Leben
Interview

Maike Schöfer über ihre Arbeit als queere Pfarrerin, Feminismus und Gott

maike schöfer pfarrerin berlin queer feministisch feminismus kirche christlich christentum
Feminismus und Kirche schließen sich für Maike Schöfer nicht aus.Bild: Bahar Kaygusuz
Interview

Pfarrerin Maike Schöfer über queere Gottesdienste und Sexismus in der Kirche

Als Hotspot für Feminist:innen und queere Menschen sind die meisten Kirchen in Deutschland nicht bekannt. Auch Maike Schöfer hatte anfangs Zweifel, ob sie in das eher konservative Umfeld passt. Im Gespräch mit watson verrät sie, mit welchen Klischees sie bricht, wie sie von ihrer Gemeinde aufgenommen wurde und warum sie hinter Gott immer einen Stern setzt.
11.10.2025, 14:2411.10.2025, 14:24

Watson: Maike, als Kind habe ich mir Gott immer als alten, bärtigen Mann in weißem Gewand vorgestellt. War das bei dir auch so?

Maike Schöfer: Ja, auf jeden Fall. Da hatte ich wahrscheinlich den gleichen Einfluss wie du. In der Kirche, im Fernsehen oder Literatur wird Gott ja größtenteils als männlich dargestellt, als ein Beobachter, der oben im Himmel auf einer Wolke sitzt. Selbst wenn ich heute Kinder im Religionsunterricht frage, beschreiben sie Gott meistens als Mann in einem weißen Gewand, mit langem Bart und Haaren.

Und wann hat sich das für dich geändert?

Erst im Studium. Ich bin nicht so kirchlich aufgewachsen, wie man es vielleicht bei einer Pfarrerin vermuten würde. Meine Eltern haben mich zwar taufen lassen und ich bin auch konfirmiert, aber wir hatten zum Beispiel nie eine Bibel zu Hause. Für das Religionspädagogik-Studium habe ich mich dann auch deshalb entschieden, weil es keinen NC gab. Ich bin erst nach ein paar Semestern auf feministische Theologinnen gestoßen, die versuchen, das patriarchale Gottesbild zu dekonstruieren.

Setzt du deswegen heute hinter Gott immer einen Genderstern?

Das ist für mich eine Mischung zwischen Genderstern und Erweiterung. Der Genderstern steht ja dafür, dass sowohl Männer als auch Frauen und andere Geschlechter mitgemeint sind. Aber wir finden in der Bibel auch übergeschlechtliche Facetten Gottes.

Was meinst du damit?

Gott wird einerseits männlich beschrieben, zum Beispiel als Herr, Herrscher oder Vater. Andererseits gibt es weibliche Zuschreibungen, etwa als Mutter, Henne oder Bäckerin. Aber auf einer dritten Ebene wird Gott auch beschrieben als Liebe, Licht oder Windhauch und das geht über eine geschlechtliche und personifizierte Darstellung hinaus.

War das in deinem Studium Teil des Lehrplans?

Nein, wir hatten keinen Schwerpunkt auf feministische Theologie. Dementsprechend waren geschlechtergerechte Gottesbeschreibungen auch kein großes Thema. Aber ich habe mich dann aus eigenem Antrieb damit beschäftigt.

War dir denn direkt klar, dass du Pfarrerin werden willst?

Gott, aber auch das Studium haben mich so gecatched, dass in mir schon zu Beginn der Wunsch reifte, Pfarrerin zu werden. Aber ich habe mich nicht getraut. Mir fehlten Vorbilder und auch der Mut, diesen Schritt zu gehen. Zudem war mein Umfeld eher atheistisch geprägt und hat mir deshalb geraten, lieber Religionslehrerin zu werden. Und das wurde ich dann auch erst einmal.

Kamen die Zweifel auch daher, dass du nicht dem typischen Bild eines Pfarrers entsprichst?

Ja, mir haben schon die weiblichen Vorbilder gefehlt. Also die Pfarrer, die ich kannte, haben auf mich intelligent und fromm gewirkt, aber eben auch alt und männlich, lebensfern, langweilig und konservativ. Darin habe ich mich nicht wiedergefunden. Ich komme aus einer Arbeiter:innenfamilie, gehe auf Techno-Partys, ich liebe es, Klamotten shoppen zu gehen, ich interessiere mich für Popkultur und gucke gerne Trash-TV. Deswegen dachte ich immer, so eine wie ich kann doch nicht Pfarrerin werden.

Als Religionslehrerin hast du aber andere Pfarrerinnen kennengelernt.

Ja, dadurch habe ich gemerkt, dass es eben auch Pfarrerinnen in meinem Alter gibt, mit ähnlichen Interessen und Hintergrund. Das klingt jetzt vielleicht sehr fromm, aber den Wunsch, mein Leben Gott zu geben und Pfarrerin zu werden, hatte ich schon länger. Die Frauen haben mich darin bestärkt und gesagt: Mach’s doch einfach. Und am Ende hat es geklappt.

maike schöfer pfarrerin berlin queer feministisch feminismus kirche christlich christentum
Maike arbeitet als Pfarrerin in der Evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Adlershof.Bild: Bahar Kaygusuz

Nun bist du seit mehr als zwei Jahren Pfarrerin in einer Berliner Gemeinde. Wie bist du dort aufgenommen worden?

Ich bin tatsächlich mit offenen Armen empfangen worden, weil mich die Gemeinde schon über meine Arbeit im Internet kannte. Es gab zwar einige, die nach meiner Ankunft lieber die Gottesdienste in Nachbargemeinden aufgesucht oder mir klipp und klar gesagt haben, dass sie es nicht gut finden, dass ich feministische und queere Themen anspreche. Aber die meisten haben sich gefreut.

Wie läuft denn so ein Gottesdienst bei dir ab?

Ich biete unterschiedliche Gottesdienste an. Einmal im Monat gibt es einen klassischen Gottesdienst mit Abendmahl, aber man kann auch den Familiengottesdienst besuchen. Da laufen wir dann durch einen Glitzervorhang in die Kirche, sitzen auf Kissen im Altarraum, spielen Klavier und Gitarre, hören Geschichten und werden zusammen kreativ. Und wir feiern auch Gottesdienste mit feministischen Schwerpunkten oder bieten queere Andachten an: mit flammenden Predigten, Lady Gaga auf der Orgel oder Drag-Performance.

"Aktuell ist Kirche noch kein Safer Space für queere Menschen."

Hängst du dafür auch die Regenbogenflagge auf?

Die Regenbogenflagge hängt durchgehend in meiner Kirche, also bei jedem Gottesdienst, bei jeder Taufe oder Trauung. Die wird nicht abgenommen.

Aber kann Kirche denn wirklich ein Safer Space für queere Menschen sein?

Ich sag’s mal so: Kirche hat alles, um ein Safer Space zu werden. Es gibt da Bewegungen, Initiativen und einzelne Personen, die sehr engagiert sind für die queere Community. Meine Kirche, die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), beteiligt sich zum Beispiel jedes Jahr am Berliner CSD und richtet am Vorabend des Demo-Zugs einen großen Gottesdienst aus. Da bewegt sich auf jeden Fall etwas, aber aktuell ist Kirche noch kein Safer Space für queere Menschen.

Dabei scheint die Unterstützung für die LGBTQIA+-Community in unserer Gesellschaft gerade ohnehin abzunehmen.

Ja, ich finde, gerade dieses Jahr hat man sehr viel weniger Pride-Fahnen in der Öffentlichkeit gesehen, als es die Jahre davor der Fall war. Aber deswegen habe ich die Hoffnung, dass die evangelische Kirche bei diesem Aufbruch zu einer queerfreundlichen Institution standhaft bleibt und nicht einknickt.

"Wenn Traditionen menschenfeindlich, abwertend oder ausschließend sind, dann müssen sie nicht weitergeführt werden."

Auf deinem Instagram-Kanal geht es auch um Feminismus in der Kirche. Viele sehen darin einen Widerspruch. Warum du nicht?

Wenn ich das Wort Gottes und die Botschaften Jesu ernst nehme, kann ich nichts anderes als feministisch sein. Der Anspruch von Gerechtigkeit und Frieden, der sich in der Bibel wiederfindet, beinhaltet natürlich auch die Geschlechtergerechtigkeit. Und jemand, der eine Abstufung zwischen Mann und Frau rechtfertigt, der nimmt aus meiner Sicht die Gottesebenbildlichkeit eines jeden Menschen nicht ernst. Gleichzeitig ist es ein bewusstes Machtinstrument von konservativen und fundamentalistischen Christen, Frauen kleinzuhalten.

Wie groß ist denn das Sexismusproblem in deiner Kirche noch?

In meiner Kirche, also der EKBO, liegt das Geschlechterverhältnis der Pfarrpersonen bei 50:50. Das ist super, aber auf der mittleren Leitungsebene sind immer noch die Männer in der Überzahl. Darüber hinaus erlebe ich, wie viele Frauen in der Kirche, Sexismus, Antifeminismus und Geschlechterungerechtigkeiten, aber auch immer noch klassische Rollen- und Geschlechterverhältnisse.

Wie sehr überwältigt dich das manchmal, immer wieder gegen diese alten Strukturen ankämpfen zu müssen?

Es ist nicht immer leicht, aber gleichzeitig weiß ich, dass sich die Kirche immer wieder verändert. Meine Kirche ist immerhin aus einer Veränderung entstanden – Stichwort Reformation. Es ist wichtig, an manchen Traditionen festzuhalten, aber wenn Traditionen menschenfeindlich, abwertend oder ausschließend sind, dann müssen sie nicht weitergeführt werden. Dann ist eine Veränderung angebracht.

Herbstferien: Deutsche wollen am liebsten in Deutschland Urlaub machen – wo noch?
Ob Städtereise, Strandurlaub oder Kurztrip ans Meer: Die Deutschen zieht es in den Herbstferien wieder auf Reisen. Sonnige Destinationen und einstige Geheimtipps gewinnen deutlich an Beliebtheit.
Die Herbstferien stehen vor der Tür – und mit ihnen die altbekannte Frage: Soll es noch einmal in die Sonne gehen oder sind ein paar erholsame Tage zu Hause ausreichend?
Zur Story