Watson: Du bist jung, weiblich und Führungskraft bei Microsoft. Mit welchen Vorurteilen hast du zu kämpfen?
Annahita Esmailzadeh: Bei mir zeigt sich das Phänomen der Intersektionalität, welches Vorurteile verstärken kann: Also, dass unterschiedliche Aspekte wie das weibliche Geschlecht, sichtbarer Migrationshintergrund und junges Alter zusammenkommen, die auf den ersten Blick alle nicht wirklich zu einer Führungsposition in der Tech-Branche passen. Viele sind erst einmal verwundert, wenn sie hören, was ich mache, weil sie auf den ersten Blick was anderes erwarten würden.
Was erwarten die Leute denn?
Die meisten gehen davon aus, dass ich in der Fashionbranche oder im Marketing arbeite. Direkt nach dem Studium, bei meinen ersten beruflichen Stationen, sind die Menschen automatisch davon ausgegangen, dass ich den Kaffee bringe oder Protokoll führe. In den letzten Jahren ist das weniger geworden, was vermutlich auch mit meiner steigenden Bekanntheit und meinem höheren Alter zusammenhängt.
Aber?
Vor einem guten Jahr ist es mir mal passiert, dass eine Person schnurstracks auf meinen Mitarbeiter zuging und ihm die Hand gab, weil sie angenommen hat, dass er mein Chef ist. Mein Mitarbeiter hat das sehr charmant gelöst. Und trotzdem sind das Situationen, die mir nicht begegnen würden, wenn ich mittelalt, weiß und männlich wäre.
Wie reagierst du in solchen Fällen?
Direkt nach dem Studium habe ich versucht, mich anzupassen: Ich habe keine bunten Farben mehr getragen und sogar weniger gelacht, um einen seriöseren Eindruck zu erwecken. Aber irgendwann ist mir klar geworden, dass selbst, wenn ich mich verstelle und anders kleide, immer noch eine junge Frau mit Migrationshintergrund bleibe.
Und dann?
Ich habe beschlossen, mit Leistung und Kompetenz zu glänzen. Gleichzeitig achte ich darauf, mich in einem Arbeitsumfeld zu bewegen, in dem ich authentisch sein kann. Und sollte ich, obwohl ich einen tollen Job mache, nicht ernst genommen werden, befinde ich mich offensichtlich nicht im richtigen Umfeld und sollte Konsequenzen ziehen.
Hast du Tipps, wenn Frauen nicht so schlagfertig sind wie du?
In den ersten Jahren meiner Karriere war auch ich viel unsicherer! Inzwischen bin ich seit über zehn Jahren in der Tech-Branche und weiß, was ich kann und was nicht – das gibt einem Selbstbewusstsein. Wozu ich außerdem raten kann: Es ist super wichtig, sich mit Menschen zu vernetzen, die Rückhalt und Feedback geben – die zu Sparring-Partnern werden.
Welche Eigenschaften haben dir geholfen, Chefin zu werden?
Ich bin ein typisches Stehaufmännchen. Ein ehemaliger Chef von mir hat immer gesagt, ich sei wie ein Terrier. Wenn ich etwas will, lasse ich nicht locker. Ich glaube, dass das auch an meiner sozialen Herkunft liegt.
Wieso?
Ich war beruflich von Anfang an auf mich allein gestellt. Ich hatte kein Kapital, kein Netzwerk und auch keine Beratung am Abendtisch vom Elternhaus. Ich wusste von Anfang an: Wenn ich falle, fängt mich keiner finanziell auf und ich werde definitiv nicht weich fallen. Das war zwar nicht immer einfach, aber hat mich resilient gemacht und mir Selbstbewusstsein verliehen, weil ich weiß, dass alles, was ich mir erarbeitet habe, mein eigener Verdienst war.
In deinem Buch "Von Quotenfrauen und alten weißen Männern" geht es um Stereotype wie etwa die Rabenmutter. Steigen Mütter deswegen eher auf Teilzeit um?
Das Paradoxe ist ja, dass es Frauen gesellschaftlich nicht möglich ist, bezüglich der Familienfrage überhaupt in einer schmeichelhaften Schublade zu landen. Entweder werden sie kritisch beäugt, weil sie nicht Mütter werden wollen. Oder sie werden Mütter, aber wollen ihre Karriere nicht aufgeben – dann werden sie als Rabenmütter abgestempelt. Oder sie reduzieren ihre Arbeitszeit und werden als Mütter abgestempelt, die keine Karriere machen wollen – und aufs berufliche Abstellgleis gestellt.
Was können Frauen dagegen tun?
Ich glaube, wir müssen vor allem akzeptieren, dass wir es sowieso niemandem recht machen können – und unser Ding durchziehen.
Dass Frauen seltener in Führungspositionen landen, hat auch auch damit zu tun, dass Menschen am liebsten diejenigen befördern, die ihnen ähnlich sind: Männer fördern also eher Männer. Ist das ein Teufelskreis, den wir ohne "Quotenfrauen" nicht durchbrechen können?
Ja. Wir haben den natürlichen Hang dazu, uns mit Menschen zu umgeben, die uns ähnlich sind, was nicht selten dazu führt, dass Führungskräfte Mini-Me's einstellen – also kleine Klone von sich selbst. Das spiegelt sich in der deutschen Wirtschaft wider: Je weiter man nach oben blickt, umso homogener, akademischer, weißer und männlicher wird das Bild. Und umso schwieriger wird es für Menschen, die nicht dieser Norm entsprechen, bis an die Spitze zu kommen.
Es trifft also nicht nur Frauen?
Auch die soziale Herkunft spielt eine große Rolle. Menschen, die nicht aus privilegierten Elternhäusern stammen, kennen oft die unsichtbaren Codes nicht, die auf elitären Abendveranstaltungen gelten. Beim Smalltalk übers Golfen oder Ferienhäuser an der Côte d’Azur können sie nicht mitreden, was in ihrem Gegenüber das Gefühl auslösen kann, dass die Person anders ist als sie selbst und ihnen damit automatisch weniger sympathisch ist.
Der Begriff Quotenfrau hat einen negativen Beigeschmack. Ist das ein Problem?
Ich muss sagen, dass ich lange keine Befürworterin der Quote war. Ich war der Meinung, dass wenn sich Frauen genügend Mühe geben, sie es aufgrund ihrer Leistung nach oben schaffen. Inzwischen habe ich verstanden, dass die Quote qualifizierten Frauen dabei hilft, dass ihnen nicht aufgrund von traditionellen Strukturen und männlich dominierten Buddy-Netzwerken Türen verschlossen bleiben. Die Frauenquote allein wird aber nicht ausreichen, um Gleichberechtigung herzustellen – wir müssen unsere Denkmuster ändern.
Wie schaffen wir das?
Da gibt es verschiedene Hebel. Einer der wichtigsten, über den viel zu selten gesprochen wird, sind Männer. Aus Studien geht klar hervor, dass die Länge der Elternzeit von Vätern eine wesentliche Rolle dabei spielt, ob Mütter es erfolgreich zurück in den Beruf schaffen und die Lohnlücke zwischen den Elternteilen nicht noch größer wird. Wir müssen dafür sorgen, dass es für Väter attraktiver wird, einen gleichberechtigten Teil der Care-Arbeit zu übernehmen.
Klar, nur kommt da schnell das strukturelle Problem auf, dass Männer meist mehr verdienen als Frauen – es also klüger ist, wenn der Mann weiterarbeitet ...
Absolut. Und das hat mit diversen Faktoren zu tun – weil Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten, eher Jobs in Branchen übernehmen, die schlechter bezahlt sind und sie nicht so häufig Führungspositionen besetzen. Aber selbst, wenn man diese Faktoren herausrechnet, verdienen Frauen bei exakt gleicher Qualifikation sieben Prozent weniger. Da sehe ich die Arbeitgeber und Unternehmen in der Pflicht, nachzubessern.
Nun ist aus Studien bekannt, dass vor allem besonders qualifizierte Frauen oft unter dem Impostersyndrom leiden, also glauben, nicht gut genug zu sein.
Ich denke, dass sehr viele erfolgreiche Menschen dieses Hochstapler-Syndrom haben, weil es dafür sorgt, dass sie sich besonders viel Mühe geben, damit niemand merkt, dass sie vermeintlich Hochstapler sind.
Was kann man dagegen tun?
Ich kann nur empfehlen, dass man sich in- und außerhalb des Unternehmens ein gutes Netzwerk aufbaut. Und, ganz wichtig: Man muss sich immer vor Augen führen, dass wir alle nur mit Wasser kochen. Jeder von uns hat Defizite, jeder hat mal in seinem Job angefangen und war nicht von Anfang an super kompetent. Es gibt nur Leute, die diese Schwächen besser überspielen können.