Betuliche Ratgeber hin oder her: Manchmal ist es nicht freundliche Empathie auf Augenhöhe, die zu gutem Sex führt, sondern viel mehr ein leidenschaftlich gebrülltes "Ich hasse dich!".
Ziehen, beißen, Tränen der Ekstase, geflüsterte Entschuldigungen und ein Puls, der durch den Körper wummert – all das dreht den Lautstärkeregler der Lust ziemlich schnell auf und hat das eine oder andere Paar blitzschnell wieder versöhnt.
Doch so sexy das sein kann, stellt sich bei näherer Betrachtung doch die Frage: Ist es nicht total toxisch, emotionale Erregung als Aphrodisiakum zu verwenden?! Wie kann ich geilen Wut-Sex haben, ohne Teil eines Liebesdramas zu sein?
Wir haben darüber mit Mignon Kowollik gesprochen. Sie arbeitet als Sexual-Coach für Paare und Singles in Hamburg und kennt das Phänomen.
"Wenn Sexualität nach Streit besonders leidenschaftlich ist, liegt das oft an den intensiven Emotionen, die durch Konflikte geweckt werden", sagt sie.
Wut-Sex ist zwar gefühlsintensiv, aber aus sachlichen Gründen: "Der Körper reagiert auf Stresssituationen mit einer erhöhten Ausschüttung von Adrenalin und anderen Hormonen, die Erregung bei uns fördern können."
Selbst negative Emotionen wie Stress, Wut und Angst können den Körper fatalerweise in einen erregten Zustand versetzen, der wie ein Vorspiel wirkt. "Gleichzeitig schaffen Versöhnungsmomente eine Nähe, die die Leidenschaft verstärkt", sagt Kowollik.
Diese Kombination aus bittersüßem Schmerz macht viele Menschen wuschig. Die intensiven Gefühle gaukeln ihnen eine Leidenschaft und Liebe vor, die groß wirkt. Die Expertin warnt jedoch vor jenem Sog: "Es ist wichtig, diesen Kreislauf zu reflektieren, um langfristig eine gesunde Beziehung zu fördern, die nicht von Konflikten lebt."
Denn wenn du zu den Menschen gehörst, die diesen Kick unbedingt brauchen, wird es schwer werden, eine alltagstaugliche Liebe zu erleben, die nicht von toxischen Dynamiken geprägt ist.
Höchste Zeit, herauszufinden, was genau an den Streitereien so erregend ist für dich. "Ein Ansatz, diese Leidenschaft weniger toxisch in die Beziehung zu holen, ist, die zugrunde liegenden emotionalen Dynamiken zu verstehen", formuliert es der Sexcoach. Also: Was genau explodiert da bei euch im Hintergrund? Eifersucht? Verlustangst? Fehlende Nähe?
"Streitgespräche bringen oft unterdrückte Gefühle oder Wünsche an die Oberfläche", sagt die Expertin, weil es vielen Menschen nicht leicht fällt, sich ihren Partner:innen im Alltag mitzuteilen, wie eine Umfrage von Ashley Madison ergab. Kowollik: "Nur 29 Prozent der Befragten sagen dort, dass sie offen mit ihrem oder ihrer Hauptpartner:in über Wünsche und Bedürfnisse sprechen können."
Das Problem ist nur: Wenn Wünsche immer nur im Streit hinausgeschrien werden und der Streit zu Sex führt, entwickelt sich das Paar kein Stück. Die Erotik übertüncht dann nur einen Schimmelfleck in der Beziehung, der sich weiter im Hintergrund ausbreitet.
"Es könnte hilfreich sein, die durch Streit aufkommende Energie bewusst in anderen Kontexten zu nutzen, beispielsweise durch ehrliche Gespräche über Bedürfnisse und Fantasien", sagt die Expertin daher.
Darüber hinaus könne "die Spannung, die durch Streit entsteht, durch spielerische oder aufregende Aktivitäten ersetzt werden", rät sie.
Und gibt ein paar Beispiele für Aktivitäten, die aphrodisierend wirken können, ohne Konflikte zu schaffen:
Langfristig ist es deutlich gesünder, andere Aktivitäten zu finden, um sich auf- und wieder abzuregen. Lust kann nämlich auch entstehen, wenn ein Paar gemeinsam richtig gut isst oder sich beim Laser-Tag abschießt – und zwar ohne das Risiko, das mit Wut-Sex einhergeht, nämlich: Dass man im Eifer des Gefechts sexuelle Grenzen überschreitet. Oder ein Kommentar fällt, der unter die Gürtellinie ging – und das Herz für immer bricht.
Die "Achtsamkeit im Umgang mit Konflikten" sei für jede Beziehungsform wichtig, mahnt die Expertin. Hinterfragt, "ob der Streit tatsächlich aus einem ungelösten Problem resultiert oder ob er unbewusst gesucht wird, um die sexuelle Spannung zu erhöhen."
Hast du das Gefühl, Sex ohne das Drama sei langweilig? "Eine offene Kommunikation darüber kann neue Wege aufzeigen, wie Leidenschaft entstehen kann, ohne dass Schmerz oder Frustration als Auslöser dienen müssen", ist Kowollik überzeugt.
Durch Streit ausgelöste Lust sei an sich nicht schlimm, sondern normal. Doch "die Kunst liegt darin, die Kraft dieser intensiven Emotionen in etwas Positives zu lenken", sagt Kowollik abschließend, "so wird die Beziehung nicht nur leidenschaftlich, sondern auch nachhaltig verbindend."