956.300 Follower auf Tiktok, 156.785 auf Twitch – dass sie ihr Hobby erfolgreich zum Beruf gemacht hat, kann man über Gamerin Jen Nyan definitiv sagen. Die Deutsche lebt damit den Traum vieler.
Vor der diesjährigen Gaming- und Cosplay-Messe Polaris (13. - 15. Oktober in Hamburg), bei der sie auch auftritt, sprach watson mit der 28-Jährigen über ihren ersten Gameboy und Fans, die ihren Beziehungsstatus googeln.
watson: Wie erklärst du Fremden deinen Beruf? "Ich spiele Computer?"
Jen Nyan: Das ist immer die Herausforderung. Sagst du Streamer? Content Creator? Ich frage mich immer: Würde diese Person verstehen, was das ist? Meine Antwort ist abhängig davon, wie ich die Person einschätze. Meist nehme ich den gängigsten Begriff: Influencer.
Denken da nicht alle: "Den ganzen Tag zocken und damit Geld verdienen, das könnte ich auch?"
Viele denken, es sei so einfach. Aber natürlich muss man noch mehr machen. Ich bespiele mehrere Social-Media-Kanäle, muss mir konkret meinen Streaming-Plan für die Woche überlegen, was ich wann spiele und veröffentliche. Ich chatte und interagiere permanent mit meiner Community, plane Spielrunden, bereite mich auf die Streams vor, suche die Musik aus. Ich muss schauen, dass ich nebenbei Foto-Content herstelle und mir Momente aus dem Stream für Tiktok zusammenschneide. Spielen an sich ist nur ein Bruchteil.
Wie sieht ein Arbeitstag bei dir aus?
Sobald ich meine Augen aufmache, gehe ich ans Handy. Dann checke ich meine Postfächer, beantworte erste dringende Fragen. Das Handy begleitet mich ab da: Ich dokumentiere, was ich esse, was ich zocke, wie ich Sport mache, wo ich Gassi gehe. Selbst im Urlaub mache ich Insta-Stories. Gegen 15 Uhr beginnt meine Computer-Zeit – bis etwa ein oder zwei Uhr nachts. Ich gucke, dass ich fünf, sechs Tage die Woche streame. Zu Pausen muss ich mich momentan zwingen.
Hast du nicht Tage, an denen du denkst: "Boah. Eigentlich hätte ich Bock, Pizza zu bestellen und drei Tage durchzuspielen – ohne Kamera?"
Leider ist mir das durchs Streamen abhandengekommen, weil ich das mittlerweile mit meinem Beruf verbinde. Spiele ich ohne Stream, fühlt sich das an wie Verschwendung. Als ob du Sängerin bist und es liebst, Konzerte zu geben. Warum solltest du in der Dusche singen, wenn du es vor Publikum könntest? Es ist echt selten, dass ich noch einfach so spiele. Denn wenn ich mal streamfrei habe, will ich nicht am PC sitzen. Aber ich versuche mir gerade, das wieder anzugewöhnen, denn eigentlich macht mir Spielen Spaß. So fing es ja an.
Erinnerst du dich an das erste Game deines Lebens?
Die ersten Erinnerungen, da muss ich so drei Jahre alt gewesen sein, waren Click-and-Point-Games und "Hugo". Mein Vater hat früher Spiele mit Kollegen getauscht und da habe ich an der Konsole direkt mitgemacht, auch Kampfspiele.
Dein Vater hat auch schon gespielt?
Mein Vater hat gespielt, meine Mutter hat gespielt. Die waren Gelegenheitsspieler. Meinen ersten Gameboy hat mir mein Vati auf einem Flohmarkt gekauft, mit Pokémon drin, da war ich vier oder fünf Jahre alt. Ich spielte Computer, bevor ich lesen konnte. Ich durfte sogar an den Rechner meiner Eltern mit dem guten AOL-Internet und habe dann auf die lustigen Geräusche gewartet, wenn sich das Konto verbunden hat. Die haben mich immer ihre zehn Mark Restguthaben verspielen lassen.
Dann haben deine Eltern dich bestimmt unterstützt, als du das zum Beruf gemacht hast, oder?
Die dachten eher: "Die sitzt da jetzt am PC und macht dasselbe, was sie vorher gemacht hat, nur mit Kamera und Mikrofon. Nie geht die mit Freunden raus und ist betrunken, sondern immer sitzt die vorm Rechner." Das fanden die aber nicht so knorke. Sie haben mir sogar Computer- und Internetverbot gegeben. Ich sollte mehr rausgehen und mir einen "normalen" Nebenjob suchen. Hat aber nicht funktioniert. Das erste Geld kam rein und ich hab einfach weitergemacht, immer geradeaus.
Erinnerst du dich, wann du wusstest: Das ist jetzt mein Hauptberuf?
Ich bin ausgebildete Erzieherin und habe zuerst nur im Feierabend nach 19 Uhr gestreamt, nebenbei. In der Kita habe ich mit Abzügen 1.200 Euro verdient. Und irgendwann verdiente ich mit der Online-Sache genauso viel. Das war der Punkt, an dem ich dachte: Was, wenn ich jetzt kündige und die Zeit fürs Gamen benutze? Obwohl alle dachten, ich sei völlig irre, habe ich das durchgezogen. Der 1. März 2018 war mein erster Tag als Selbstständige. Und es hat funktioniert.
Funktioniert es auch, weil du dich so girlie zeigst oder würdest du im Schlabberlook genauso geklickt?
Es wäre definitiv gelogen, wenn ich sagen würde, Optisches spielt nicht mit rein. Digitale Plattformen sind bildlastig. Da bleibt das Auge beim Scrollen nur hängen, wenn dich etwas anspricht. Natürlich stylt man sich mit Absicht, man will auffallen, ich achte auf meinen Look.
Gut zu spielen allein reicht nicht?
Es gibt Gamer, deren Gesicht keiner kennt, aber sie spielen dermaßen gut, dass sie auch so ihre Follower haben. Aber das sind Ausnahmen. Um eine Marke aufzubauen, ist beides wichtig, das Spielen und das Image. Inzwischen kann ich auch in Jogginghose auf eine Messe gehen, aber jetzt bin ich auch etabliert.
Wie reagieren die Fans darauf?
Ich hab manchmal Phasen, dann zeige ich mich ohne Filter und Make-up vor der Kamera. Allerdings kommt dann oft: "Geht es dir gut? Du siehst so müde aus!" Dann sage ich nur: "Leute, ich bin 28 Jahre alt. Es ist normal, dass man Falten kriegt und Augenringe. So sieht einfach eine Frau ungeschminkt aus." Ab und an braucht es einen Realitäts-Check.
Ich habe dich gegoogelt und da spuckte Autocomplete drei Vorschläge aus: Trennung, Beziehung, Freund. Das suchen die Leute am meisten. Nervt das?
Leider gehört das dazu, auch weil meine Beziehung vorher öffentlich war und ich erst nach der Trennung einen Riegel vor mein Privatleben geschoben habe. Ich komme mir manchmal vor, als ob wir Influencer wie im Affenhaus sitzen, vor dem die Leute uns den ganzen Tag beobachten und alles, was man macht, wird sofort bewertet. Deswegen habe ich entschieden, dass es niemanden mehr etwas angeht, ob oder wen ich liebe. Aber, dass die Leute das trotzdem wissen wollen, verstehe ich schon. (lacht)
Googelst du den Beziehungsstatus bei anderen?
Ja. Ich erwische mich selbst dabei, dass ich irgendwelchen Menschen folge und wissen will, welches Drama da abgeht: "Wow, sind die jetzt zusammen?!" Ich bin genauso.
Wo missverstehen dich Menschen manchmal?
Viele Leute sagen, was ich mache, sei keine wirkliche Arbeit. Aber dann wären ja auch Entertainer überflüssig oder Comedians im Fernsehen. Ich finde, es ist eine kostenlose Dienstleistung für Leute, die ihren Kopf abschalten wollen. Das hat durchaus einen Wert. Ich bekomme oft Nachrichten von Menschen, die mir schreiben, dass ihnen mein Content guttut. Auf der Gamescom fiel mir sogar eine Frau weinend in die Arme und sagte: "Du weißt gar nicht, was du mir im Alltag gibst." Sie hatte Depressionen, so wie ich auch.
Dabei ist dein Image extrem energiegeladen.
Bei mir wurden Depressionen diagnostiziert, aber ich mache da kein Tabuthema draus. Manchmal verwende ich den Stream sogar bewusst, um mit meiner Community über die ernsten Sachen zu sprechen, die sie bedrücken. Es ist aber genauso wichtig, einen Channel zu bieten, in dem Menschen den Mist des Tages kurz loslassen können. Ich bin glücklich, dass ich diesen Safe Space bieten kann.