Es ist eine Frage, so alt wie das Online-Dating selbst: Wie lange sollte man mit einem interessanten Kontakt hin und her chatten, bevor man sich trifft? Einige Ungeduldige können der Schreiberei so gar nichts abgewinnen und würden sich am liebsten direkt verabreden.
Andere chatten hingegen monatelang und genießen den digitalen Flirt. Ist es hilfreich, sich richtig lange zu beschnüffeln und aus der Ferne kennenzulernen oder steht das eher im Weg, wenn es darum geht, sich unvoreingenommen zu begegnen?
Wir haben Pia Kabitzsch dazu befragt. Die Psychologin begeistert sich für alle Dating-Themen und spricht darüber auch in ihrem Tinder-Podcast "Besser Daten".
Sie sagt, bei der Beantwortung dieser Frage gäbe es "einmal die private Pia und die Psychologin Pia." Sie selbst wollte früher "beim Dating keine Zeit verschwenden und mich am liebsten direkt am selben Tag treffen."
Das ging aber auch nur, weil ihre romantischen Erwartungen nicht allzu hoch waren, glaubt sie: "Ich habe mich einfach gefreut, neue Menschen kennenzulernen und einen schönen Abend zu verbringen, das hat viel Erwartungshaltung und Druck herausgenommen."
Andere hingegen genießen gerade die Vorfreude und Vorbereitung auf ein Date oder wollen auf Nummer sicher gehen. Eine neue Tinder-Funktion ("Share My Date") zielt sogar genau darauf ab: Per Link können dann Ort, Datum, Uhrzeit und Foto der Verabredung mit Freundinnen oder Familie geteilt werden, so sind die Liebsten immer informiert.
Natürlich ist es dem individuellen Temperament und den Umständen überlassen, wie schnell sich ein Date nach dem ersten Kontakt auf Kaffee oder Bier zusammenfindet. Aber es gibt auch sachliche Erhebungen zum Thema, wie Pia erklärt:
Drei bis vier Wochen zu schreiben, ist also optimal, bis es zum ersten Treffen kommt. Die breite Zeitspanne sei ein wenig davon abhängig, "wie oft und regelmäßig man sich schreibt", erklärt die Expertin weiter. Aber grundsätzlich stecke hinter den Zahlen die interessante Erkenntnis, "dass zwei Dinge passieren, wenn du mit einer Person schreibst – etwas Positives und etwas Negatives." Und was genau?
"Das Positive ist, dass du dich anonym und sicher fühlst, wenn du von deiner Couch aus textest", sagt Pia Kabitzsch über die Vorteile. Jemand völlig Fremden von großen Zielen, geplatzten Träumen und kleinen Neurosen zu berichten, fällt leichter, wenn es durch einen Screen aus der Sicherheit des Heims aus geschieht. Die Psychologin:
Alleine schon dadurch "wird die Wahrscheinlichkeit, dass man eine persönliche Beziehung aufbaut, größer." Die emotionale Ebene wird also durch längeres Chatten aktiviert. Es wird intim und ehrlich. Gute Voraussetzungen für einen Beziehungsstart.
"Andererseits baut sich dein Gehirn durch jede Information, die du bekommst, ein Bild von der jeweiligen Person im Kopf auf", warnt die Psychologin. Achtung: Das sei häufig "ein idealisiertes Bild, weil man schon ein paar Dinge weiß, die man mag und dann unbewusst die 'Lücken' mit weiteren tollen Dingen füllt."
Wie das funktioniert, erklärt sie anhand eines Exempels:
Oder anders gesagt: Die Fallhöhe zwischen dem Thron, auf den du dein Date gesetzt haben könntest und dem schnöden Aufschlag in der Realität könnte dann umso extremer sein. Je mehr Zeit du hast, um Luftschlösser zu bauen, umso unrealistischer könnten deine Erwartungen werden. Bis hin zu Erwartungen, die niemand erfüllen kann.
"Offensichtlich passiert es nach etwa zwei bis drei Wochen, dass diese negativen Folgen des Kopfkinos anfangen, die positiven Effekte des Online-Kennenlernens zu überlagern", fasst es Pia Kabitzsch zusammen.
Das Fazit? Es ist schon gut "eine gewisse Basis miteinander zu haben", die man durch eine Unterhaltung per App durchaus schaffen kann. Doch dann sei es genauso wichtig "rechtzeitig abzugleichen, ob das physische Kennenlernen dem textlichen Flirt standhält, bevor man sich in eine Idealversion verrennt", schließt die Psychologin ab.
Denn besser als ein idealer Mensch, der nur in deinem Kopf existiert, ist immer noch ein Mensch aus Fleisch und Blut. Ein Mensch, der dich mit bayerischem Akzent in den Schlaf säuselt und dessen kalte Füße dich morgens daran erinnern, dass dort ein echtes Stück Leben neben dir liegt. Das ist dann zwar nicht perfekt, aber mitunter wunderschön.