Es ist bemerkenswert, wie verblendet Menschen sein können, sobald sie sich verlieben. Da werden jegliche Warnhinweise weg interpretiert, schlechtes Verhalten verteidigt und normale Nettigkeitsgesten zur Heldentat überhöht. Die verliebte Person bemerkt leider oft zu spät, in welches Rabbithole sie gerade fällt. Wer es aber sofort sieht, sind Freund:innen.
"Warum lässt du dich so behandeln?", "Klingt furchtbar", oder "Melde dich bitte nie mehr bei der!" – haben unsere Vertrauten etwa recht, wenn sie uns vor Dates warnen? Sollten wir in Sachen Liebe stärker auf ihre Urteilskraft vertrauen?
Wir sprachen mit dem Dipl.-Psychologen Michael Cöllen darüber. Der Paar- und Sexualtherapeut aus Hamburg ist auch Autor von "Lieben und Verzeihen – wie sich Paare wiederfinden".
Seine Haltung dazu ist ziemlich deutlich. Er ist absolut Pro-Freundschaft als Datingberatung, sagt:
Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Freund:innen seien "innerlich nicht so involviert". Sie könnten das besagte Date "von außen mit anderen Augen betrachten", seien also sachlicher. In den meisten Fällen kennt der Bekanntenkreis dich, deine Biografie, Schwächen und Wünsche zudem sehr gut und hat dein Bestes im Sinn.
Zudem befänden sie sich nicht im Liebesrausch. Deshalb "können Freunde mit ihren kritischen Beobachtungen, ihrem Einfühlungsvermögen und den eigenen Empfindungen sehr hilfreich sein", ist der Psychologe überzeugt. Sie hätten einen Zugang und Wissensvorsprung, der selbst für Profis wertvoll sein kann, ist Michael Cöllen sicher.
"Das Feedback der Freunde zur Partnerqualität des Geliebten kann überaus hilfreich sein", ist der Therapeut sicher, "Deshalb beziehe ich in der Paartherapie oft Freundinnen und Freunde mit ein."
Im Gegensatz zu den Klient:innen bringt das Umfeld ungeschönte Wahrheiten ans Licht. Cöllen:
Das Problem ist aber, dass niemand gerne unbequeme Wahrheiten hört, besonders Verliebte nicht. Kein Wunder, dass gute Hinweise oder Warnungen von Freund:innen oft abgeschmettert werden.
"Natürlich ist die mögliche Kritik der Freundin am eigenen Geliebten manchmal schmerzhaft oder sogar unerwünscht", weiß der Psychologe. Sie "sollte letztlich aber dankbar aufgenommen und ernsthaft geprüft werden."
Wenn die Freund:innen ein großes Problem in der Partnerschaft sehen, ist es gut, sogar nötig, dass sie dieses auch ansprechen, als Anwält:innen deiner emotionalen Interessen sozusagen. "Ideal wäre dann, ein offenes und kritisches Dreier-Gespräch zu führen", erklärt Cöllen.
So könnten Themen auf den Tisch kommen, die du selbst vielleicht noch nicht erkennst oder nicht wagst, anzusprechen. Das schafft Klarheit, vielleicht hebt es die Beziehung sogar auf das nächste Level.
"Das können wir dann als echten Freundschaftsdienst verstehen", sagt der Therapeut. Wohl überlegte Ratschläge bedeuten "echte Hilfe und Prophylaxe für die Weiterentwicklung der Liebesbeziehung, weil das Feedback der kritischen Freundin in der Regel von Wohlwollen getragen ist."
Der einzige Grund, nicht auf die Besties zu hören, wäre, wenn zum Beispiel "die Freundin ihre eigenen Probleme auf diesen Mann überträgt und an diesem abarbeitet", sagt Cöllen. Ein Szenario das möglich ist, aber unwahrscheinlich. Viel eher haben deine Freund:innen recht. Wer vor Liebe blind ist, braucht eben manchmal eine verlässliche Hand, die durchs Dunkel führt.