Man kann sich nicht aussuchen, wo die Liebe hinfällt, heißt es. Und das ist gut so. Doch wenn die Liebe auf jemanden fällt, der große Probleme mit sich herumträgt, wird die Romcom schnell zum Drama. Denn manch eine Partnerschaft gerät in ungesunde Fahrwasser, sobald sich zeigt, dass eine:r von beiden regelmäßig zusammenbricht, während der oder die andere auffängt.
Als co-abhängig werden die Angehörigen Suchtkranker beschrieben, weil sie beginnen, das Verhalten ihrer Liebsten zu verschleiern und der Sucht – aus Scham oder Mitleid – zuarbeiten. Als co-abhängig werden zuweilen auch Angehörige psychisch kranker Menschen bezeichnet, da sich dabei ähnliche Mechanismen zeigen.
Doch egal, ob Depression oder Alkoholismus, wie verhält man sich am besten, wenn der Herzensmensch ins Schleudern gerät? Bis zu welcher Schmerzensgrenze sollte man mitgehen? Ab wann wird es nur noch toxisch?
Wir haben darüber mit Christian Hemschemeier gesprochen. Er ist Psychologe und Paartherapeut, coacht auch in Online-Kursen.
Er sagt: "Depression, aber auch Alkoholsucht sind zwar ganz unterschiedliche Dinge, aber gute Beispiele in diesem Fall." Denn in beiden Fällen "überlagern die Probleme eines Partners die des anderen". Ein Ungleichgewicht entsteht.
Das ist anstrengend und raubt Energie. Doch wer liebt, ist oft sehr lange dazu bereit, die eigenen Bedürfnisse zum Wohle des Anderen hinten anzustellen. Zu lange?
Das kommt auf viele Faktoren an. Die äußeren Umstände, den Umgang miteinander, die eigene Belastbarkeit und nicht zuletzt eben die Frage, ob es sich um eine psychische Krankheit oder eine Suchtkrankheit handelt.
Christian Hemschemeier:
Alles andere würde oft das Leid aller Beteiligten verlängern, zu Co-Abhängigkeit und Verschleierung führen und doch keine Verhaltensänderung hervorrufen.
Meistens steckt hinter einer Sucht zwar ein tieferlegendes Problem. Es ist aber nicht Aufgabe des Partners oder der Partnerin, dieses zu finden, aufzulösen oder zu kompensieren, wie der Psychologe erklärt. Nur der oder die Betroffene selbst kann sich seinem Trauma stellen.
So hart es sich in der Praxis anfühle, einen Menschen, der offensichtlich Hilfe braucht, loszulassen, sei es langfristig das beste: "Manchmal hilft man dem Partner mehr, wenn man weniger hilft", erklärt der Therapeut.
"Depressionen und andere psychische Erkrankungen sind noch einmal anders", sagt Hemschemeier jedoch deutlich. "Es kann Erkrankten da sehr helfen, Angehörige zu haben, die zu Arztterminen dazukommen und auch mal Therapiesitzungen begleiten." Der Psychologe weiß aus dem Alltag: "Gerade psychisch kranken Menschen fällt es oft schwer, selbst am Ball zu bleiben."
Dabei gelte es aber, den richtigen Ton zu treffen, sich über das jeweilige Krankheitsbild zu informieren, anstatt aus dem Bauch zu reagieren, mahnt Hemschemeier: "Was Depressiven zum Beispiel nicht hilft, ist, wenn jemand sagt: 'Stell' dich nicht so an! Die Vögel zwitschern, die Welt ist doch schön!'"
Psychische Erkrankungen können eben nicht durch ein wenig Motivation aufgelöst werden, sondern benötigen ärztliche Behandlung, oft auch Medikamente. Das bedeutet aber auch – und das ist wichtig zu erinnern: Liebe allein, egal wie groß, kann diese Probleme nicht aus der Welt schaffen.
Wer das begreift, macht sich von genau den belastenden Schuldfragen frei, die oft im Rahmen solcher Konstellationen aufkommen. In Liebesbeziehungen sollte man nicht nur deshalb zurückstecken, weil man ständig Angst um den Herzensmenschen hat. Im Gegenteil, es ist umso wichtiger, "authentisch zu bleiben", sagt Hemschemeier.
Die eigenen Bedürfnisse sollten in der Beziehung deutlich kommuniziert werden. Er führt aus:
Die eigenen Grenzen zu kennen und klar zu definieren, sei in solchen Beziehungen elementar, so der Therapeut.
Hemschemeier mahnt: "Diese Grenzen sollte man dann auch nicht überschreiten." Es sei nicht egoistisch, sondern notwendig, im Zweifelsfall zu sagen: "Ich kann es nicht mehr ertragen, das zu hören, bitte sprich darüber mit deinem Therapeuten." Oder: "Es wird mir zu viel, ich fahre ein Wochenende weg."
Der Psychologe:
Denn aus paartherapeutischer Sicht passiert sonst auch noch etwas anderes: "Wenn man die eigenen Grenzen ständig überschreitet, fällt man irgendwann aus der Liebe", weiß Hemschemeier. "Dann hasst man den Partner nur noch dafür, 'was er einem antut'."
In der Theorie klingt diese gesunde Abgrenzung zum Lieblingsmenschen leicht, doch Hemschemeier sagt, in der Praxis erlebt er diesen Drahtseilakt als einen der schwierigsten in zwischenmenschlichen Beziehungen: "Konsequent zu sein, aber auch warmherzig, das ist der Schlüssel. Das erfordert sehr viel eigene Stabilität und Selbstkenntnis."
Hat man das nicht, oder nicht mehr, ist es gesünder sich zu trennen. Auch, wenn man Schuldgefühle hat. Auch wenn man den anderen noch liebt. Hemschemeier abschließend: "Es nützt niemandem etwas, wenn man selbst mit hinab in den Abgrund gezogen wird. Dann muss man leider loslassen."