
Clara Böhme hat erst mit Mitte 20 realisiert, dass sie asexuell ist.Bild: privat / clara böhme
Interview
Pünktlich zum Pride Month wird wieder viel über die LGBTIQA+-Community gesprochen. Ein Buchstabe, der dabei aber häufig unter den Tisch fällt, ist das A. Die meisten verbinden damit Asexualität, allerdings steckt noch mehr dahinter.
22.07.2025, 07:5822.07.2025, 07:58
Von allen Buchstaben, die in LGBTQIA+ vorkommen, dürfte das A mit am wenigsten bekannt sein. Und selbst wenn einige Menschen schon von Asexualität gehört haben, gibt es immer noch viele Klischees und Missverständnisse rund um diese sexuelle Orientierung.
Das weiß auch Clara Böhme. Sie ist seit mehreren Jahren Mitglied im Verein AktivistA, der sich für die Sichtbarmachung des asexuellen Spektrums einsetzt. Dafür stellt der Verein Info-Material auf seiner Website bereit und organisiert immer wieder Infostände, zum Beispiel bei CSDs in diversen Städten.
Im Interview mit watson erklärt Clara, was es bedeutet, asexuell zu sein, warum sie platonische Beziehungen für zu wenig wertgeschätzt hält und wie sie auf spicy Szenen bei "Bridgerton" reagiert.
Watson: Rund ums Thema Asexualität gibt es viele Klischees. Mit welchem würdest du gerne zuerst aufräumen?
Clara Böhme: Ein großes Missverständnis ist, dass asexuelle Menschen Sex kategorisch ablehnen, nie Sex hatten und auch nie welchen haben werden. Das wird teilweise mit einem Zölibat gleichgesetzt, als ob es eine bewusste Entscheidung wäre.
Aber das ist es nicht.
Nein, auch manche asexuellen Menschen haben Sex und führen romantische Beziehungen. Unter Asexualität versteht man einfach, dass die Person keine oder nur wenig sexuelle Anziehung gegenüber anderen Menschen verspürt. Dabei gibt es aber viele Abstufungen, zum Beispiel demi-sexuell. Das bedeutet, dass man erst dann eine sexuelle Anziehung verspürt, wenn man schon eine sehr enge Beziehung zu seiner Partnerperson aufgebaut hat.
Das würden manche gar nicht mit Asexualität in Verbindung bringen.
Das stimmt. Am Ende ist es eine Frage der persönlichen Wahrnehmung. Für manche fällt das gar nicht aus der Norm und deshalb würden sie sich selbst gar nicht als asexuell bezeichnen.

So sieht die Flagge der asexuellen Community aus.Bild: Willi Schewski / imago images
Ein weiterer Punkt, der häufig unter den Tisch fällt: Es gibt einen Unterschied zwischen asexuell und aromantisch.
Richtig, das A in LGBTQIA+ steht nicht nur für Asexualität, sondern auch Aromantik und Agender. Das sind alles Dinge, die in einer Person auftreten können, aber nicht müssen. Agender bedeutet, dass sich die Person keinem Geschlecht zugehörig fühlt. Und aromantisch beschreibt Menschen, die keine romantische Anziehung empfinden.
Für Menschen, die ihre Sexualität hinterfragen, ist das wahrscheinlich erst mal verwirrend. Wann hat es denn bei dir Klick gemacht?
Das hat bei mir etwas länger gedauert, weil ich anfangs gar nicht die Worte hatte, um zu beschreiben, was ich empfinde. Und zwischendurch habe ich mich auch zu anderen Menschen hingezogen gefühlt. Deswegen war ich zuerst verunsichert, aber irgendwann habe ich verstanden, dass diese Anziehung weder romantisch noch sexuell ist. Mit 24 Jahren wusste ich dann, dass ich asexuell bin und mit 28 habe ich festgestellt, dass ich auch aromantisch bin.
"Da muss man sich einfach darauf einstellen, regelmäßig Ted-Talks zu geben."
Wo hast du denn die Begriffe zum ersten Mal aufgeschnappt?
Das war noch auf Tumblr. Dort habe ich mit Anfang 20 einige englischsprachige Posts zu dem Thema gelesen und konnte mit Freund:innen darüber reden. Ein paar Jahre später bin ich dann auf AktivistA gestoßen und hatte dadurch auch auf Deutsch das Vokabular, um über meine sexuelle Orientierung zu sprechen. Das hat mir auch beim Coming Out bei meiner Familie geholfen.
Wie ist das gelaufen?
Ziemlich gut! Bei meinem Vater und meinem Bruder habe ich es einmal angesprochen und danach hatten die beiden nicht mehr viel Gesprächsbedarf. Bei meiner Mama war das anders, ihr sind ein paar Jahre lang jedes Mal neue Fragen eingefallen, wenn ich zu Besuch war. Das ist nicht ungewöhnlich beim Thema Asexualität. Da muss man sich einfach darauf einstellen, regelmäßig Ted-Talks zu geben.
Bist du – wie viele andere queere Menschen auch – gefragt worden, ob das vielleicht nur eine Phase ist?
Nein, aber ich kenne asexuelle Menschen, die das schon zu hören bekommen haben. Das ist als würde man einem schwulen Mann nach seinem Coming Out sagen, dass er die Richtige noch nicht gefunden hat. Damit spricht man seinem Gegenüber komplett ab, dass er oder sie sich dazu intensiv Gedanken gemacht hat. Ich meine, das ganze Internet ist voll mit irgendwelchen Horror-Reaktionen auf Coming Outs. Da gibt es kaum eine queere Person, die sich unüberlegt outet, wenn sie nicht dazu genötigt wird.
"Manche Freundschaften überdauern zig romantische Beziehungen und trotzdem haben sie weniger Gewicht."
Die Frage rührt wahrscheinlich auch daher, dass Ehe und Partnerschaft in unserer Gesellschaft weiterhin die Norm sind.
Ja, eindeutig. Es gibt eine US-amerikanische Wissenschaftlerin, die den Begriff Amatonormativität geprägt hat. Also dass romantische Paar-Beziehungen in unserer Gesellschaft immer noch als das Nonplusultra gelten, wonach alle Leute streben sollten. Das merke ich auch bei mir selbst.
Inwiefern?
Zum Beispiel, wenn ich zu einem Geburtstag oder einer Hochzeit eingeladen werde. Wäre ich in einer romantischen Beziehung, würde ich selbstverständlich davon ausgehen, dass meine Partnerperson auch eingeladen ist, oder ich hätte wenig Hemmungen zu fragen, ob ich sie mitbringen darf. Gleichzeitig fände ich es aber komisch zu fragen, ob ich meinen besten Freund oder meine beste Freundin als Begleitung mitbringen darf.
Werden platonische Beziehungen in unserer Gesellschaft zu wenig wertgeschätzt?
Ja, ich glaube schon. Ich habe eine Freundin von mir schon durch sehr viele Break-ups getröstet. Manche Freundschaften überdauern zig romantische Beziehungen und trotzdem haben sie weniger Gewicht – selbst wenn das Paar nur ein halbes Jahr zusammen ist.
Romantik und Sex begegnen uns im Alltag ständig. Wie gehst du damit um?
Das kommt darauf an, wie ich an dem Tag drauf bin, ob es mich unerwartet trifft und in welchem Ausmaß. Bei mir persönlich macht auch das Medium einen großen Unterschied: Wenn ich sexuelle Sachen lese, stört es mich weniger als wenn ich es explizit sehe. Manchmal überspringe ich die Szenen einfach. Neulich habe ich mal wieder "Bridgerton" geschaut und da habe ich die Sex-Szenen einfach stummgeschaltet, weil es mich so genervt hat.
Was nervt dich daran genau?
Davon fühle ich mich einfach nicht repräsentiert. Manchmal frage ich mich, warum es in Filmen und Serien immer eine Liebesbeziehung braucht. Man könnte doch auch ein vernünftiges Drehbuch über eine Mittdreißigerin schreiben, die happy durch ihr Leben geht, ohne dass sie ein Love Interest braucht.
Mittlerweile gibt es aber auch einige Serien, in denen asexuelle Figuren vorkommen.
Ja, in Sachen Repräsentation hat sich auf jeden Fall etwas getan. Gerade so eine Serie wie "Heartstopper" sorgt für deutlich mehr Sichtbarkeit. Dadurch kommen viele Menschen mit den Begriffen überhaupt erst mal in Kontakt und bekommen nebenbei ein realistisches Bild von Asexualität vermittelt.
Braucht es trotzdem noch mehr Aufklärung?
Absolut, gerade wenn es in Diversitätskampagnen oder Lehrplänen um die LGBTIQA+-Community geht, sollte Asexualität immer mitgedacht werden. Ich wünsche mir, dass Asexualität weiter normalisiert wird und irgendwann ganz selbstverständlich ist.
Bis es soweit ist: Was würdest du Personen raten, die sich unsicher sind, ob sie asexuell sind?
Heute haben die Leute den Vorteil, dass es viel mehr Infomaterial gibt als noch vor zwanzig Jahren. Da kann ich natürlich unsere Website empfehlen. Wer sich direkt mit asexuellen Menschen austauschen will, findet dort auch Links zu Online- und Offline-Treffen der Community. Und wer auf CSDs unterwegs ist, kann auch dort mit Menschen ins Gespräch kommen. Die Ace-Flagge sieht man immer häufiger.