Lange war Symptome googeln der einfachste Weg, um sich schnurstracks in die Hypochondrie zu treiben. Seiten mit dramatischen Erklärungen, warum zum Beispiel die Nase läuft, befeuerten einen Sorgen-Überschuss. Und das oft völlig ungerechtfertigt.
Doch mittlerweile hat sich ein neues Problem herauskristallisiert: die Selbstdiagnose via Kurzvideos. Auf Tiktok versuchen Creator:innen ohne medizinischen Background zum Beispiel psychische Erkrankungen zu erklären. Die Clips sind häufig durchzogen von falschen Fakten. Wie schlimm das sein kann, zeigt eine Studie zu ADHS-Videos.
Demnach sind die Inhalte zur Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei Tiktok meist fehlerhaft. Von knapp 100 untersuchten Videos zum Thema enthielt über die Hälfte falsche Informationen.
Die im Fachmagazin "Plos One" veröffentlichte Studie teilt sich in zwei Untersuchungen: In der ersten erstellten Forschende einen Tiktok-Account und ließen sich zum Hashtag #ADHS Videos vorschlagen. 98 Vorschläge kamen dabei heraus, 92 davon enthielten Aussagen zu den Symptomen. Bei 51,2 Prozent stellten sich diese als fehlerhaft raus, weil die beschriebenen Symptome schlicht nicht zu ADHS gehören.
In der Regel waren es normale Alltagserfahrungen, welche die Macher:innen dem Krankheitsbild ADHS zuordneten.
Im zweiten Teil zeigten die Forschenden jeweils die fünf am besten und am schlechtesten bewerteten Clips einer Probandengruppe von 843 Teilnehmenden – darunter Personen, welche eine richtige ADHS-Diagnose haben, solche, die sich entweder eine Selbstdiagnose gestellt hatten oder eben keine haben. Videos mit guter Bewertung nahmen die Probanden dabei besser im Vergleich zu den schlecht bewerteten wahr.
Gefährlich sind die Videos insofern, als sie den Glauben an eine ADHS-Diagnose verfestigen können, ganz ohne professionelle Abklärung, wie Kathrin Karsay vom Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien gegenüber dem Science Media Center laut "Apotheken Umschau" erklärt.
Nun sind Social-Media-Plattformen Orte des Austauschs, die eben auch über Emotionalität funktionieren. Der Zugang ist niedrigschwellig, noch niedrigschwelliger als mit Expert:innen zu sprechen. Insofern ist naheliegend, als User:innen dort in bestimmten Situationen Antworten suchen. Schlicht, weil sie das Gefühl haben, etwas würde mit ihnen nicht stimmen.
Und eben weil es sich meist um Alltägliches handelt, ist es leicht, sich selbst in so manchen Clips, die diese pathologisieren, wiederzufinden. Zumal viele das Gefühl haben, stets funktionieren zu müssen. Ist das nicht der Fall, gilt es für sie als Normabweichung, die sie auf eine Erkrankung zurückführen.
Doch wie geht man damit um? Lösbar sei das Problem nur, wenn zum Beispiel medizinische Fachleute Accounts erstellen, also auf Social Media aktiver werden, so schreiben es die Forscher:innen in ihrer Studie. Denn am Ende ist Aufklärung das beste Heilmittel. Nebenher hilft womöglich die Einsicht, dass nicht die Abweichung, sondern die Norm selbst das Problem ist.