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Drag Race Germany: Moderator verrät, wie Drag Traumata heilen kann

Gianni Jovanovic moderiert das Finale von "Drag Race Germany" (21. November bei Paramount+).
Gianni Jovanovic moderiert das Finale von "Drag Race Germany" (21. November bei Paramount+).bild: carolin windel
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Drag Race Moderator Gianni Jovanovic: Drag ist "eine Kampfansage ans Patriarchat"

26.09.2023, 15:57
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Spätestens seit dem 5. September kennt Deutschland sein Gesicht: Gianni Jovanovic ist einer der Moderatoren von "Drag Race Germany", einem Franchise der gehypten Drag-Show "Ru Paul's Drag Race".

Jovanovic ist aber nicht nur ein Fernsehmoderator und Buchautor ("Ich, ein Kind der Kleinen Mehrheit"), er hat auch eine bewegte persönliche Geschichte: Da er der Gruppe der diskriminierten Sinti und Roma angehört, durfte er nur auf die Sonderschule gehen und wurde bereits mit 14 Jahren verheiratet. Mit Mitte zwanzig bekannte sich der 45-Jährige zu seiner Homosexualität. Als Aktivist kämpft er auch gegen die Diskriminierung der Sinti und Roma.

Wer sind Sinti und Roma?
Sinti*zze und Rom*nja sind seit dem Ende des 14. Jahrhunderts in Europa beheimatet und in Deutschland als nationale Minderheit anerkannt. Sinti bezeichnet die Menschen aus Mitteleuropa und Roma jene ost- bzw. süd-osteuropäischer Herkunft.

Im Interview mit watson erzählt Gianni Jovanovic, weshalb er Versace liebt, warum seine Kinderehe nicht die Schuld seiner Eltern ist und wie Drag Traumata heilen kann.

"Mehrfach diskriminiert, aber sexy" ist das Motto von Gianni Jovanovic.
"Mehrfach diskriminiert, aber sexy" ist das Motto von Gianni Jovanovic. bild: Carolin Windel

Watson: Gianni ist ein Name italienischer Herkunft. Waren deine Eltern Italien-Fans?

Gianni Jovanovic: Ja. Meine Eltern haben zu dem Zeitpunkt, als meine Mutter mit mir schwanger war, schon in Italien gewohnt. Man hat mich Gianni genannt, weil mein Vater ein sehr großer Fan des Designers Gianni Versace ist.

"Die Schule war mein Laufsteg, ich hatte jeden Tag ein anderes Outfit an."

Damit wurde dein Interesse für Mode schon in die Wiege gelegt. Ist Versace dein modisches Vorbild?

Ja, schon. Ich bin sehr von meiner Familie geprägt. Mein Vater hat tatsächlich noch diese ganz alten, originalen Gianni-Versace-Hemden zu Hause, wo noch dessen Name drin steht. Die traue ich mich nicht anzuziehen, weil ich Angst habe, dass sie mir am Leib zerfallen. Ich würde schon sagen, dass mich das sehr inspiriert hat, gerade dieses Prunkvolle. Versace ist sehr pompös, sehr übertrieben, aber trotzdem edel. Meine Mode-Vorbilder sind aber eigentlich keine Personen, sondern eher Epochen. Ich bin ein Kind der 90er, bei uns war das Zeug aus den Siebzigern sehr "in". Ich mag aber auch die Rokoko-Zeit sehr, ich mag diese großen, puffigen Ärmel. Ich mag weite und fließende Stoffe und viele Farben. Ich lasse mich einfach davon inspirieren, was mir gut steht und wo ich das Gefühl habe, das sieht geil oder anders aus.

Hast du dich als Kind schon extravaganter angezogen?

Aber hallo! Ich habe mit vier Jahren Kleider angehabt, meine Großmutter hatte Rüschenkleider für mich genäht. Andere haben bis zu meinem zwölften Lebensjahr gedacht, ich wäre ein Mädchen, weil ich so feminin war. Ich war ein bisschen pummelig, hatte lange Haare und einen speckigen Brust-Ansatz. Ich habe aber auch gern damit gespielt, dass ich aussehe wie ein Mädchen, so ist es nicht. Ich war schon als Kind sehr modebewusst. Die Schule war mein Laufsteg, ich hatte jeden Tag ein anderes Outfit an.

Wie war deine Reaktion, als dir die Moderation von Drag Race Germany angeboten wurde?

Eigentlich war mein Plan und Traum, dass ich in die Jury komme. Ich hätte nicht erwartet, dass ich sogar Moderator werde. Ich bin sehr an der Aufgabe gewachsen. In der Sendung sieht man vielleicht die anfängliche Nervosität. Ich musste erst einmal herausfinden: Wer bin ich, wie muss ich reden? Muss ich straighter sein? All diese Sachen gingen mir tatsächlich durch den Kopf, obwohl ich in einem queeren Space war. Aber ich denke, dass man im Laufe der Folgen auch sieht, wie Barbie und ich immer selbstsicherer und routinierter wurden.

Was bedeutet es für queere Menschen, dass es einen Ableger von Ru Paul's Drag Race jetzt auch in Deutschland gibt?

Ich denke, die Sendung ist sehr wichtig, gerade in dieser Zeit, wo wir einen Rechtsruck erleben, der marginalisierte Gruppen gefährdet. Ich denke schon, dass wir auch politisch in der Sendung waren, aber niedrigschwellig. Barbie und ich sind ja auch als Aktivist*innen bekannt. Wir haben aber trotzdem viel Quatsch gemacht und viel gelacht. Die Challenges und die Queens sind einfach großartig. Aber man merkt schon, dass diese Menschen viele Struggles und Traumata haben und Drag nutzen, um zu heilen. Diese Kunstform hat etwas Therapeutisches. Unsere Staffel ist sehr emotional. Aber es gibt auch ganz viel Mode, Make-up und Lip-Sync, das ist ähnlich der amerikanischen Version. Wir hatten manchmal sehr anstrengende Drehtage, aber am Ende wurde im gesamten Team immer zusammen geheult oder gelacht oder alles zusammen. Das war schon ein sehr familiärer Haufen.

Du hast gesagt, auch für dich war Drag eine Trauma-Bewältigung. Inwiefern?

Als männlich gelesene Person wird man sehr stark mit Attributen der Männlichkeit und Straightness konfrontiert. Für mich war Drag einfach die Möglichkeit, damit zu brechen. Das alles auseinander zu nehmen und zu sagen, dass meine Männlichkeit genauso stark sein kann wie meine feminine Seite. Deshalb war es für mich ein Durchbrechen von Geschlechterrollen und -attributen. Und es war vor allem eine Kampfansage ans Patriarchat. Das war ein schwieriger Weg für mich, weil ich selbst ein Mann bin und vom Patriarchat profitiere. Trotzdem merke ich, dass es mich als schwuler, nicht-weißer Mann auch sehr stark diskriminiert und fremdbestimmt.

"In der Mehrheitsgesellschaft werden Sinti und Roma geächtet."

Du wurdest aber schon mit 14 Jahren mit einer Frau verheiratet. Warum?

Weil das in unserer Familie eine Überlebensstrategie war, die dadurch bedingt ist, dass Roma seit Jahrhunderten und bis in die heutige Zeit verfolgt wurden. Im Nationalsozialismus sind sehr viele Familienangehörige in Konzentrationslagern wie Auschwitz und Dachau vernichtet worden. Die Verfolgung von Sinti und Roma in Europa hat Tradition. Und in meiner Familie hatten die Menschen keinen Zugang zu Ressourcen. Durch eine frühe Ehe, sozusagen eine Kinderehe, konnte man das Überleben der Familie sichern und ihre Zukunft gestalten. Meine Eltern wollten mich nicht zwingen oder quälen. Sie haben es einfach nicht anders gelernt und diese traurige Familientradition beibehalten, weil auch sie so viel Ausgrenzung und Diskriminierung erlebt haben. Sie haben weitergegeben, was auch ihnen schon widerfahren war. Ich finde deshalb die Frage interessant: Warum passiert das in Deutschland? Wie kann es sein, dass eine Familie in Deutschland in den 80er und 90er Jahren zu solchen Maßnahmen greifen muss?

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Hast du eine Antwort darauf gefunden?

Es ist ganz klar. In der Mehrheitsgesellschaft werden Sinti und Roma geächtet. Es gibt keinen solidarischen Schulterschluss mit unserer Community oder eine politische Lobby. Die Informationen, die wir aus den Medien, Büchern, in den Schulen lernen, sind falsch. Wenn man über uns berichtet, dann immer in einem negativen Kontext: mit Kleinkriminalität, mit Flucht, mit Armutseinwanderung, mit verkackten Häusern in Dortmund. Aber so jemand wie ich oder andere erfolgreiche Leute aus unserer Community, werden gar nicht gesehen.

Warum nicht?

Weil man es auch nicht will. Weil die Gesellschaft seit Jahrhunderten gerne eine Projektionsfläche hat, um nach unten zu treten und ihr Scheiße-Sein zu rechtfertigen. Das muss ich ganz ehrlich sagen. Du kannst rassistisches Verhalten nur rechtfertigen, indem du Gruppen konsequent entmenschlichst. Das war auch die Grundlage am Genozid an unserem Volk im Nationalsozialismus. Und das passiert ebenfalls hier und heute, nur anders. Es ist also die subtile zweite Verfolgung unserer Community, die bis heute anhält und die Gesellschaft weiß darüber nicht Bescheid. Das ist sehr tragisch. Dieses Verschweigen und Verleumden, dieses Unsichtbarmachen, das ist das große Problem. Ich glaube, wenn die Menschen Bescheid wüssten, würde auch ein Umdenkprozess anfangen. Aber sie sind gefüttert mit Fehlinformationen, Klischees und Vorurteilen über Roma.

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