Unter seinem Handle @deintherapeut thematisiert Norman Wolf Mental-Health-Themen auf Social Media. Mit seinen Follower:innen hat er bereits vor Jahren geteilt, wie sehr er unter Mobbing und Ausgrenzung in der Schulzeit gelitten hat.
Dazu hat er 2021 ein Buch verfasst, mit dem er immer wieder Schulklassen besucht, um Kinder und Jugendliche über das Thema aufzuklären. Am 20. Mai erscheint nun sein neues Buch mit dem Titel "Wenn der Blick aufs Handy zur Qual wird". Darin schreibt er explizit über Cybermobbing und seine persönlichen Erfahrungen damit, die er vor allem als Erwachsener machen musste.
Mit watson hat Norman darüber gesprochen, wie sehr der Hass aus dem Internet sein reales Leben beeinflusst hat, warum er nichts von einem U16-Social-Media-Verbot hält und welcher Ratschlag ihn am meisten nervt.
Watson: Norman, als Kind hast du Mobbing in der Schule erfahren, als Erwachsener warst du mit Hass im Internet konfrontiert. Inwiefern erkennst du im Rückblick Parallelen?
Norman Wolf: Als ich am Anfang auf Twitter über meine Mobbing-Erfahrungen in der Schule geschrieben habe, gab es viele Menschen, denen es ganz ähnlich ging. Das war erst mal ein Safer Space für mich. Aber je mehr Leute mir gefolgt sind, desto mehr Hass habe ich auch abbekommen. Da ist bei mir schnell wieder ein Gefühl von Hilflosigkeit aufgekommen. Eigentlich wollte ich das nach dem Mobbing in der Schulzeit nie wieder zulassen, aber ich habe einfach nicht damit gerechnet und wusste nicht, wie ich mich schützen kann.
Wie gehst du heute mit dem Hass um, der dir online entgegenschlägt?
Ich versuche Hasskommentare immer nach einem ersten Gefühl einzuordnen. Wenn mich jemand "Trottel" nennt, habe ich damit nicht so ein großes Problem. Das kann ich einfach löschen und den User blockieren. Aber ich habe auch schon heftigere Sachen erlebt.
Zum Beispiel?
In einem Fall habe ich in einem meiner Posts gegendert und ein User hat darunter kommentiert, dass ich ja nicht nur die deutsche Sprache vergewaltige, sondern vielleicht auch die Schüler, die zu meinen Lesungen kommen. Das konnte ich so nicht stehen lassen. Deswegen habe mich an Hate Aid gewandt. Die haben mir eine Anwaltskanzlei vermittelt, die sich darum gekümmert hat. Am Ende konnte die Person aber nicht ausfindig gemacht werden.
Keine Konsequenzen für die Unterstellung einer schweren Straftat – wie sehr hat dich das entmutigt?
Das war schon ein Rückschlag, weil du versuchst dich zur Wehr zu setzen, aber am Ende hast du damit keinen Erfolg. Trotzdem geht es mir besser mit dem Kommentar, weil ich weiß, dass ich das ich nicht auf mir sitzen gelassen habe.
Für die Täter hat der Online-Hass oft keine Konsequenzen, für die Opfer hingegen schon.
Das stimmt. Ich glaube, es fängt schon damit an, wenn sich der Hass auf deinen Kopf auswirkt. Das sind reale Konsequenzen, aber es gibt auch Fälle, in denen Hass online gelenkt wird, meistens sind das große rechtsextreme Accounts. Für mich hat es sich manchmal angefühlt, als würde eine Hexenjagd organisiert werden.
Was meinst du damit?
Ich habe vor ein paar Jahren ein Buch über meine Kindheit mit einem alkoholkranken Vater geschrieben und im Klappentext stand, dass ich in Frankfurt lebe. Zu dem Zeitpunkt war ich aber noch als Au-pair in den USA und habe dazu viel getwittert. Online haben mir manche Menschen dann vorgeworfen, dass das alles gefaked wäre und ich gar nicht im Ausland leben würde. Daraufhin hat eine Person bei meiner deutschen Uni angerufen, um zu fragen, ob auch mein Abschluss dort gefaked ist. Denen hat es nicht mehr gereicht, Hasskommentare zu schreiben.
Sie wollten dir noch mehr schaden.
Ja, das Schlimmste war, als sie die Arbeitsmail-Adresse meines Gastvaters herausgefunden haben. Da haben ihm Leute geschrieben, dass ich ein schlimmer Mensch sei und er mich nicht mit seinen Kindern allein lassen solle. Als mir meine Gastmutter davon erzählt hat, wusste ich gar nicht wie ich reagieren soll. Das hat mich so verletzt, aber sie meinte, 'Norman du musst dir keine Sorgen machen, wir wissen, wer du bist. Aber du musst aufpassen auf dich.'
Manche sagen ja, "Mach doch einfach das Handy aus". Warum ist das aus deiner Sicht kein guter Ratschlag?
Das nervt mich total. Ich wachse doch in einer Welt auf, in der alles digitalisiert ist. Ein Smartphone zu besitzen und online zu sein, ist Teil meines Alltags. Ich kommuniziere darüber mit meinen Freunden, ich brauche das für die Schule, für die Uni und so weiter. Bei solchen Sprüchen habe ich das Gefühl, da will nie jemand Verantwortung übernehmen.
Weil es das Problem nicht an der Wurzel packt?
Genau. Das ist wie mit der Diskussion, um ein U16-Social-Media-Verbot. Wir können doch nicht einfach einen Zaun ums Internet ziehen und sagen, Leute unter 16 kommen nicht mehr rein. Ich würde doch auch nicht einen Stadtteil mit hoher Kriminalitätsrate abriegeln und sagen, Kinder kommen nicht mehr rein. Ich würde Politik machen, die dafür sorgt, dass es wieder sicherer wird. Genauso ist es mit Hass im Netz. Wir sollten darüber reden, was wir konkret tun können, damit sich Menschen auch online an Gesetze halten, und nicht, dass junge Menschen kein Social Media mehr benutzen dürfen.
Du spielst auf die Politik an, aber auch die Plattformen tragen Verantwortung. Wie groß ist deine Hoffnung, dass sich in der Hinsicht etwas tut?
Zero. Gerade wenn ich an Elon Musk oder an Mark Zuckerberg denke, die sich beide Trump unterwerfen, habe ich keine Hoffnung. Aber ich habe Hoffnung in die EU und den Digital Services Act, der ganz klare Regeln für die großen Onlineplattformen aufschreibt.
Mit dem Gesetz sollen Menschen online unter anderem besser vor Hass geschützt werden.
Genau! X ist da erst kürzlich mit einer empfindlichen Strafe belegt worden. Aber damit das funktioniert, müssen wir Nutzer Fehlverhalten auch melden. Nur wenn wir das konsequent machen, wird sich auch etwas ändern.
Was würdest du Betroffenen von Cybermobbing und Online-Hass abgesehen davon empfehlen?
Der erste Schritt ist immer, darüber zu sprechen. Auch virtueller Hass löst reelle Gefühle aus und die müssen irgendwohin. Außerdem gibt es inzwischen viele zivilgesellschaftliche Initiativen wie Hate Aid, die Betroffene beraten und weiterhelfen können. Im Gegensatz zu Mobbing in der Schule, hat man vielmehr Dinge in der Hand, wie man sich wehren kann.
Würdest du dazu auch den "Blockieren"-Button zählen?
Ja, jedes Opfer von Cybermobbing sollte wissen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Menschen ihre Beiträge lesen können. Das ist teils wie ein Tagebuch und das zu lesen ist ein Privileg. Und wir haben jederzeit das Recht, Menschen dieses Privileg zu entziehen. Das ist wie, wenn ich jemand in meine Wohnung lasse. Wenn mich die Person beleidigt, werfe ich sie raus. Das ist online nicht anders, da müssen wir rabiater werden.
Wir haben viel über die negativen Seiten von Social Media gesprochen, aber du siehst darin auch etwas Positives.
Als ich angefangen habe auf Twitter über meine Mobbing-Erfahrungen in der Schule zu sprechen, dachte ich, dass ich der Einzige bin, der das ausgehalten hat. Aber ich habe schnell gemerkt, dass viele die gleichen Erfahrungen gemacht haben, das war mind-blowing für mich.
Über die Jahre hast du eine Community aufgebaut, die dich bis heute unterstützt.
Das Coole ist, sie unterstützen nicht nur mich. Bei meinem letzten Buch zum Thema Mobbing haben sich viele Menschen gemeldet, die nicht selbst davon betroffen waren, aber sich bereit erklärt haben, ein Exemplar für Mobbing-Opfer zu spenden. Dadurch konnte ich schon über 1300 Bücher kostenlos an Kinder und Jugendliche ausgeben, die von Mobbing betroffen sind.