Egal ob bei der Tafel, im Tierheim, bei der Freiwilligen Feuerwehr oder als Nachhilfelehrer:in – in Deutschland gibt es sehr viele Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Rund 29 Millionen sollen es sein. Das sagt zumindest der Freiwilligensurvey, eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Bundesfamilienministeriums.
Doch obwohl sich so viele Menschen freiwillig in ihrer Freizeit fürs Gemeinwohl engagieren, mangelt es mitunter an Anerkennung. Dem will der Deutsche Engagementpreis etwas entgegensetzen. Er wird am 9. Dezember 2024 in Berlin verliehen und soll die Vielfalt freiwilligen Engagements in Deutschland sichtbar machen.
Anna-Nicole Heinrich saß dieses Jahr in der Jury und übt selbst ein Ehrenamt aus. Sie ist Präses der Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD). Mit watson hat sie darüber gesprochen, wie zeitintensiv ihr Engagement ist, was junge Menschen oft davon abhält, sich ehrenamtlich zu engagieren und warum sie von einem Sozialen Pflichtjahr nur wenig hält.
Watson: Du bist schon seit Jahren ehrenamtlich aktiv. Erinnerst du dich noch an dein erstes Ehrenamt?
Anna-Nicole Heinrich: Das war bei der Wasserwacht, nachdem ich Schwimmen gelernt habe. Da durfte ich mit den anderen Kindern vor dem Schwimmtraining den Erwachsenen bei der Badeaufsicht helfen. Damals habe ich natürlich noch nicht viel Verantwortung getragen, aber so konnte ich mit acht oder neun Jahren das erste Mal sehen, wie Menschen freiwillig eine super wichtige Aufgabe übernehmen, damit viele andere Leute sicher baden können. Bis Ende meines Bachelorstudiums habe ich dann immer wieder ehrenamtlich die Badeaufsicht übernommen.
Heute bist du Präses der EKD-Synode. Welche Aufgaben übernimmst du in diesem Ehrenamt?
Die EKD-Synode ist quasi das Parlament der Evangelischen Kirche in Deutschland und meine Hauptaufgabe als Präses ist der Vorsitz. Dazu gehören klassische Aufgaben wie Sitzungsleitungen, Ausschüsse, Vorträge und Reden. Ich reise aber auch viel durch Deutschland, um mit vielen verschiedenen Menschen ins Gespräch zu kommen. Dieses Jahr war ich beispielsweise in Brandenburg, Thüringen und Sachsen unterwegs.
Es ist eher ungewöhnlich, dass sich eine junge Person so stark in der Kirche engagiert. Wie hast du Zugang gefunden?
Meine Eltern kommen aus Thüringen und hatten mit Kirche nichts am Hut, darum wurde ich als Kind auch nicht getauft. Kurz vor meiner Geburt sind sie aber nach Bayern gezogen. In der Grundschule musste ich mich dann zwischen katholischem und evangelischem Reli-Unterricht entscheiden. Und ich erinnere mich noch, wie ich diesen Raum betreten habe und alle evangelischen Kinder auf einem Spieleteppich im Kreis auf dem Boden saßen und Unterricht gemacht haben. Und da war für mich als 6-Jährige klar: Evangelischsein muss eines der coolsten Sache der Welt sein.
Junge Menschen werden gerne mal als faul dargestellt. Teilst du diese Ansicht?
Ganz und gar nicht. Es gibt super viele junge Menschen in unserem Land, die sich engagieren. Ich kenne sogar richtig viele junge Leute, die sich engagieren wollen, aber dazu nicht die Möglichkeiten haben, weil sie zum Beispiel neben ihrem Vollzeit-Studium zwei Nebenjobs haben, um über die Runden zu kommen.
Aus der älteren Generation gibt es Forderungen nach einem sozialen Pflichtjahr. Würde das helfen, mehr junge Menschen für Ehrenämter zu gewinnen?
Ehrenämter oder so etwas wie das Freiwillige Soziale oder Ökologische Jahr muss man sich leisten können. Das, was man da oder in Nebenjobs an Geld bekommt, reicht oft nicht für den Lebensunterhalt aus. Für mein Ehrenamt arbeite ich jede Woche 30 bis 40 Stunden. Hätte ich nicht so einen tollen Teilzeitjob, mit dem ich über die Runden komme, könnte ich das nicht machen. Ich glaube, wir müssen es jungen Menschen einfacher machen, sich gesellschaftlich zu engagieren, um es nicht am Geldbeutel scheitern zu lassen.
Wäre ein Pflichtjahr am Ende vielleicht sogar kontraproduktiv?
Man merkt doch ziemlich schnell den Unterschied zwischen einem Menschen, der sich engagiert, weil er Bock drauf hat, und einem, der es macht, weil er es machen muss. Da bleibt ganz viel Motivation auf der Strecke.
Auch Zeit ist eine knappe Ressource. Wie schaffst du es, dein Ehrenamt in den Alltag zu integrieren?
Ich habe ein super-privilegiertes Ehrenamt. Mir nimmt nämlich ein Team an Hauptamtlichen viel zeitfressende Organisationsarbeit ab. Dadurch habe ich einen sehr gepflegten Kalender und am Ende hilft es natürlich, dass ich nur in Teilzeit arbeite.
So eine Unterstützung haben natürlich nicht alle Ehrenamtler:innen. Wie vermeide ich, dass ein Ehrenamt zu Stress führt?
Eine Frage, die man sich stellen muss, ist auf jeden Fall: Will ich etwas regelmäßig machen? Oder will man eher an einem befristeten Projekt mitarbeiten? Letzteres ist vielleicht für diejenigen praktisch, die noch nie ein Ehrenamt innehatten. Im Idealfall kann man sich nach Projektende weiter engagieren. Und wenn nicht, kann man guten Gewissens sagen: "Ich hab es probiert, aber es war nicht mein Ding."
Warum lohnt es sich aus deiner Sicht, diese finanziellen und zeitlichen Hürden zu nehmen, um ein Ehrenamt auszuüben?
Ich denke, es ist wichtig zu sagen, ein Ehrenamt ist ein ehrenvolles Amt, mit dem man Gutes tun kann. Aber du kannst dir auch selbst etwas Gutes tun. Klar, es ist schön zu sehen, dass man als junger Mensch einen Unterschied machen kann. Aber man kann aus einem Ehrenamt zum Beispiel eine Rhetorik-Schulung mitnehmen, die vielleicht Teil des Projekts ist und später ein Vorteil im Studium sein kann. Oder man organisiert ehrenamtlich eine Freizeit und lernt dadurch Mini-Haushalte aufzustellen, was später ein Pluspunkt im Job ist.
Du warst dieses Jahr Jury-Mitglied beim Deutschen Engagementpreis. Wer gewinnt den?
Die Projekte, die für den Deutschen Engagementpreis nominiert werden, haben alle schon einen Preis auf regionaler Ebene gewonnen. Wir verleihen sozusagen einen Dachpreis. Insgesamt gibt es neben dem Publikumspreis fünf Kategorien: Leben bewahren, Chancen schaffen, Grenzen überwinden, Demokratie stärken und Zusammenhalt leben. Die Preise dafür sind mit 10.000 Euro dotiert.
Du warst zuständig für die Kategorie "Zusammenhalt leben". Was ist dir da wichtig?
Einmal schauen wir natürlich auf das Engagement, also durch wie viel Freiwilligkeit zeichnet sich das Projekt aus und wie begeisterungsfähig ist es vielleicht auch für die jüngeren Generationen. Es geht aber auch um gesellschaftliche Relevanz, Wirksamkeit und Beständigkeit. Am Ende können diese Projekte auch Vorbild für andere Menschen sein, die ein ähnliches Projekt an ihrem Ort starten wollen.
Warum braucht es aus deiner Sicht denn den Preis? Gibt es in unserer Gesellschaft nicht genug Wertschätzung für Ehrenämter?
Die Projekte, die nominiert sind, erfahren ja schon Wertschätzung, weil sie bereits ausgezeichnet worden sind. Aber natürlich kann man, wenn es um ehrenamtliches Engagement geht, nicht genug Wertschätzung verteilen. Das Preisgeld ist dabei die eine Sache, aber die wichtigste Funktion des Deutschen Engagementpreises ist es, der breiten Öffentlichkeit zu zeigen, wie vielfältig ehrenamtliches Engagement in Deutschland ist.
Warum ist das so wichtig?
So kann man auch den Narrativen etwas entgegensetzen, die besagen, dass sich beispielsweise im ländlichen Brandenburg niemand mehr engagiert und alles den Bach runtergeht. Mit dem Preis können wir zeigen: Da gibt es dutzende oder sogar hunderte Projekte aus Regionen, die viele schon abgeschrieben haben. Der Preis sorgt also für weniger Schwarzmalerei und mehr Sichtbarkeit von ehrenamtlichem Engagement.