Ein ungewöhnlicher Anblick: Fünf Frauen betasten den Busen dreier fremder Frauen, um zu lernen, wie sich Krebs wirklich anfühlt. Wie groß und wie hart mag ein Tumor unter der Brust wohl sein? Viele Frauen können sich das kaum vorstellen – bis sie ihn bei sich selbst entdecken.
Um aufzuklären und Hemmungen abzubauen, wurde die Kampagne "touchmycancer" ins Leben gerufen, die Frauen dazu inspirieren soll, sich ihrem Busen im Rahmen der Krebsvorsorge zu widmen, die Idee stammt aus dem Buusenkollektiv – eine gemeinnützige Organisation von und für Frauen mit Brustkrebs.
Der emotionale Zugang von "touchmycancer" macht ein Thema greifbar, das für viele Frauen mit Unsicherheit und Scham verbunden ist.
Den meisten Frauen ist nämlich wohlbekannt, dass Brustkrebs die häufigste Krebsart innerhalb ihres Geschlechts ist und jedes Jahr 70.000 Frauen eine derartige Diagnose erhalten – allein in Deutschland. Viele wissen auch, dass Früherkennung damit beginnt, sich selbst regelmäßig die Brust abzutasten.
Trotzdem: Nur jede zehnte Frau tut das auch regelmäßig. Die meisten lassen lieber die Finger von ihren Brüsten. Von "Ich weiß nicht, wie das geht", bis hin zu "Ist mir peinlich" oder "Ich habe Panik, etwas zu finden" gibt es zahlreiche Gründe dafür, doch diese Ängste sind abbaubar.
Für watson sprachen wir darüber mit Podcasterin Vreni Frost, Brustkrebspatientin Sunny und einer der Initiatorinnen vom Buusenkollektiv, Steff. Vreni und Sunny waren Teilnehmerinnen bei #touchmycancer.
watson: Warum wolltet ihr bei der Kampagne mitmachen?
Sunny: Ich möchte ein Teil davon sein, aufzuklären und Brustkrebs zu enttabuisieren.
Vreni: Als ich von der Kampagne gehört habe, war ich sofort Feuer und Flamme, weil sie wahnsinnig mutig ist und auf bisher einzigartige Weise auf das Thema Brustkrebs eingeht.
Wie war das Feedback bisher auf die Kampagne?
Steff: Die Reaktionen reichen von tiefer Betroffenheit bis hin zu Dankbarkeit dafür, dass das Thema Brustkrebs und Selbstuntersuchung so kraftvoll und sensibel angesprochen wird. Viele Menschen berichten, dass sie durch die Kampagne erstmals den Mut gefasst haben, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen oder ihre eigenen Vorsorgemaßnahmen ernster zu nehmen.
Hattet ihr Angst vor dieser intimen Berührung?
Vreni: Ich hatte wahnsinnigen Respekt vor der Situation und war den Tränen nah. Für mich war es so ein wertvoller Moment, dass eine Frau mit mir ihre Erkrankung teilt und mir damit die Möglichkeit gibt, zu lernen und zu begreifen.
Sunny: Tatsächlich hatte ich Angst, dass es sehr emotional wird. Die Influencerin, die mich abgetastet hat, hat mir durch unser vertrautes Gespräch sehr viel Ruhe gegeben, sodass ich die Angst verlor und ich mich darauf konzentriert habe, wofür ich das mache: um aufzuklären!
Steff: Das Abtasten der Brust ist ein zentrales Thema in der Frauengesundheit, das leider oft tabuisiert wird. Ein Grund dafür ist die Sexualisierung von Brüsten, die dazu führt, dass viele Frauen Hemmungen haben, sich mit ihrem eigenen Körper auseinanderzusetzen. Die Kampagne bricht dieses Tabu gezielt, um das Bewusstsein dafür zu stärken, dass Brustgesundheit nichts mit Sexualität zu tun hat, sondern ein wichtiger Aspekt der Selbstfürsorge ist.
Fühlt sich der Tumor so an, wie du es dir vorgestellt hast, Vreni?
Vreni: Für mich war das so eine abstrakte Vorstellung, dass ich überhaupt nicht darüber nachgedacht habe, wie sich so etwas anfühlen kann. Dennoch war ich nicht sehr überrascht. Scheinbar hat es sich so angefühlt, wie es in meiner Vorstellung verankert war.
Wie denn?
Vreni: In meinem Fall fühlte es sich an wie eine kleine Dattel. Aber ich habe gelernt, dass sich jeder Tumor anders anfühlt. Die einen sind rau, die anderen glatt wie ein Stein.
Steff: Manche Tumore sind hart und unregelmäßig geformt, andere eher glatt und rund. Einige Knoten können sich frei unter der Haut bewegen lassen, während andere fest mit dem umliegenden Gewebe verbunden sind. Es ist daher entscheidend, nicht nur auf das Abtasten, sondern auch auf visuelle Veränderungen der Brust zu achten, wie etwa Dellen, Hautveränderungen oder Einziehungen der Brustwarze. Durch regelmäßige Selbstuntersuchungen lernt man, was für die eigene Brust normal ist und kann leichter erkennen, wenn sich etwas verändert.
Wie war das bei dir, Sunny? Wann hast du deinen Tumor zum ersten Mal ertastet?
Sunny: Ich hatte lange vorher schon das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Ich taste mich regelmäßig ab, da ich jahrelang Zysten in der Brust hatte und als ich mich abtastete, fühlte ich etwas an einer anderen Stelle, was sich nicht wie die Zysten anfühlte. Da wusste ich, da ist was nicht normal. Kurze Zeit später zeigte sich eine Delle an der Stelle. Da war es mir klar, dass muss ich abklären lassen.
Und wie geht es dir jetzt gerade?
Sunny: Ich bin mitten in der Chemo, da ist es ein Auf und Ab. Ich habe gute und schlechte Phasen. Ich vertraue aber darauf, dass alles gut wird und das hilft mir.
Was hat das Erlebnis in dir ausgelöst, Vreni?
Vreni: Ich habe einen großen Teil Angst abgelegt. Und ich habe wieder einmal gelernt, dass man Angst verliert, wenn man sich zu einem Thema informiert. Diesen Moment erleben zu dürfen, hilft nicht nur mir, sondern ich werde dieses Wissen an meine Community und Freundinnen weitergeben. Bei meinen Freundinnen werde ich auch ohne Hemmungen in Zukunft Hand anlegen, wenn wir etwas vermuten.
Wäre es nicht sinnvoll, das Ertasten von Tumoren flächendeckend anhand von Modellen zu lernen?
Steff: Es wäre äußerst hilfreich, wenn Frauen frühzeitig lernen könnten, wie sich potenzielle Tumore in der Brust anfühlen. Das direkte Ertasten an Modellen könnte das Verständnis enorm fördern und Barrieren abbauen. Obwohl theoretisches Wissen über Brustkrebs und Vorsorge verbreitet ist, fehlt oft die praktische Erfahrung, um Veränderungen im eigenen Körper zu erkennen.
Solche Modelle könnte man doch im Bio-Unterricht oder zumindest beim Frauenarzt anbieten.
Steff: Ein Unterrichtskonzept, das solche Tastmodelle integriert, könnte ein wichtiger Schritt sein. Im Biologieunterricht werden Themen wie Sexualität und Fortpflanzung oft sehr oberflächlich behandelt und die Brust wird meist in einem rein sexuellen Kontext vermittelt. Hier gäbe es großes Potenzial, das Thema um die gesundheitliche Dimension zu erweitern und jungen Menschen zu vermitteln, dass Selbstuntersuchungen ein Teil der Gesundheitsvorsorge sind. Auch in gynäkologischen Praxen könnten Tastmodelle eine wertvolle Ergänzung sein, um Frauen aktiv in ihre Gesundheitsvorsorge einzubeziehen.
Warum gibt es das bislang nicht?
Steff: Dass solche Angebote bislang selten sind, könnte mit fehlenden Ressourcen, mangelnder Sensibilisierung oder dem bestehenden Tabu um den weiblichen Körper zusammenhängen.
Was würdest du als Krebspatientin allen Frauen raten, Sunny?
Sunny: Ich möchte jeder Frau ans Herz legen, auf sich und ihren Körper zu vertrauen. Er sendet uns Signale. Lasst euch nicht abwimmeln, wenn ihr etwas Seltsames an oder in eurem Körper bemerkt und steht für euch ein.