
Marie-Joan spricht über Tabus zur weiblichen Selbstbestimmung.Bild: privat / Marie-Joan Schmidt
Interview
Viele Frauen kämpfen damit, ihre eigenen Grenzen in der Sexualität klar zu setzen – Marie-Joan spricht offen darüber, wie sie selbst damit umgeht und warum es so wichtig ist, dass wir als Gesellschaft endlich anfangen, über weibliche Lust und Bedürfnisse zu sprechen.
03.04.2025, 08:0303.04.2025, 08:03
Vom Stern und NDR wurde Marie-Joan als Dr. Sommer der Gen Z bezeichnet, sie selbst nennt sich lieber CEO of Rambazamba. In ihren oft humorvollen Sketchen klärt sie über Themen wie Sex, Verhütung und Beziehungen auf.
Auch wenn sie ihre Themen oft mit Humor verpackt, geht es in ihren Aussagen immer wieder um ernste und tiefgehende Themen. Im Gespräch mit watson erzählt sie offen über ihren sexuellen Missbrauch, was sie antreibt und warum es vielen Frauen schwerfällt, klare Grenzen zu setzen.
watson: Was hat dich dazu bewegt, offen über weibliche Lust und Sexualität zu sprechen?
Marie-Joan Schmidt: Ich habe schon immer sehr offen über diese Themen gesprochen, weil ich es bereits zu Hause bei meiner Mutter so erlebt habe. Das war nie mit Scham behaftet und zusätzlich fand ich es immer sehr spannend über diese Themen zu reden.
Gab es Momente, in denen du gemerkt hast: "Darüber muss ich reden"?
Ja. Der Moment, in dem ich realisiert habe, dass es keine Frau in meinem Umfeld gibt, die nicht sexuelle Belästigung oder Gewalt erfahren hat. Als ich dann bemerkt habe, dass die meisten das einfach abtun, obwohl es sie so sehr belastet, wollte ich selbst daran etwas ändern und mehr Sichtbarkeit für die Thematik schaffen.
Du gehst offen mit deinem sexuellen Missbrauch um. Ist dir das schwergefallen?
Zu Anfang ja, da ich online und in meinem Umfeld viel Victim Blaming erfahren habe. Eine große Stütze war meine damalige Therapeutin, die mir ganz klar gesagt hat, dass das eine Vergewaltigung war. Als ich das Ganze dann online konkret angesprochen habe, habe ich darauf sehr viel Zuspruch bekommen, was mir Kraft gegeben hat bei dem Thema weiterzumachen und anderen zu helfen.
Was waren deine Bedenken am Anfang?
Ich hatte Angst vor dem Täter. Auch wenn ich ihn anonym gehalten habe, war meine Sorge, er würde mir aus Wut etwas antun. Bis heute hat er sich jedoch nie dazu geäußert.
Wie bist du als Teenie mit deiner Sexualität umgegangen?
Ich hab mich schon früh gerne figurbetont gekleidet und offen über Sex geredet. Dadurch habe ich in der Schulzeit viel Slut-Shaming erlebt und auch in meinem sonstigen Umfeld. Bis heute habe ich Momente, in denen ich das Gefühl habe "zu viel" zu sein und wünsche mir manchmal, ich wäre das Gegenteil, damit alles ein wenig leichter wäre und ich nicht so oft anecke. Aber das wäre nicht ich und ganz ehrlich: Das wäre mir auch zu langweilig.
Hast du das Gefühl, dass Menschen dich anders wahrnehmen, weil du dich selbstbewusst und freizügig zeigst?
Meistens bekomme ich sehr positives Feedback. Viele gehen davon aus, nur weil ich auf meinen Fotos und in meinen Videos sehr selbstbewusst bin, dass ich das auch sonst in meinem Leben sein muss. Bin ich aber tatsächlich gar nicht. Das eine ist mein Job und das andere bin ich privat. Im Alltag bin ich sehr introvertiert und ruhig. Deshalb wundern sich Menschen manchmal, wenn sie mich treffen, dass ich sie nicht mit "RAMBAZAMBA und BIG VV ENERGY" anschreie.
"Wir Frauen sind nicht schwach, sondern haben es nicht anders gelernt."
Was waren die heftigsten Reaktionen, die du bisher bekommen hast?
Ich wurde schon öfter von Frauen einfach in der Öffentlichkeit vor Überwältigung geküsst. Also beispielsweise auf Festivals oder Events. Menschen haben schon oft geweint, wenn sie mich gesehen haben, weil mein Content ihnen so viel gibt. Ersteres muss nicht sein, aber letzteres berührt mich sehr. Ab und zu verlieben sich auch mal Männer in mich, die dann auch schon mal etwas zu weit gehen und versuchen Kontakt persönlich herzustellen. Das hält sich aber zum Glück in Grenzen.
Hast du das Gefühl, dass Social Media Frauen hilft, sich mehr über ihre Lust und Sexualität auszutauschen?
Ja, weil wir sehr viel mehr Zugang zu anderen Menschen und Informationen haben als früher. Zudem ist es wahrscheinlich einfacher über Tabuthemen zu reden, weil wir die "Online-Barriere" haben.
Welche Message würdest du gern an alle Mädels weitergeben, die gerade anfangen, ihre Sexualität zu entdecken?
Mach nichts, was sich nicht gut für dich anfühlt oder was du nicht willst. Jemand, der dich gerne hat, möchte, dass es dir gut geht. Und du kannst niemanden dazu bringen, dich mehr zu mögen, indem du Dinge tust, die dein Gegenüber möchte, aber du selbst nicht. Rede mit deinen Freund:innen oder anderen Bezugspersonen so viel wie es geht über Sex, Verhütung und Co. Das alles ist normal und haben wir alle schon durchgemacht.
"Dieses Denken ist einfach nur veraltet und peinlich für unsere Gesellschaft im Jahr 2025."
Warum glaubst du, fällt es vielen Frauen schwer, ihre Wünsche im Bett klar zu äußern?
Frauen wird von klein auf beigebracht, immer freundlich und höflich zu sein. Nicht zu laut, nicht zu auffällig, bloß nicht anecken. Bei Männern ist das nicht so. Kann sich ein Mann durchsetzen, wird dabei etwas lauter und vielleicht aggressiver im Ton, wird er bewundert. Macht das hingegen eine Frau, wird sie als kalt und anstrengend bezeichnet. Das Ganze geht so weit, dass Frauen sogar zu Menschen höflich sind, wenn diese sie unwohl fühlen lassen.
Wie kann das konkret aussehen?
Ein Beispiel wäre da ein Mann, der sie belästigt oder übergriffig wird. Ich kenne viele Frauen, mich früher eingeschlossen, die in solchen Situationen leise bleiben und es weglächeln. Wir Frauen sind nicht schwach, sondern haben es nicht anders gelernt. Oder sie haben Angst, denn auch ein "Nein" hält viele Täter nicht davon ab, eine Frau zu vergewaltigen.
Glaubst du, dass patriarchale Strukturen unser Sexleben beeinflussen?
Ja, definitiv. Wir haben nicht nur im Alltag Geschlechterrollen, sondern auch im Schlafzimmer. Heterosexuelle Männer, die beispielsweise gerne mal Analsex hätten, bei dem die Freundin einen Strap-on trägt, trauen sich das kaum laut auszusprechen, weil direkt ihre Männlichkeit und Sexualität hinterfragt wird. Solche Nachrichten von Männern bekomme ich sehr oft. Dieses Denken ist einfach nur veraltet und peinlich für unsere Gesellschaft im Jahr 2025.
Inwiefern spürst du diese Strukturen?
Indem ich mich zu oft nicht getraut habe "Nein" zu sagen, Dinge von Männern zugelassen habe, die ich eigentlich nicht wollte, aber dazu überredet wurde oder es in der Hoffnung getan habe, mehr gemocht zu werden. Indem ich Übergriffigkeit oft weggelächelt habe, anstatt eine ganz klare Grenze zu setzen.
Wann hast du gelernt, Grenzen zu setzen?
Ich lerne immer noch. Manchmal spreche ich Schmerzen beim Sex zum Beispiel nicht sofort an, weil ich dem Mann kein ungutes Gefühl geben will. Jedoch ermahne ich mich oft selbst in solchen Momenten und denke mir, dass ich mich doch an meinen eigenen Content halten sollte. Deshalb trete ich mir dann selbst in den Hintern und spreche es an.
Wobei fällt dir das leichter?
In anderen Bereichen wie Verhütung, Vorlieben, Bedürfnissen, setze ich mittlerweile immer Grenzen – also bei Dingen, die mir sehr wichtig sind. Das hab ich mir über die Jahre selbst beigebracht und wurde dazu auch von Männern ermutigt, die mir rückversichert haben, dass ihnen das genauso wichtig ist.
Gibt es etwas, das du deinem jüngeren Ich sagen möchtest?
Scheiß auf andere, mach das, was DIR gut tut und sei du selbst. Du bist richtig cool und ich wäre gerne wie du … oh warte, das bin ich ja!