehrheitlich der Meinung, die Maßnahmen würden nicht ausreichen, bei den Jüngsten finden sich jedoch mehr Befragte als in den anderen Altersgruppen, die die Maßnahmen für übertrieben halten (33 Prozent). Das kann durchaus ihrer Situation geschuldet sein. Verzicht befeuert Frust, kein neues psychologisches Phänomen. Bei den Älteren denken wiederum die wenigsten so (15 Prozent). Dort wünschen sich auch die meisten schärfere Maßnahmen.
Wo liegen die größten Probleme während der Corona-Pandemie?
Wir sprachen jetzt viel über die Sorgen, die junge Menschen während der Corona-Pandemie haben. Alles richtete sich eher auf den beruflichen Kontext, was natürlich auch einen kleinen Einblick zum Thema Zukunftsängste ermöglicht. Natürlich können wir nicht einfach davon ausgehen, dass diese junge Menschen am stärksten plagen. Gerade in den letzten Monaten kam immer wieder die Frage auf, worunter wir während der Pandemie am stärksten leiden.
Hierbei handelt es sich um eine andere Befragung: Civey sammelte vom 15. bis zum 29. Januar Antworten von über 180.000 Menschen. Die Meinung von 10.000 landete in der Stichprobe und damit in der Grafik.
Bild: civey
Eine der größten Sorgen ist die soziale Isolation, da sind sich alle Altersgruppen einig. Sie betrifft jeden, völlig egal, welchem Beruf man nachgeht oder wie alt man ist. Denn derzeit sind wir gezwungen, uns zurückzuziehen, um Ansteckungen zu vermeiden. Hier liegt die junge Generation vorne (zirka 64 Prozent). Was hingegen die Sorge vor einer Ansteckung angeht, fürchtet sich die älteste Gruppe am meisten (zirka 54 Prozent). Ironischerweise ist die Angst vor einem Jobverlust bei allen ähnlich gering. Einzig bei den 40- und 49-Jährigen knackt sie die Zehn-Prozent-Marke.
Auch interessant: Seit April 2020 ist die soziale Isolation eine Angst, die die Menschen hierzulande stark betrifft. Das ergibt sich aus einer Civey-Umfrage, die das Institut zwischen März vergangenen Jahres und Ende Januar 2021 erhob.
Bild: civey
Was können wir daraus lernen?
Ein paar Dinge. Zunächst, dass wir die Sorgen junger Menschen ernst nehmen sollten. Natürlich ist es schwer, Prognosen zu zeichnen, ohne den Teufel an die Wand zu malen. Für alle Menschen ist die derzeitige Situation fremd. Wir lernen noch, sind entsprechend viel mit uns selbst beschäftigt. Es kann aber nicht schaden, stärker in den Dialog zu treten (mit Abstand, versteht sich).
(tkr)