Laute Musik, plärrende Durchsagen und nervtötende Telefongespräche – das Leben birgt für neurodivergente Menschen jede Menge Potenzial für Reizüberflutung. So können bereits kleinere Alltagsbeschäftigungen beispielsweise für Menschen mit Autismus oder ADHS zu einer echten Herausforderung werden.
Um diesen Menschen einen stressfreieren Einkauf zu ermöglichen, haben viele Supermärkte schon länger eine stille Stunde eingeführt. Dann werden sogenannte sensorische Barrieren abgebaut, also etwa Geräuschkulissen reduziert oder das Licht gedimmt.
In der Stadt Pinneberg in Schleswig-Holstein wird die Initiative nun auf den Freizeitbereich ausgeweitet. Das örtliche Schwimmbad führt eine stille Stunde ein.
Die Bäder Pinneberg wollen künftig einmal im Monat eine stille Stunde anbieten. Dann werden mögliche Quellen für eine Reizüberflutung reduziert. Das fängt bereits beim Ticketkauf an, der möglichst stillschweigend vollzogen werden soll, außerdem verzichtet die Kasse auf das typische Piepen.
Auch in der Schwimmhalle sind dann Unterhaltungen nur im Flüsterton erlaubt, Durchsagen gibt es keine. Das Licht wird gedimmt, während der Zeit findet kein Sportschwimmen statt, der Sprungturm ist gesperrt. Außerdem ist die Anzahl der Gäste auf 60 begrenzt.
Die stille Stunde, die Anfang März erstmals stattfand, wurde auf Initiative von Schwimmlehrerin Stefanie Hamer eingeführt. Hamer weiß aus eigener Erfahrung, wie anstrengend ein Schwimmbadbesuch für neurodivergente Menschen sein kann. Sie hat selbst Autismus und ADHS.
"Der normale Badebetrieb ist für viele neurodivergente Menschen unvorhersehbar", erklärt die Schwimmlehrerin im NDR. "Das sind unkontrollierte Geräusche, viel Gekreische, die Halle ist sehr hoch. Es ist sehr laut, es ist sehr hellhörig. Die Geräusche werden sehr verstärkt, und das ist das Problem", sagt Hamer weiter.
Ob ein Sprung ins Wasser, die Duschen oder einfache Unterhaltungen – für sie seien "alle Geräusche ungefiltert gleich stark". Die Folge: "Man ist dann einfach erschöpft, man ist sozial erschöpft, man ist von den ganzen Eindrücken erschöpft. Und das Fass läuft dann einfach über", berichtet Hamer.
Die Inspiration für die "stille Stunde" hat Hamer aus dessen Entstehungsland Neuseeland. "Die Idee dahinter ist, diesen Menschen die Möglichkeit zu bieten, solche Sachen wie einen Schwimmbadbesuch zu erleben", erklärt die Schwimmlehrerin. So sei es ist nicht so anstrengend und so fordernd, die Menschen könnten sich wirklich auf das konzentrieren, woran sie Spaß haben: "Ins Wasser zu kommen."